Wahl in Tansania: Frust über Armut und Korruption
Nach über 50 Jahren an der Macht könnte die Partei des Freiheitshelden Julius Nyerere abgewählt werden. Doch die Strategie der Opposition birgt Risiken.
Es herrscht große Aufregung im sonst verschlafenen Tansania. Die Wahlen am kommenden Sonntag können historisch werden, weil es die reale Möglichkeit gibt, dass zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1961 die sozialistische Regierungspartei CCM (Partei der Revolution) verliert. „Ich wurde unter der Herrschaft der CCM geboren und habe nicht die Absicht, darunter auch zu sterben. Veränderung ist notwendig“, artikuliert der Student Bob Kaheta die Meinung vieler.
Mehr und mehr der rund 50 Millionen Tansanier sind es satt, dass es trotz guter Wachstumsraten keine Aussicht auf Verbesserung des Lebens der Durchnittsbürger gibt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung muss nach wie vor von höchstens einem Euro pro Tag leben, die Grenze zur absoluten Armut. Arbeitslosigkeit ist hoch, die grassierende Korruption in der Regierung lässt viele Tansanier der Regierungspartei und dem bisherigen Präsidenten Jakaya Kikwete, der nicht wieder kandidiert, den Rücken kehren.
Vor zehn Jahren bekam die CCM noch 80 Prozent der Stimmen. Bei den letzten Wahlen im Jahr 2010 waren es 60 Prozent. Jetzt wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Nur die konservative Landbevölkerung, mit dem Establishment vernetzte Geschäftsleute und ältere Menschen stehen immer noch loyal zur Partei, die einst der afrikaweit verehrte Unabhängigkeitsheld Julius Nyerere gründete.
Der Norden Tansanias um Arusha ist traditionell eine Hochburg der Opposition. Mopedtaxis fahren fast alle herum mit der rot-weiß-blauen Fahne der Chadema (Partei der Demokratie), der größten Partei der Oppositionskoalition. Riesige Banner zeigen ihren Kandidaten Lowassa.
Lowassas Chancen sind auch deshalb gut, weil er noch zu Jahresanfang als der kommende Präsidentschaftskandidat der CCM galt. Aber die Partei war sich uneinig und nach viel Gerangel erhielt keiner der Favoriten die Nominierung. Spitzenkandidat wurde der weithin unbekannte Straßenbauminister John Magufuli. Empört liefen Lowassa und andere CCM-Schwergewichte zur Opposition über, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden.
Aber es gibt Haken. Der wichtigste Slogan der Opposition lautet: „Kampf gegen Korruption“. Aber Lowassa wurde während seiner kurzen Zeit als Ministerpräsident mit einem gigantischen Korruptionsskandal in Verbindung gebracht: Die US-Firma Richmon lieferte im Jahr 2006 bestellte Stromgeneratoren nicht, doch Lowassa bezahlte sie trotzdem und versuchte, den Vertrag zu verlängern, bis die Empörung zu groß wurde und er abtreten musste. Heute sagt er, man habe ihn damals falsch informiert.
„Wir behalten einander im Auge“
„Die Opposition untergräbt ihre eigene Antikorruptionsagenda“, meint dazu Politikwissenschaftler Mike Kiishweko. „Das liefert der CCM Munition.“ Deren Kandidat Magufuli sagt, mit Lowassa hätten korrupte Elemente die Regierungspartei verlassen. Das jüngste Mitglied des tansanischen Parlaments ist Joshua Nassari. Er gehört zur Opposition und glaubt an Lowassas Unschuld. Außerdem: „Wenn wir gewinnen, ist die gesamte Opposition in der Regierung. Wir behalten einander im Auge.“
Nassari gibt Anweisungen für den Aufbau einer Bühne, von der er und Lowassa vor einer Menschenmenge sprechen werden. Der 30-jährige Abgeordnete ist sich seiner Wiederwahl fast sicher. Er ist nicht nur in seinem Wahlkreis bei Arusha beliebt, sondern wird landesweit als Vertreter der Jugend anerkannt. Auf der Veranstaltungswiese sieht Nassari in Anzug und Krawatte ganz anders aus als die anderen jungen Menschen in Jeans und T-Shirts. Aber viele begrüßen ihn wie einen Freund. Er ist einer von ihnen.
Nassari erklärt die Flucht von Politikern zur Opposition mit Worten des Landesvaters. „Julius Nyerere hat selbst gesagt, dass Menschen, die Veränderung wollen und diese nicht in der CCM finden, sie woanders suchen sollen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs