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Wahlen in IsraelBye-bye Bibi

Kommentar von Susanne Knaul

Nach der Wahl ist vor der Krise. Solange Netanjahu noch da ist, bleibt Israel in einem Zirkel von wackeligen Regierungen und Abwarten gefangen.

Solange Bibi in der Politik bleibt, sind Wahlen eine Farce Foto: Tsafrir Abayov/ap

B enjamin Netanjahu, Israels korrupter Regierungschef, hält sein Land gefangen. Nach der vierten Parlamentswahl innerhalb von nur zwei Jahren zeichnet sich schon eine fünfte ab – oder eine erneut wacklige Koalition unter seiner Führung. Solange Netanjahu in der Politik bleibt, sind Wahlen eine Farce. Denn es geht nicht um politische Inhalte, um Visionen für eine bessere, friedliche Zukunft, sondern einzig um für und wider Netanjahu. Bibi, wie ihn der Volksmund nennt, muss endlich von der Bildfläche verschwinden.

Die augenscheinlich gute Nachricht ist, dass es zum ersten Mal in der 73-jährigen Geschichte des Judenstaates eine Regierung geben könnte, an der eine arabische Partei beteiligt ist. Augenscheinlich insofern, da die konservativ-islamische Ra’am nur einen kleinen Teil des arabischen Sektors repräsentiert. Queer- und Frauenrechte sind im Parteiprogramm so wenig vorgesehen wie bei den jüdisch-orthodoxen Listen.

Im Kampf gegen die Liberalen, gegen Feministinnen und gegen sexuelle Freiheit marschieren die Frommen Hand in Hand. Netanjahu verbrachte im Vorfeld der Wahlen viel Zeit im arabischen Sektor auf Stimmenjagd im gegnerischen Lager. Paradoxerweise könnte ausgerechnet der Politiker, der einst vor den AraberInnen warnte, „die massenhaft zu den Wahlurnen strömen“, der Erste sein, der sie zum Mitregieren einlädt. Das wäre ein für die Koexistenz wichtiges Signal.

Die Arbeitspartei, der in guten Zeiten Zigtausende arabische GenossInnen angehörten, war sich dafür stets zu fein. Sollte es Netanjahu einmal mehr gelingen, die zum Teil recht ungleichen Partner unter einen Hut zu bringen, steht Israel ein Gruselkabinett bevor. So kompatibel die konservativen MuslimInnen mit den ultraorthodoxen jüdischen Parteien sein mögen – so schwierig ist ein Bündnis mit der radikalen Liste Religiöser Zionismus. Parteichef Bezalel Smotrich jedenfalls schließt es aus.

Betrug, Untreue und Bestechlichkeit

„Ich will, dass nur jüdische Hände mein Baby anfassen“, soll seine Frau nach einer Entbindung gefordert haben. Die Smotrichs stehen offen für Rassentrennung. In Sachen Queerrechte verfolgt Smotrich, der Homosexualität einst mit Inzest verglich, allerdings eine ähnliche Linie wie die muslimische Ra’am. Ob das ausreicht für ein Zusammengehen wird wohl vom Preis abhängen, den Netanjahu, der absehbar beide Parteien für eine Mehrheit in der Knesset braucht, zu zahlen bereit ist.

Einen hohen Preis wird ihm in jedem Fall ein weiterer Königsmacher abfordern: Naftali Bennett, einst Bildungsminister und Chef der Siedlerpartei, wird auf eine Rotation zielen – und zwar mit ihm selbst an erster Stelle. Zwei Jahre Bennett und danach erst Netanjahu, darunter wird er nicht mitmachen. Denn er weiß, dass es ohne seine sechs bis acht Mandate für eine Mehrheit nicht reicht. Und er weiß, dass man Netanjahu nicht trauen kann.

Wäre die Reihenfolge umgekehrt, so lehrt die Erfahrung, würde sein Traum, Israels höchstes politisches Amt einzunehmen, nie in Erfüllung gehen. Netanjahu wird bei Bennett wie bei allen anderen künftigen Koalitionspartnern umgekehrt darauf dringen, dass sie ihm Immunität verschaffen, damit er einem Prozess und möglicherweise einer Gefängnisstrafe entgeht. Denn die droht ihm wegen Betrug, Untreue und Bestechlichkeit. Für Bennett wäre das ein machbares Zugeständnis.

Zu hoch kann auch er nicht pokern, denn eine Regierung ohne Netanjahu ist ungeachtet des Patts zwischen dem Pro- und Contra-Bibi-Lager recht illusorisch. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass es bei dem Patt der Blöcke keinesfalls um politisch links und rechts geht. Die Anti-Bibi-Parteien sind nicht weniger zerstritten als die, die ein Zusammengehen mit ihm für denkbar halten. Das Neue bei diesen vierten Wahlen in so kurzer Zeit ist, dass Netanjahu zum ersten Mal nicht länger nur von links bedroht ist.

Aus der Geiselhaft Netanjahus befreien

Die Bibi-Müdigkeit im Land machte eine weitere Partei rechts von seinem Likud möglich. Diese Neue Hoffnung unter dem Likud-Abtrünnigen Gideon Sa’ar verbindet mit linksliberalen Parteien allerdings nicht mehr als das Ziel, Netanjahu loszuwerden. Ein wackliges Standbein für eine Regierungskoalition. Links kann sich guten Gewissens nur noch rund ein Fünftel von Israels künftigen ParlamentarierInnen nennen. Links ist out.

Zu oft mündeten Friedensverhandlungen, mit denen man einst punkten konnte, in Blutvergießen. Seit Jahren liegt der Friedensprozess auf Eis, die Intifada ist eingeschlafen. Damit lässt es sich ganz gut leben in Israel, auch für die, die gern auf die Besatzung verzichten würden. So verschwindet die Linke zusehends von der Bildfläche, gerade auch weil sich die Wahlen nicht länger um Inhalte drehen.

Viele liberale Stimmen gingen aus strategischen Gründen an die politische Mitte in der Hoffnung, so Netanjahu endlich loszuwerden. Israel stehen jetzt, wie immer nach Wahlen, Wochen der Unsicherheit bevor. Am Ende könnte es eine Regierung geben, wie es sie rechter, religiöser und rassistischer nie gegeben hat.

Der ultraorthodoxe Sektor, der sich während der Pandemie eigene Regeln machte, bei Beerdigungen die Massen versammelte und damit die Ausbreitung des Virus vorantrieb, wird wohl Teil der Regierung bleiben. Und die Weltlichen, die Liberalen, die um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Besorgten, werden zusehen müssen, wie ein nationalreligiöser Siedler und der skrupellose Netanjuhu versuchen, die nächste Regierung ins Amt zu bringen, die ebenso wackelig sein wird wie die letzte.

Ehe überhaupt etwas vorangehen kann, muss sich Israel aus der Geiselhaft Netanjahus befreien. Denn nur dann können die lähmende Wartehaltung, die Instabilität und die Abfolge von Krisen und Neuwahlen enden. Die letzten Aufrechten der Likudpartei sollten lieber heute als morgen ihren Chef zu Fall bringen.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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1 Kommentar

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  • Geiselhaft ist eine Irreführende Formulierung.



    Abhängigkeit entstanden aus einer Sucht nach Sicherheit trifft es besser und weist notwendiges mass an Verantwortung innerhalb eines politischen Prozesses aus.