Wahlkampf der Linken in Berlin: Der „nette Kollege“ Liebich
Im Berliner Wahlkreis Pankow ist die CDU dem Direktkandidaten der Linken auf den Fersen. Gentrifiziert Schwarz-Grün die Linke weg?
Genau dieses Poster hängt in der Breiten Straße in Ostberlin. Gleich daneben lächelt der dazugehörige Abgeordnete Stefan Liebich ins Straßenbild. „Pankow: Liebich“. Und so wie es ausschaut, liebt auch Pankow Stefan Liebich. Bei der letzten Bundestagswahl war es jedenfalls noch so, da hat er hier zum zweiten Mal sein Direktmandat geholt. 2017 aber wird es spannend.
Beim ersten Mal, 2009, siegte Liebich über das sozialdemokratische Urgestein Wolfgang Thierse. Der SPD-Politiker, einst Bürgerrechtler und später Bundestagspräsident, gehört zur Ausstattung des Prenzlauer Bergs wie der glutenfreie Latte macchiato und die Käthe-Kollwitz-Plastik. Dass ihm ein brav wirkender kommunistischer Jungspund den Wahlkreis abgenommen hatte, galt damals als Sensation.
Doch schon bei der nächsten Wahl kam Liebichs Konkurrenz aus einer anderen, unerwarteten Ecke. Ein No-Name von der CDU holte aus dem Stand 23,9 Prozent. Beobachtern galt der zweite Platz für den Konservativen als sicheres Zeichen für den politischen Durchmarsch schwarz-grüner Gentrifizierer im Bionadebezirk.
„Ich werde hier nicht weggentrifiziert“
Und tatsächlich: Leute, die ihr Erbe in Baugruppen investieren, die Mieten von 17 Euro kalt pro Quadratmeter oder Mondpreise für Eigentumswohnungen zahlen können, gelten eher nicht als WählerInnen der Linken. Könnte nicht also am 24. September deren Kandidat von der schwarz-grünen Wählerschaft einfach weggentrifiziert werden?
„Ich werde hier nicht weggentrifiziert“, sagt Stefan Liebich und lächelt. Er sitzt auf der schwarzen Couch seines Wahlkreisbüros im eher bodenständigen Quartier Pankow-Kirche, es gibt Sprudel und Filterkaffee. Alle vier Minuten ballert der Lärm eines Flugzeugs im Landeanflug auf Tegel durchs geöffnete Fenster. „Wenn in meinem Wahlkreis jemand weggentrifiziert wird, dann ist das die SPD.“
Stefan Liebich
Mag sein. Aber was ist mit dem CDU-Kandidaten? Gottfried Ludewig, 34 Jahre alter Wirtschaftsberater, zugereister Bonner, könnte noch mehr ruhe- und ordnungsbedürftigen Prenzlauer-BergerInnen ein Kreuzchen wert sein als bei der letzten Bundestagswahl.
Liebich vertraut auf sein Profil, auf seine Bekanntheit bei den 350.000 WählerInnen. 2013 war er einer von nur vier Linke-KandidatInnen mit Direktmandat, so was trägt. Und er gilt als eigensinniger Realo innerhalb seiner Fraktion. Seit Sahra Wagenknecht mit dem blassen Dietmar Bartsch die Fraktion führt, ist der Ton dort deutlich schriller, auch schon mal populistischer geworden. „Viele sagen, na ja, Linkspartei finden wir nicht so toll. Aber der Liebich, der geht schon“, umreißt Liebich die Lage.
Liebich widerspricht auch mal
Tatsächlich ist Liebich schon öfter aus der Fraktionsdisziplin ausgeschert. Als Sahra Wagenknecht ihren Gastrecht-Satz raushaute, widersprach er ihr. Als das Parlament 2014 über die Vernichtung von Chemiewaffen durch die Bundesmarine abstimmte, votierte er mit vier Fraktionskollegen für diesen Auslandseinsatz. Und wenn Wolfgang Gehrcke, sein Kollege im Auswärtigen Ausschuss, markige Erklärungen raushaut, die sofortige Herstellung des Weltfriedens betreffend, übersetzt Liebich anschließend schon mal ins Realpolitische.
Mit derlei – und mit seiner offenen Neigung zu Rot-Rot-Grün – hat er sich den Hass so mancher Fraktionsfundis erarbeitet. Dabei wirkt Liebich eher brav. Immer nett lächelnd und adrett gekleidet, stets höflich. Was langweilig wirkt, zieht scheinbar bei der Wählerschaft; nicht jeder steht auf politisches Kläffen.
Über seine Querschläge in der Fraktion sagt Liebich: „Das kann ich mir leisten, weil ich hier direkt gewählt bin.“ Er habe seinen eigenen Kopf , das würden seine Wähler schätzen. Unter den Klischee-Schwaben vom Prenzlauer Berg gebe es übrigens jede Menge progressive Wähler, die sich wünschten, dass Merkel abtritt. Für die seien – angesichts von Jamaika oder einer Wiederauflage der Großen Koalition – SPD und Grüne kaum noch wählbar. „Wir haben als einzige Partei keiner Asylrechtsverschärfung zugestimmt“, sagt Liebich.
Sein Konkurrent von der CDU findet den Wettlauf um den Bezirk spannend. Gottfried Ludewig schätzt Liebich, er sei „kein typischer Linkspartei-Vertreter“, sagt er der taz. Was Liebich als Vorteil für sich verbucht, sieht Ludewig eher kritisch. Er frage sich, sagt er, für welche Politik der Linke nach der Wahl stehen werde. „Er versucht, bei allen eine gute Figur zu machen.“ Aber was habe der „nette Kollege“ tatsächlich für seinen Bezirk erreicht? Die Mieten stiegen und stiegen, die Verkehrssituation sei angespannt, sagt er.
Liebich wohnt in der Einflugschneise
Dazu muss man wissen, dass im Berliner Bundestagswahlkampf der Flughafen Tegel – eigentlich ein landespolitisches Thema – plötzlich ein Riesending ist. FDP und CDU halten es für eine gute Idee, Tegel offen zu halten. Selbst manche Pankower haben sich an den gesundheitsschädlichen Krach und Dreck gewöhnt; viele befürchten noch höhere Mieten, wenn ihr grüner Bezirk plötzlich auch noch ruhig wird.
CDU-Mann Ludewig windet sich ein bisschen bei der Frage nach seiner Haltung zum Thema. Er weiß, wie gespalten die Wählerschaft ist, versucht es mit einer Sowohl-als-auch-Antwort. Er könne sich vorstellen, sagt er, „Tegel in reduziertem Ausmaß für eine begrenzte Zeit offenzuhalten“ – bis klar sei, ob der Pannenflughafen BER ausreichend funktioniert.
In seinem Pankower Büro sitzt Stefan Liebich und grinst. „Tegel ist durch und muss geschlossen werden“, sagt er. Den maroden Flughafen plötzlich doch offen halten zu wollen sei die Einzelmeinung eines Ministers. „Was ist denn da los bei der CDU?“ Während der gefühlt zwanzigste Flieger eine Lärmschneise in den Raum schneidet, erzählt Liebich von der mangelnden Solidarität anderer Bundestagsabgeordneter. „Die finden das natürlich super, die sind von Tegel in zwanzig Minuten im Büro.“ Stefan Liebich hat es nicht so weit wie andere Parlamentarier. Er wohnt mitten in der Einflugschneise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind