Walforscher zu verendeten Pottwalen: „Fehlgeleitet durch den Lärm“
Ölförderung, Militärübungen, Bauarbeiten für Windanlagen: Der Mensch macht im Meer zu viel Krach und stört die Tiere.
taz: Herr Benke, an der Nordseeküste wurden in dieser Woche wieder Pottwale tot geborgen. Hat der Mensch damit etwas zu tun?
Harald Benke: Schon aus dem 16. Jahrhundert und später immer wieder sind Pottwalstrandungen in der Nordsee dokumentiert. Damals war das aber ein seltenes und sehr besonderes Ereignis. Dabei gab es zu der Zeit viel mehr Pottwale als heute. 1,1 Millionen Pottwale schwammen durch die Weltmeere, bevor man im 19. Jahrhundert mit der großen Jagd auf sie begann. Heute ist die Jagd verboten. Der Bestand hat sich aber nie wieder ganz erholt. Rund 360.000 Pottwale leben derzeit. Heißt: Im Vergleich zu früher gibt es viel weniger Tiere, aber mehr Strandungen. Die Pottwale, die sich per Utraschall orientieren, werden fehlgeleitet zum Beispiel durch menschengemachten Lärm in den Meeren.
Was für ein Lärm?
Durch das Wasser dröhnen Explosionen von Schallkanonen, sogenannten Airguns, wenn Ölkonzerne Lagerstätten erkunden. Es lärmt, wenn das Militär Schallortungsysteme für U-Boote testet oder Energiefirmen Windkraftanlagen in den Meeresboden rammen. Der Krach hat zugenommen, auch weil Schnellfähren lauter sind als herkömmliche Schiffe und der Schiffsverkehr insgesamt mehr geworden ist. Das stört die Orientierung und die Kommunikation der Wale, die über hunderte Kilometer noch die Rufe und Gesänge ihresgleichen hören. Der Lärm in den Meeren muss unbedingt gemindert werden.
Sind Pottwale insgesamt bedroht?
Harald Benke, 60, ist Direktor des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund. Er gilt als einer der wichtigsten Walforscher weltweit.
Nicht durch die jetzigen Strandungen. Schwer hat die Art es aber trotzdem, denn weitere Gefahren kommen hinzu. Wale verheddern sich in Fischernetzen und verenden dann. Sie verhungern, weil der Magen mit Plastikmüll gefüllt ist, der die Meere mehr und mehr verschmutzt. Da Wale am Ende der Nahrungskette stehen, reichern sich im Gewebe der Tiere Schadstoffe an, die das Immunsystem stören.
Warum lassen sie die gestrandeten Wale nicht retten?
Die meisten leben nicht mehr, wenn sie gefunden werden. Zudem lassen sich die 10 bis 15 Meter langen und gut 20 Tonnen schwere Tiere nicht einfach ins tiefere Wasser schleppen, indem man ein Seil an die Schwanzflosse bindet. Dabei würde es zu schweren Verletzungen der Wirbelsäule kommen. Man müsste ihnen ein richtiges Geschirr anlegen. So etwas existiert aber nur für Delphine, nicht für so große Pottwale.
Wohin kommen die toten Wale?
Das Walfleisch kommt zu einer Abdeckerstation. Es darf in Europa nicht verwendet werden. Die Skelette sollen aber wenn möglich für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit erhalten bleiben. Einige Exemplare werden an tierärztliche Hochschulen und Universitäten gehen, eines auch an das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen