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Wahlen in der TürkeiEin knappes Rennen

Rekordzahl von WählerInnen in der Türkei. Die ersten Auszählungen weichen deutlich ab, je nachdem, ob es eine offizielle oder unabhängige Quelle ist.

Vier Kandidaten standen zur Wahl, zwei können sie gewinnen Foto: Tolga Uluturk/dpa

Istanbul taz | Die Wahlnacht in der Türkei wurde der erwartete Wahlkrimi. Rund vier Stunden nach Schließung der Wahllokale wichen die Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi (AA), der unabhängigen Agentur Anka und die Zählungen der Opposition jeweils erheblich voneinander ab. Während AA den amtierenden Präsidenten bei knapp über 50 Prozent und den Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu lediglich bei 43 Prozent sah, hatte Anka Kılıçdaroğlu mit 49 Prozent vorne, während Erdoğan lediglich auf 43 Prozent kommt.

Bei den der Opposition nahestehenden Sendern, wie beispielsweise Haber TV, versuchten die Moderatoren dagegen auf Grundlage der vom Hohen Wahlrat bestätigten Zahlen für einzelne ausgezählte Urnen jeweils einen aktuellen Stand der Zählung zu präsentieren. Haber TV sah Kılıçdaroğlu mit 47,7 Prozent und Erdoğan mit 46,4 Prozent nur knapp auseinander. Danach würde sich ein zweiter Wahlgang am 28. Mai anbahnen.

Der Unterschied zwischen der staatlichen Agentur und den Zahlen der Opposition kommt unter anderem dadurch zustande, dass das Regierungslager systematisch die Ergebnisse in den Wahllokalen anfechtet, bei denen der Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu vorne liegt.

Bei einer Pressekonferenz im Hauptquartier der Opposition sagten die Bürgermeister Ekrem İmamoğlu aus Istanbul und Mansur Yavaş aus Ankara, Anadolu Ajansi sei ja bekannt dafür, die Zahlen bei der Auszählung zu manipulieren und man könne ihnen aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht glauben. Beide Bürgermeister, die bei einem Sieg von Kılıçdaroğlu Vize-Präsidenten werden sollen, gaben sich überzeugt, dass ihr Kandidat vorne liegt.

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Allerdings waren auch die Ergebnisse, die die Opposition bei knapp 30 Prozent ausgezählten Stimmen veröffentlichte, äußerst knapp. Erdoğan und Kılıçdaroğlu lagen danach nicht viel mehr als einen Prozentpunkt auseinander, und keiner von beiden erreicht mehr als 50 Prozent. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt die großen Metropolen, in denen sich die Opposition eine deutliche Mehrheit erhofft, noch nicht ausgezählt, sondern im Wesentlichen die Landkreise, in denen Erdoğan stark ist. Noch ist deshalb alles möglich.

Über 90 Prozent Wahlbeteiligung

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Im Laufe des Tages ist eine Rekordzahl von WählerInnen in der Türkei an die Urnen gegangen, überall gab es lange Schlangen, am Ende soll die Wahlbeteiligung über 90 Prozent betragen haben. Das ist auch für die Türkei, wo offiziell Wahlpflicht herrscht, ein einmaliges Rekordergebnis. So viel Spannung wie vor dieser Wahl gab es in den letzten 20 Jahren nicht. Der Wahlgang selbst ging ohne größere Zwischenfälle, überwiegend ruhig und diszipliniert vonstatten. Lediglich die kurdische HDP meldete einige kleinere Zwischenfälle im Südosten des Landes.

Präsident Erdoğan, der ursprünglich die Auszählung der Stimmen in Istanbul abwarten wollte, flog am Nachmittag dann doch nach Ankara. Sein Innenminister, der im Vorfeld davon gesprochen hatte, ein Sieg der Opposition wäre ein „Putsch des Westens“ hielt im Hauptquartier der AKP in Istanbul die Stellung.

Die wichtigsten PolitikerInnen der Opposition waren alle in Ankara, auch der Istanbuler Oberbürgermeister İmamoğlu. An seiner Stelle versorgte die Istanbuler CHP-Vorsitzende Canan Kaftancıoğlu die Presse mit den letzten Zahlen aus Istanbul. In der größten türkischen Stadt Istanbul lag Kılıçdaroğlu danach nach 40 Prozent ausgezählten Stimmen bei 51 Prozent, während Erdoğan nur auf 42 Prozent kam. Das ganze Land klebte am Sonntagabend an den Fernsehern.

In Istanbul waren historisch wenig Fahrzeuge auf den Straßen. Sprecher der Opposition forderten ihre Anhänger auf, unbedingt bis zum Ende der Auszählung bei jeder Urne präsent zu bleiben. Von jeder ausgezählten Urne gibt es am Ende einen Ergebniszettel, der sowohl von den Wahlbeamten als auch von den anwesenden WahlbeobachterInnen der Opposition unterschrieben wird. Diese Ergebniszettel werden von den WahlbeobachterInnen vor Ort fotografiert und an die jeweilige Parteizentrale geschickt. Aufgrund der Ergebnisse der ausgezählten Urnen können die Parteien unabhängig von Anadolu Ajansi den Stand der Auszählung mitverfolgen und ihre Ergebnisse bekannt geben.

Erdoğan würde eine Wahlniederlage akzeptieren

Die Befürchtungen einer Sabotage im Vorfeld der Auszählung erwiesen sich bis 21 Uhr als unbegründet. Weder wurde das Internet abgeschaltet, noch fiel plötzlich der Strom aus, wie es bei früheren Wahlen schon vorgekommen war. In einer TV-Sendung am Freitagabend vor dem Wahlsonntag hatte Präsident Erdoğan erklärt, selbstverständlich würde er eine Wahlniederlage akzeptieren. Schließlich sei er ja auch durch Wahlen an die Macht gekommen.

Die Präsidentschaftswahl in diesem Jahr in der Türkei ist von entscheidender Bedeutung. Viele Oppositionspolitiker sehen in der Wahl die letzte Chance, die Türkei davor zu bewahren, endgültig in einer Erdoğan-Autokratie zu landen.

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1 Kommentar

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  • Die Türkei ist ein autoritäres Präsidialsystem mit eingeschränkter Pressefreiheit und Repression gegen die Opposition und Minderheiten. In so einem Kontext sind Wahlen nicht frei und fair, sonder manipuliert und vorgegeben. Es wäre naiv zu glauben, dass am Ende die Opposition gewinnt.