Warten auf Deutsche Bahn bei EM: Mañana, mañana
Das Deutschland dieser Europameisterschaft entdeckt die Langsamkeit. Auf heitere und leichte Art entstehen gesellige Momente. Gerade auf Bahnhöfen.
Deutschland will mit dieser Europameisterschaft der Welt mal ein anderes Gesicht zeigen. Entspannt, gelassen, tolerant – so sind wir. Und nicht preußisch korrekt, penibel oder immer spießig auf Einhaltung der Regeln und Vorschriften pochend. Undeutsch soll es zugehen, damit es den Menschen gefällt. Ein bisschen crazy noch und immer wieder mit Überraschungen auftrumpfend.
Es ist nämlich die Deutsche Bahn, die diesem Turnier einen heiteren, entspannten, ja beinah mediterranen Anstrich verleiht.
Mañana, mañana, der spanische Ausruf, dass sich so manche ärgerlichen Alltagsdinge doch auch noch morgen erledigen lassen, wurde beispielsweise am Sonntag in Gelsenkirchen auf eine gar nicht belehrende Art englischen Fußballfans nahegebracht. Die waren noch gestresst von dem anstrengenden 1:0-Auftaktsieg, der auf mitreißende Weise zeigte, was Fußball auch sein kann. Es muss nicht immer ein Torschussspektakel sein.
Mit dem ÖPNV, der von der Schalke-Arena zum Hauptbahnhof führt, konnten sie eine Strecke in sich aufnehmen, die mit ihren weit mehr als nur 50 Grautönen zu den malerischsten Deutschlands zählt. Nach wenigen Stunden voller neuer Eindrücke konnten sie auf dem Hauptbahnhof weiterhin ihrem lässigen Hyggegefühl fröhnen. Einem drängligen Go-In in das facettenreiche Gebäude folgte schon bald ein entspanntes Sit-In, das aufgrund der heimeligen Atmosphäre teils auch zum emotional viel intensiveren Stand-In wurde.
Musik- und Entspannungsangebote
Es herrschte Lebenslust pur. Sie drückte sich aus in heiteren und kraftvollen Gesängen. Und wer nicht mitträllern wollte, sondern wem nach Erleichterung der Sinn stand, der konnte sich an eine der vielen Wände stellen, wo etliche historische Fotos ruhig- und stillgelegter Bergwerke an frühere Zeiten erinnern. Damals war die Region noch nicht vom hohen Freizeitwert geprägt, der Stadt und Leute mittlerweile ausmacht.
„Größter Bullshit ever“, „absolutes Chaos“, „mieseste Organisation, die ich je erlebt habe“ – kaum ein Superlativ, mit dem die Gäste nicht die Organisatoren für ihr entspanntes Angebot lobten. Das hatte wirklich nichts mehr mit typischer deutscher Fixierung auf Fahrpläne und Regeln zu tun.
In ein ähnlich mediterranes Lebensgefühl dürfen während der Europameisterschaft die vielen nationalen und internationalen Gäste auch in anderen Gegenden eintauchen. Im Süden haben das Hochwasser und die von ihm bewirkten leichten Korrekturen an Bahnstrecken dafür gesorgt, dass den Menschen mindestens eine halbe Stunde Lebenszeit geschenkt wird. Hier können sie über ihr Dasein reflektieren, neue Menschen kennenlernen und auch darüber sinnieren, wie abhängig wir modernen Menschen doch von der Technik sind.
Das neue Deutschland hat für sich die Langsamkeit entdeckt, das sympathisch Unkorrekte, den Genuss von spontan geschenkter Freizeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“