Wahlanfechtung in Niedersachsen: AfD-Listenkauf macht Wahl nicht ungültig
Der Staatsgerichtshof weist die Anfechtung der Niedersachsenwahl 2022 ab. Vorwürfe um gekaufte AfD-Listenplätze erschienen nicht schwerwiegend genug.
Sie stützten sich dabei vor allem auf zwei Vorwürfe: Bei der AfD seien Listenplätze verkauft worden und mit der Aufstellung der Liste durch eine Delegiertenversammlung habe die Partei gegen ihre eigene Satzung verstoßen, die zu dieser Zeit noch eine Mitgliederversammlung vorsah.
Vor allem der erste Vorwurf beschäftigt nicht nur den Staatsgerichtshof. Er wurde zuerst von dem ehemaligen AfD-Abgeordneten Christopher Emden erhoben, der selbst auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatte.
Er behauptete öffentlich, der heutige AfD-Landesvorsitzende Ansgar Schledde habe ihn aufgefordert, für einen aussichtsreichen Listenplatz Zahlungen auf ein Privatkonto zu leisten. Von diesem Konto, so Emdens Darstellung, seien dann Busse, Hotelzimmer und andere Gefälligkeiten für das „Stimmvieh“, also die Mitglieder oder Delegierten, die über die Vergabe der Listenplätze abzustimmen hatten, finanziert worden.
Eine schwarze Kasse ist nicht wahlentscheidend
Dass ein solches Privatkonto auf den Namen Schleddes existiert, ist unstrittig. Es wurde von der Polizei im Rahmen von Untreue-Ermittlungen und Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz intensiv durchleuchtet. Unstrittig ist auch, dass eine ganze Reihe von Landtagsabgeordneten auf dieses Konto eingezahlt haben – mit Betreffzeilen wie „Aktionskasse“ oder „Kkasse“ (gemeint ist wohl Kriegskasse).
Allerdings: Die Beiträge sind höchst unterschiedlich und korrelieren offenkundig nicht mit dem Listenplatz. Die Herren auf den Listenplätzen 1 und 2, Stefan Marzischewski-Drewes und Ansgar Schledde selbst, zahlten am wenigsten, schlechter platzierte Kandidaten deutlich mehr. Allerdings sind auch Kandidaten in den Landtag eingezogen, für die keine Zahlungen nachgewiesen werden konnten.
Außerdem, betont der Staatsgerichtshof, lasse sich eben auch nicht feststellen, dass von diesem Konto rund um die Aufstellungsversammlung am 2. und 3. Juli tatsächlich Gelder zur Steuerung des Abstimmungsverhaltens eingesetzt worden seien. Auch Emden hatte sich dazu immer nur auf Hörensagen berufen und bisher keine konkreten Belege oder Zeugen beibringen können.
Handelt es sich aber „nur“ um eine schwarze Kasse, liegt zwar ein klarer Verstoß gegen das Parteiengesetz vor, der auch Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens ist, aber kein Wahlfehler.
Ähnliches gilt für die Listenaufstellung durch Delegiertenwahl. Dieses Verfahren ist nicht per se undemokratisch, sondern auch in anderen Parteien üblich. Kritisiert wurde in diesem Fall, dass die AfD es – auch wegen der Coronabeschränkungen – kurzfristig per Parteitagsbeschluss eingeführt hatte, obwohl die Satzung noch eine Mitgliederversammlung vorsah.
Auch hier, so der Staatsgerichtshof, sei eine schwerwiegende Verletzung der demokratischen Rechte der Parteimitglieder nicht erkennbar. Und auch hier sei der Fehler nicht so gravierend, dass er eine Wahlanfechtung rechtfertige.
Landeswahlleiterin Ulrike Sachs, der die FDP vorgeworfen hatte, sie hätte die AfD-Liste gar nicht erst zulassen dürfen, reagierte erleichtert, dass das Gericht ihre Argumentation in so vielen Punkten bestätigt hat.
Der ehemalige FDP-Landtagsabgeordnete Marco Genthe sprach dagegen von einem sehr traurigen Tag für die Demokratie. Unterstützt wurde er dabei von dem renommierten Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht in Oldenburg, der vor allem die Begründung des Gerichts kritisierte.
Das Gericht habe sich wie ein Verwaltungsgericht im formalen Klein-Klein verloren und die Beweishürden für eine wirksame Wahlanfechtung viel zu hoch angesetzt. Mit den Folgen des hier entstandenen bösen Scheins, der das Vertrauen in demokratische Prozesse grundsätzlich untergraben könne, habe man sich gar nicht hinreichend befasst, weil die Angst vor Instabilität so groß gewesen sei, sagte Boehme-Neßler.
Tatsächlich hatte das Gericht umgekehrt argumentiert: Ein Wahlfehler müsse erheblich sein, weil sonst Parteien durch bewusste Verstöße bei der Kandidatenaufstellung jedes Wahlergebnis nachträglich in Frage stellen könnten, das ihnen nicht passt.
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