Wahlkampf in Niedersachsen: Die AfD hofft auf zwölf Prozent
Krisengewinnerin: Vor der Landtagswahl in Niedersachsen steigen die Umfragewerte für die AfD und ihren Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes.
D ie steigende Inflation hebt auch die Umfrageergebnisse der AfD: In Niedersachsen könnte die krisengeschüttelte Partei am 9. Oktober wieder in den Landtag einziehen. Auf neun Prozent wuchs der Zuspruch für die Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Stefan Marzischewski-Drewes zuletzt. Der Spitzenkandidat hofft mittlerweile auf 12 Prozent, obwohl sich die Landtagsfraktion in der ausklingenden Legislaturperiode auflösen musste und der Landesverband zerstritten ist.
Doch im Wahlkampf bemüht sich die AfD, als Vertreterin der einfachen Leute zu erscheinen. Ein Slogan auf einem Transparent bringt das auf den Punkt: „Unser Leben muss bezahlbar sein“. In der am Dienstag ausgestrahlten NDR-Info-Sendung zur Wahl sagte Marzischewski-Drewes hinsichtlich der hohen Inflationsrate, dass eine schnelle Entlastung der Bürger*innen geboten sein: Einen Wohngeldzuschuss um 100 Prozent müsste das Land finanzieren. „Wir müssen die, die es am härtesten trifft, entlasten.“
Er forderte zugleich, die Atomkraftwerke zu nutzen, um einen Kollaps der Wirtschaft zu verhindern. Zudem sprach er sich für eine freiwillige Mehrarbeit von Lehrer*innen aus, um dem Personalmangel entgegenzuwirken.
Die Themenagenda der AfD trifft die realen und befürchteten Belastungen der Wähler*innen durch den Krieg in der Ukraine. Die Partei greift die laufenden Diskussionen in der Politik und im Privaten auf.
Das ist nicht neu: Die AfD war seit der Gründung 2013 immer eine Krisengewinnerin. Bis zur Debatte um die deutsche Flüchtlingspolitik waren ihre Werte bei Prognosen niedrig. Erst mit der durch viele so wahrgenommenen „Flüchtlings- und Asylkrise“ stieg der Zuspruch. Parteiintern gilt das Credo: Geht es Deutschland schlecht, geht es der AfD gut. Natürlich will niemand diese Hoffnung öffentlich zugeben.
Dumm nur, wenn derlei Äußerungen unbewusst öffentlich stattfinden: Bei einem Livestream auf Tik-Tok sagte der AfD-Bundestagsabgeordnete Harald Weyel, dass er auf einen „dramatischen Winter“ mit drastischen Reaktionen auf die Energiekrise hofft. Ihm war sichtlich nicht bewusst, dass das Mikrofon angeschaltet war. Im Nachhinein will er es natürlich so nicht gemeint haben.
Mit den guten Umfrageergebnisse wachsen in der AfD auch die Hoffnungen auf neue Jobs in der Landtagsfraktion. Nach parteiinternen Gerüchten möchte der Geschäftsführer der Hamburger AfD-Bürgerschaftsfraktion, Thorsten Prenzler, nach Hannover wechseln. In Hamburg ermittelt gerade der Staatsanwaltschaft gegen ihn. Offenbar geht es um irreguläre Abrechnungen.
Die Anzeige scheint mal wieder aus den eigenen Reihen zu kommen. Prenzler ist schon einmal wegen Betrugs verurteilt wurden. Im Zuge des Skandals legte er 2005 sein Landtagsmandat für die Niedersachsen-CDU nieder. Für Überraschung sorgt auch, dass Prenzler eine Steuerberaterin gebeten habe, „vertraulich“ seine Gehaltsabrechnung zu korrigieren: Er sei zwar zwei Monate krankgeschrieben gewesen, hätte aber gearbeitet. Das geht aus einer E-Mail hervor, die der taz vorliegt.
Ergänzende Darstellung:
Zu unserer Darstellung „Nach parteiinternen Gerüchten möchte der Geschäftsführer der Hamburger AfD-Bürgerschaftsfraktion, Thorsten Prenzler, nach Hannover wechseln“ teilt uns Prenzler am 18. 10. 2022 mit, daß er keineswegs diese Absicht hat. Zu unserer Aussage, Prenzler „sei zwar zwei Monate krankgeschrieben gewesen, hätte aber gearbeitet“ ergänzen wir: „In der Email des Prenzler an die Steuerberaterin vom April 2021 heisst es: „Im März sowie April haben wir bei Ihnen einen gelben Schein eingereicht. Da ich aber … gearbeitet habe, soll ich das normale Gehalt für beide Monate kommen. Wir lassen uns auch nicht!!! Die Kosten mit der Einreichung der Scheine bei der Krankenkasse erstatten … Wir agieren also so als ob ich gar nicht krank gewesen wäre.....
Die Redaktion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin