Wallenstein und die Kriege heute: Putins Koch bittet zu Tisch
Jan-Christoph Gockels siebenstündiges „Schlachtfest“ rund um Schillers „Wallenstein“ kommt in den Kammerspielen München ganz in der Gegenwart an.

Es war ein Theaterfest mit Ansage: Jan-Christoph Gockel, Hausregisseur der Münchner Kammerspiele, inszeniert Schillers „Wallenstein“: Drei Stücke voller Krieg, Verrat und Abhängigkeiten, Macht und – natürlich: Liebe. Damit aber nicht genug, verschränkt er den Stoff mit Recherchen zu den russischen Wagner-Truppen und kündigt eine Vorrichtung an, die Samuel Kochs querschnittsgelähmten Körper wie eine Marionette bewegt. Wenn man weiß, was Gockel und sein Puppenspiel-Kompagnon Michael Pietsch mit Figuren auf der Bühne bewerkstelligen können und in anderen Inszenierungen Kochs riesige Lust am Bewegtwerden erlebt hat, blickte der Premiere mit Spannung entgegen.
Doch der Teil zumindest erwies sich als Enttäuschung. Die Maschine trat zwar in Erscheinung, aber erst nach etwa sechs Stunden und dann auch nur kurz. „Wallensteins Tod“ stand auf dem Programm, ein paar Armbewegungen und zwei große Schritte machte Koch als lebendige Marionette, sprach: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut“ – und der Rest verlief sich in einer etwas umständlichen Abschiedsszene nach einem Loyalitätskuddelmuddel, in das überraschenderweise auch Kochs persönlicher Assistent eingebunden war.
Viel aufregender war da die kleine Koch-Puppe, die Pietsch auf dem Körper des Originals spazieren führte – und Kochs Spiel selbst: Er ist als Wallenstein das ruhige, nachdenkliche Zentrum einer Inszenierung, die – anders als oft bei Gockel – nicht alle Theatermittel und Regieeinfälle gleichzeitig auf die Bühne loslässt, aber doch einige nacheinander auffährt: Investigativtheater, klassisches Versdrama, Puppenspiel, scheinprivate Intermezzi, Mitmachtheater – und auch raus auf die Straße geht’s, wo Passanten lustige Sachen sagen: „Wallenstein? Kenne ich nicht. Ich bin nicht von hier.“
Extrem abwechslungsreich und erstaunlich lustig
Sieben Stunden hat Gockel sich dafür Zeit genommen, drei Pausen inklusive. Und es hätten von Zuschauer*innenseite nicht so viele sein müssen, denn der Abend ist extrem abwechslungsreich und erstaunlich lustig. An das Riesenereignis am gleichen Ort, Christopher Rüpings Antikenmarathon „Dionysos Stadt“, reicht er allerdings nicht ganz heran.
Gockel und sein Team haben Schillers monumentalen Text stark gekürzt und ihn mit Pro- und Epilogen sowie mehreren Einschüben perforiert. Die Fassung endet mit einem kleinen Stück Hoffnung (mit Swetlana Alexijewitschs Text „Der Mensch ist größer als der Krieg“) und beginnt mit Sergei Okunev, genannt Serge. Der russische Performer und Regisseur, der in München lebt und derzeit an der Bayerischen Landesakademie seinen Master macht, fungiert für „Wallenstein“ auch als dramaturgischer Mitarbeiter.
Mit seinen Recherchen über den Kriegsunternehmer Jewgeni Prigoschin, der sich von der Hotdogbude zu „Putins Koch“ hochgearbeitet hat und Putin auch das Soldaten-„Fleisch“ lieferte, das 2022 in die Ukraine einfiel, eröffnet Serge den Abend im lässigen Lecture-Performance-Stil. Mit anschaulichen Bildern, staubtrockenem Humor und einem Trick.
Denn Serge verrät, dass er sich die Monster und die Angst vor ihnen mit einem Zauberspruch aus „Harry Potter“ vom Leibe hält. Er heißt „Ridiculus“ und tut genau das: das Schreckliche in etwas Komisches verwandeln. Das probiert er gleich an einem eishockeyspielenden Filmputin aus und verschwindet unter einem Zauberumhang hinter der Livekamera. Doch der Lächerlichkeitszauber spukt weiter herum und auch eine große Analogie ist losgelassen: „Kochen ist Krieg.“
Beides kommt in „Wallensteins Lager“ zusammen. Erst kocht das Ensemble tatsächlich an einer langen Küchenzeile, Kamera und Mikro immer voll drauf auf die hackenden Messer, das um die Beinscheiben für das Ossobuco spritzende Fett und das glitschende Rot der Dosentomaten. Das ist eine großartige, so noch nie gesehene Szene. Aber ihre Fortsetzung fällt ab.
Die hoffnungslosesten aller Kriegsmenschen
Die „Köche“ mutieren zu Bauern, den hoffnungslosesten aller Kriegsmenschen, und dann zu Wallensteins Soldaten, gespielt von Schauspielerinnen mit Glatzen und räudigen Bärten, breitbeinigem Gehabe und „männlichem“ Gerülpse und Gebrüll. Katharina Bach als wallensteintreuer Illo steckt in einem imposanten Musclesuit und sucht später zwischen den Zuschauern nach ihrem abgefallenen Pimmel. Johanna Eiworths tumber Isolan muss das mit der Intrige – gegen Wallenstein, gegen den Kaiser, und was war noch mal mit den Schweden? – wieder und wieder erklärt bekommen.
Die Gewissensschwere und das Existenzielle kommen ein wenig unter die Räder bei dieser Parade der Lächerlichen. Was sich vor allem negativ auf die Liebesgeschichte zwischen Wallensteins Tochter und dem jungen Max Piccolomini auswirkt. Komisch ist es oft trotzdem.
Mit der Parallelführung der Söldnerarmeen von Wallenstein und Prigoschin darf man es allerdings nicht zu genau nehmen. Sie sind verbunden über den wohl bekanntesten Satz im Stück „Der Krieg ernährt den Krieg“, und der hier zum aasigen Businesstypen mutierte kaiserliche Diplomat Questenberg (herrlich: André Benndorff) fragt mal in die Menge: „Warum sollte jemand einen Krieg beenden, dessen maßgeblicher Profiteur er selber ist?“
Andererseits dürfen die Kriegsprofiteure auch nicht zu mächtig werden. Serge stellt in einem seiner Zwischenauftritte ein Kinderbuch von Prigoschin vor, in dem ein Wesen einen König rettet mit einem Ding, das der König wieder zurückhaben will, aber das Wesen sagt nein. Wallensteins Tod gab der Kaiser in Auftrag, Prigoschin starb bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz.
Der als „Schlachtfest in sieben Gängen“ angekündigte Theaternachmittag und -abend lässt die beiden Geschichten dialektisch miteinander räsonieren und rührt damit und drumherum das versprochene Theaterfest an: Mit ein, zwei Schlussszenen zu viel, aber auch mit der fabelhaften Maria Moling als musikalischer Einheizerin und der nicht minder fabelhaften Annette Paulmann als Strippenzieher Oktavio Piccolomini und Koch, der Teile des Publikums zu Tisch bittet.
Okunevs Recherchen im Söldnermilieu werden einer Idee von Heiner Müller folgend von Zuschauer*innen verlesen. Am dem Tag, an dem der Münchner Flughafen zum zweiten Mal wegen Drohnenalarm stillsteht, brennt das Wagner-Motto „Unser Business ist der Tod – und das Business läuft gut“ besonders lange nach. Die Geschichte hat auf sinnliche Weise die Gegenwart erreicht.
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