Wahl im Iran: Hauptsache Kreuzchen machen
Der Iran wählt am Freitag ein neues Parlament. Schon jetzt steht fest: Die Konservativen werden ein Comeback feiern, Ruhani verliert an Unterstützung.
Dabei geht es bei der Wahl gar nicht darum, welche Partei die Mehrheit bekommt. Nach der Zurückweisung Tausender Kandidaten durch den Wächterrat steht schon so gut wie fest, dass die Konservativen und Hardliner nach fast sieben Jahren wieder eine Wahl gewinnen und das künftige Parlament dominieren werden. Noch nie in der Geschichte der Islamischen Republik hat der Wächterrat so rigoros Reformer und Gemäßigte von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen.
Vielmehr geht es diesmal um die Wahlbeteiligung. Die Mobilisierung der Massen ist für das Regime von existenzieller Bedeutung. Sie ist der wichtigste Trumpf der Machthaber, mit dem sie ihre Legitimation gegenüber der Opposition im Inland und den „Feinden“ im Ausland begründen können. Tatsächlich war das Regime in den vergangenen vierzig Jahren in der Lage, zu jedem beliebigen Anlass Millionen auf die Straße zu bringen.
Ob dies auch diesmal gelingen wird, ist fraglich. Die Ereignisse der vergangenen Monate haben die Gesellschaft gespalten und Misstrauen gegenüber der Staatsführung erzeugt. Bei der Niederschlagung von Massenprotesten im November wurden nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf Informanten im iranischen Innenministerium beruft, rund 1.500 Menschen getötet. Im Januar folgte als Reaktion auf die Tötung von General Qasim Soleimani durch die USA der versehentliche Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine. In der Folge wurde die iranische Bevölkerung drei Tage lang belogen und betrogen.
Reformer aussortiert
Zu alledem kam im Vorfeld der Wahl noch die Ablehnung Tausender Kandidaten, die sich um einen Sitz im Parlament bewerben wollten. Der von konservativen Geistlichen und Hardlinern dominierte Wächterrat, der bei allen Wahlen über die Eignung der Kandidaten entscheidet, hat mehr als die Hälfte der ursprünglich 14.500 Kandidaten als nicht geeignet eingestuft.
Die Säuberung betrifft die Reformer und Gemäßigten besonders stark. Berichten zufolge wurden von 762 Bewerbern, die zu den Reformern gezählt werden, nur 44 zugelassen. Einer Erklärung der Reformer zufolge sind bereits vor der Wahl 160 von insgesamt 290 Sitzen im Parlament an Konservative vergeben worden. Denn in einigen Wahlbezirken haben die Wähler nur die Wahl zwischen konservativen Kandidaten. In anderen gibt es nur einen Kandidaten aus dem Kreis der Konservativen oder Hardliner.
Die Zeitung Etemad schrieb, mit dieser Vorauswahl werde die Wahl zu einer „internen Abstimmung unter Hardlinern“. Unter den abgelehnten Kandidaten befinden sich auch zahlreiche Abgeordnete, die derzeit noch ein Mandat im Parlament haben. Die Reformer werden wohl nicht einmal in der Lage sein, eine Liste für die dreißig Sitze für die Hauptstadt Teheran zu präsentieren.
Revolutionsführer Ali Chamenei
Wegen der Vorauswahl, die der Wächterrat trifft, waren die Wahlen schon immer eine Farce. Hinzu kommt, dass das Parlament im Machtgefüge des Iran ohnehin kaum eine Rolle spielt. Dennoch sollte bislang die Existenz des Parlaments, in dem verschiedene Fraktionen vertreten sind, zumindest auf das republikanische Element in der Staatsordnung deuten.
Doch offenbar sind die Konservativen und Hardliner mit Revolutionsführer Ali Chamenei an der Spitze entschlossen, nun auch das Parlament zu monopolisieren. Damit riskieren sie, dass die Wahlbeteiligung so niedrig ausfällt wie noch nie, dass die Proteste im Land weiter zunehmen und sich die Konfrontation mit den USA weiter zuspitzt.
Ruhani überrascht mit Aufruf zur Wahl
In einer anbiedernden Rede hatte Chamenei vergangene Woche an das Nationalgefühl der Iraner appelliert. „Es kann sein, dass jemand mich nicht mag, aber wenn er seine Heimat liebt, muss er wählen gehen.“ Selbst jene, die nicht religiös oder revolutionär motiviert seien, sollten wissen, dass eine hohe Wahlbeteiligung eine Garantie für Sicherheit und Stabilität sei. Scharfe Kritik übte er an Kritikern des Wächterrats. „Die Wahlen im Iran gehören zu den saubersten und korrektesten der Welt.“
Am Dienstag fügte er hinzu, die Teilnahme an Wahlen sei nicht allein eine „nationale und revolutionäre Pflicht“, sondern auch eine „religiöse Pflicht“. Er forderte die Wähler auf, bei ihrer Wahl wachsam zu sein und nur für integre Kandidaten zu stimmen. „Denn es hat immer wieder Abgeordnete gegeben, die heute zu Dienern und Dienerinnen der Amerikaner und Feinden Irans geworden sind.“
Erstaunen erweckten Äußerungen von Präsident Hassan Rohani. Während er in den Wochen zuvor den Wächterrat scharf kritisiert hatte und aufforderte, unparteiisch zu handeln, rief auch er wenige Tage vor der Wahl dazu auf, wählen zu gehen. Sollte es in einigen Bezirken keinen Kandidaten geben, von dem man überzeugt sei, solle man einen anderen wählen. „Wir sind doch alle Iraner“, sagte der Präsident. Fürchtet er, dass das neue Parlament ihn aus dem Amt jagen wird?
Rohani war in der Präsidentschaftswahl 2013 gewählt und 2017 wiedergewählt worden. Bei der Parlamentswahl 2016 konnten die moderaten Kräfte um ihn herum überraschend auch die Mehrheit im Parlament erringen. Eine Rückkehr der Konservativen könnte sein letztes Amtsjahr jetzt zur Tortur machen. Rohani war die treibende Kraft hinter dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran. Die damit verbundenen Hoffnungen der Menschen haben sich aber zerschlagen, nachdem die USA 2018 aus dem Vertrag ausstiegen und neue Iran-Sanktionen verhängten.
Die dramatischen Ereignisse der letzten Monate und die Vorgänge um die anstehende Parlamentswahl könnten für das Schicksal des Iran entscheidend sein. Vor allem, weil alle jene, die die Hoffnung hatten, die Islamische Republik ließe sich mit Reformen zu einer Demokratie umwandeln, ihre Illusionen aufgegeben haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP