Wahlkampf in Baden-Württemberg: Das politische Stuttgart kichert
Die CDU macht erstmals Wahlkampf aus der Opposition. Ein Rezept gegen den grünen Landesvater Winfried Kretschmann hat sie nicht.
Die Situation der Union in Baden-Württemberg lässt sich gut am Menüplan erklären. Rund 150 Gäste haben sich an diesem sonnigen Samstag im Schulzentrum von Adelsheim im Odenwald versammelt.
Mitglieder, Bürger und Interessengruppen sollen an Umwelt und Nachhaltigkeitspositionen für das Parteiprogramm werkeln. „Programmwerkstatt“ heißt dieser offene Prozess, den es bei der Südwest-Union vorher nie gab.
Zu Mittag gibt es dann Grünkernbratlinge – mit oder ohne Speck. Soll aber bloß keiner denken, man hätte sich neben der offenen Diskussion auch noch den Speiseplan von der Konkurrenz abgeschaut. Grünkern, betont der Vorsitzende des Landesverbands Peter Hauk deshalb später, sei seit über hundert Jahren eine Spezialität der Region. Tradition also, und für die ist im Land bekanntlich die CDU zuständig.
Es sind noch neun Monate bis zur Landtagswahl in Baden-Württemberg und die CDU versucht sich im Spagat zwischen Tradition und Moderne. Noch nie seit 1958 musste sie hier aus der Opposition heraus Wahlkampf machen und nach vier Jahren Grün-Rot ist im Land wenig Wechselstimmung zu spüren. Die CDU stellt zwar die meisten Abgeordneten im Landtag und dominiert noch immer viele Rathäuser und Landratsämter, aber Winfried Kretschmann ist als grüner Ministerpräsident derart beliebt, wie es schon lange kein CDU-Mann mehr war.
Nur nicht zu konservativ
Den Sprung zurück in die Regierung versucht die CDU mit einem Kandidaten, der nicht nur beim Wahlvolk, sondern auch erst einmal innerhalb der Partei bekannt gemacht werden muss. Guido Wolf heißt er und war eine Weile im Stuttgarter Landtag, zuletzt als Parlamentspräsident, wenig auffällig. Dass es Wolf vergangenen Dezember gelungen war, sich gegen den Politprofi Thomas Strobl in einer Urwahl durchzusetzen, war eine Überraschung.
Jetzt, neun Monate vor der Wahl sucht die CDU nach der richtigen Taktik und der Kandidat sein Profil: Allzu beherzt nach der Macht sollte er nicht greifen, das würde zu sehr an den kraftmeierischen Vorgänger Stefan Mappus erinnern, von dem vor allem juristische Auseinandersetzungen geblieben sind. Persönliche Angriffe gegen den beliebten Landesvater verbieten sich ohnehin. Allzu konservative Positionen verschrecken Großstädter.
Und so eiert Guido Wolf. Er spricht sich gegen das Adoptionsrecht von Schwulen und Lesben aus, und als er dafür Kritik einstecken muss, korrigiert er seine Position ein wenig. Er tritt Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer bei der Diskussion über Stromtrassen zur Seite, bis er merkt, dass dessen Politik auch gegen die Interessen Baden-Württembergs gerichtet sein könnte. Als er stolz seine Werbeagentur präsentiert, die Pepp in den Wahlkampf bringen soll, posiert er für ein Foto mit dem Team ausgerechnet vor zehn großen Windmaschinen. Das politische Stuttgart kichert.
Politik des Gehörtwerdens
Vielleicht auch zur Selbstvergewisserung veranstaltet die Partei nun also Programmwerkstätten, wie hier in Adelsheim. Eine Politik des Gehörtwerdens, wie sie Kretschmann propagiert, nur eben in Schwarz. Im Publikum dominieren ältere Herren in Kurzarmhemden. Als einzige Frau auf der Bühne darf Generalsekretärin Katrin Schütz Wein und Blumen überreichen. Vom Motto „mehr Diskussion weniger Akklamation“, das Strobl morgens ausgegeben hatte, bleibt an diesem Vormittag wenig: Das Programm sieht nur eine knappe Stunde für Diskussionen in den Arbeitsgruppen vor. Der Rest ist für offizielle Reden und die Auswertung vorgesehen.
Immerhin ist einer der Redner des Tages Klaus Töpfer, zuletzt Exekutivdirektor des Umweltprogramms der UNO, und seit 30 Jahren das grüne Gewissen der Union. Der frühere Bundesumweltminister erzählt davon, wie er damals in den 80er Jahren zusammen mit Helmut Kohl den Katalysator gegen massive Widerstände der Autoindustrie durchgesetzt hat. Er widerspricht Guido Wolf, den er nur „den Herrn Spitzenkandidaten“ nennt, offen und meldet Bedenken gegen das Freihandelsabkommen TTIP an.
Töpfer bekommt viel Applaus. Vier Stunden später steht dann wieder wenig Überraschendes auf den Flipcharts: „Windräder, ja aber“ ist da zu lesen und auch: „Mehr Umgehungstrassen statt mehr Tempolimits“ und sogar „Extraspuren für mehrfach besetzte Autos“. Irgendwie bleibt der Eindruck: In der baden-württembergischen CDU wäre einer wie Klaus Töpfer noch heute Avantgarde.
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