Wahl in der Ukraine: „Sie müssen tun, was das Volk will“
Zwei Kämpfer vom Maidan in Kiew haben viel geopfert, um eine Ukraine ohne Korruption zu erleben. Zwei Porträts vor der Wahl.
Der Kämpfer
Angst, da ist sich Volodymir Schumeiyko sicher, habe er nie gehabt. Weder auf dem Maidan noch im Donezbecken, wo er zwei Monate im Freiwilligenbataillon Donbass gegen die prorussischen Separatisten gekämpft hat. Im November vor einem Jahr ist er mit einem Freund aus seiner Heimatstadt Kriwoj Rog nach Kiew gefahren. Er war 33 Jahre alt, gesund und kräftig. „In Kiew hat eine Revolution begonnen“, hat sein Freund gesagt. „Die wollen den Betrüger Janukowitsch aus dem Amt jagen. Lass uns sofort hinfahren.“ Noch am gleichen Tag kündigte Schumeiyko seine Arbeit als Geschäftsführer einer kleinen Handelsfirma und zog in die Revolution.
Bei den Kämpfern auf dem Maidan in Kiew sei er immer einer der Ersten gewesen. An vorderster Front habe er gekämpft, Auge in Auge den verhassten Polizisten der Sonderpolizei Berkut auf der Gruschewskaja-Straße gegenübergestanden. Die beste Zeit seines Lebens sei der Maidan gewesen, sagt Schumeiyko begeistert ein Jahr danach, auf Krücken gestützt und auf dem rechten Auge blind. Am 22. Januar hat ihn ein Gummigeschoss der Berkut am Auge schwer verletzt, mehrfach musste er operiert werden.
Die schlimmsten Tage seien die gewesen, als er den Maidan verlassen und ein Fieber in seiner Heimatstadt auskurieren musste. Im Fernsehen habe er mitansehen müssen, wie seine Freunde gegen Janukowitsch kämpften. „Mein Körper war zu Hause im Bett, doch meine Seele war immer auf dem Maidan.“
34, hat erst auf dem Maidan gekämpft, dann mit den Paramilitärs gegen die Separatisten: „Der Geist des Maidan lebt weiter“.
Ende Mai schloss er sich dem Freiwilligenbataillon Donbass in der Ostukraine an. Russland habe die Ukraine überfallen, die Krim annektiert. Da dürfe man die bedrohte Heimat nicht im Stich lassen. Am 4. Juni begann sein Einsatz im Kampfgebiet. „Auch dort habe ich keine Angst gehabt, nicht als wir bombardiert wurden, nicht in brennenden Häusern und brennenden Panzern. Nur eines habe ich gedacht: Ich möchte noch einmal meine Freundin vom Maidan anrufen und sie um Verzeihung bitten“, sagt Schumeiyko, den seine Kampfgefährten wegen seiner Beziehungen Romeo nannten.
„Das Bataillon Donbass ist das am meisten gefürchtete, deswegen bin ich dorthin“, sagt er. „Zivilisten haben wir nie angegriffen.“ Im ersten Kampf ist sein Freund gestorben, am Unabhängigkeitstag, dem 24. August, wurde er selbst schwer am Bein verletzt. Als er eines Tages neben seinem Krankenbett eine kugelsichere Weste entdeckte, die jemand vergessen hatte, zog er sie an. „Nun war ich psychologisch für eine Zeit lang meinen Freunden im Donbass etwas näher.“
Nein, er bereue nichts, weder seine Teilnahme auf dem Maidan noch seinen Einsatz im Krieg im Bataillon Donbass, sagt Schumeiyko, der seitdem nur auf Krücken gehen kann. Wenn er jetzt aufhöre, sei alles umsonst gewesen. Der Geist des Maidan lebe weiter im Kampf gegen Korruption und egoistische Politiker. „Vor den Wahlen versprechen uns die Politiker das Blaue vom Himmel, doch kaum sitzen sie in ihren warmen Sesseln, haben sie ihre Versprechen vergessen. Wir müssen den korrupten Politikern und Beamten Feuer unterm Hintern machen. Sie dürfen keine Zeit zum Ausruhen haben, müssen endlich das tun, was das Volk will.“
Neue Wahl: Staatschef Petro Poroschenko hat im August das Parlament verfassungsmäßig aufgelöst. Er selbst war im Mai mit 55 Prozent der Stimmen gewählt worden, konnte aber keine Parlamentsmehrheit für eine Regierung organisieren.
Kandidaten: Zur Wahl stehen 29 Parteien, beste Chancen hat die Poroschenko-Partei mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko als Spitzenkandidat. Zweitstärkste Kraft wird laut Umfragen die Nationalistenpartei von Oleg Liaschko.
Entscheidung: Die 36,5 Millionen Wahlberechtigten entscheiden darüber, ob Poroschenko seinen umstrittenen Friedensplan umsetzen kann. Im September hatte er mit Russlands Präsident Putin ein Abkommen ausgehandelt, mit dem ein dauerhafter Waffenstillstand mit den Separatisten im Osten des Landes besiegelt werden sollte.
Keine Wahl: In den von prorussischen Separatisten kontrollierten Ostgebieten finden keine Wahlen statt. Etwa 2 Millionen Ukrainer können daher nicht an der Wahl teilnehmen. Die zwölf Abgeordnetensitze der Krim werden nicht besetzt, da Russland die Krim annektiert hat. Die Ukraine will die Parlamentswahl dort nachholen, wenn die Krim wieder zur Ukraine gehört.
Schumeiyko kämpft nun mit Worten. Er hält Vorträge vor Schülern und Soldaten, spricht im Fernsehen und im Radio. Denn: „Ich hoffe sehr, dass ich durch meinen heutigen Einsatz mit dazu beitragen kann, dass eine neue Generation von echten Patrioten heranwächst.“
***
Der Sozialist
Rote Fahnen wehen schon lange nicht mehr vor dem Parteibürod er ukrainischen Sozialisten in der Gruschewskaja Straße, direkt gegenüber dem ukrainischen Parlament. „Leute vom rechten Sektor haben sie immer wieder abgerissen“, sagt Igor Panjuta, der jeden Tag das Büro als erster betritt und als letzter verlässt. Auch die Fenster sind zu jeder Jahreszeit geschlossen. Immer wieder knallen Tomaten oder Eier von rechten Gegnern an Fensterscheiben und Wand.
Igor Panjuta arbeitet hauptamtlich für die kleine sozialistische Partei der Ukraine. „Ich war von Anfang an auf dem Maidan dabei, jeden Tag war ich dort, drei Monate lang. Ist doch klar, dass ich dabei bin, wenn die Menschen gegen einen reaktionären Präsidenten und Oligarchen auf die Straße gehen“, sagt Sozialist Panjuta.
„Die Eurointegration ist ein unaufhaltsamer Prozess, in den früher oder später auch Russland eingebunden werden wird. Natürlich sind wir Sozialisten für Europa. Doch unser Motto war: Europa in der Ukraine aufbauen“, sagt Panjuta. Und dies bedeute, dass man erst mal im eigenen Land klare Verhältnisse schaffen muss.Die Ukraine müsse mit den feudalen und von Oligarchen dominierten Strukturen Schluss machen.
Mit dieser Position habe man sich zwischen alle Stühle gesetzt. Euro-Romantiker und die Anhänger der Volksrepubliken im Donbass in der Ostukraine machen den gleichen Fehler, analysiert Panjuta. Beide hoffen, dass andere die Kastanien für sie aus dem Feuer holten. Damit blende man das Hauptproblem des Landes aus: die Korruption und die Allmacht der Oligarchen.
Auf dem Maidan hätten viele Linke teilgenommen, doch sie haben auf eigene Faust gehandelt, hat Panjuta beobachtet. Die Führungen der linken Parteien und Organisationen seien im entscheidenden Augenblick abgetaucht und hätten so das Feld den Rechten überlassen. Diese hätten es dann auch geschafft, den Zorn gegen Janukowitsch in eine eigene Machtübernahme umzumünzen.
Bis zum 22. Februar hatten Panjuta und einige Dutzend Linke die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch Einfluss auf die Maidan-Bewegung nehmen zu können. Ihre Vision: Der Maidan solle die soziale Frage auf die Tagesordnung setzen, sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen und den Oligarchen die rote Karte zeigen. Für Panjuta ist der Maidan gescheitert. Die Oligarchen hätten es geschickt verstanden, den Maidan für ihre Zwecke zu nutzen. Eine Bewegung, die in riesigen Sprechchören „Tod den Feinden“ rufe, sei auch für Europa eine Belastung.
52, ist Funktionär der Sozialisten und war drei Monate lang auf dem Maidan: „Wir müssen die Allmacht der Oligarchen begrenzen.“
Letztlich seien spontane Revolutionen meistens zum Scheitern verurteilt. Dies zeige auch das Beispiel des Arabischen Frühlings. Es sei ein Fehler gewesen, sagt Panjuta, die Protestbewegung des Maidan gegen die Protestbewegung im Donbass auszuspielen.
Er selbst stammt von der Krim, die Russland zunächst im Februar 2014 militärisch besetzt und sich dann mit einem Referendum einverleibt hat. Seit März gehört die Krim faktisch zu Russland. Beide Protestbewegungen seien doch aus Unzufriedenheit über die sozialen Ungerechtigkeiten entstanden. Und beide haben bald Abstand von ihren sozialen Forderungen genommen.
Wirklich erfolgreich, sagt Panjuta, könne eine Protestbewegung in der Ukraine nur sein, wenn sich die Menschen aus der Ostukraine und der Westukraine gemeinsam für soziale Gerechtigkeit einsetzten. Gemeinsam müssten sie das Grundübel des reichen Landes bekämpfen – die grenzenlose Macht der Oligarchen.
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