Waffen in den USA: „Das kann niemand mehr tolerieren“
Lori Haas' Tochter wurde bei einem Amoklauf vor fünf Jahren an der Virginia Tech verletzt. Seitdem kämpft sie für strengere Waffengesetze in den USA.
taz: Frau Haas, vor fünf Jahren wurde Ihre Tochter bei dem Amoklauf an der Virginia Tech schwer verletzt. Können Sie beschreiben, wie jetzt die Situation der Angehörigen der Opfer in Newtown ist?
Lori Haas: Ich glaube nicht, dass irgend jemand die richtigen Worte hat, um das zu beschreiben. Es ist zu schrecklich. Es ist Furcht und Schmerz und Seelenqual.
Sie organisieren an diesem Wochenende in Ihrer Stadt Richmond in Virginia eine Kerzenwache für die Opfer von Newtown. Gibt es in etwas, womit Außenstehende den Angehörigen und den Opfern helfen können?
Unterstützung zeigen, beten, Beileidskarten schicken, Mahnwachen für die Opfer abhalten – das alles ist wunderbar. Und es kommt von Herzen. Aber ich denke, was Leute in diesem Land vor allem tun können, ist, ihre gewählten Vertreter dazu zu zwingen, dass sie aktiv werden. Um die Opfer zu ehren. Und um sicher zu stellen, dass es keine weiteren Opfer in der Zukunft gibt. Die Politiker müssen einen Plan vorlegen.
Präsident Barack Obama hat von „bedeutungsvollen Aktionen“ gesprochen. Ist das ausreichend?
Ich möchte Vertrauen haben und ich hoffe und ich bete, dass er hinter seinen Worten steht. Und dass er es ernst meint, wenn er „Aktion“ sagt. Es gibt konkrete Schritte, die wir tun können, um die Morde zu stoppen, die an jedem Tag in diesem Land stattfinden.
54, ist die Mutter von Emily, die bei der Schießerei an der Universität Virginia Tech, am 17.4.2007 mit zwei Kugeln in den Kopf verletzt worden ist. Lori Haas ist in der „Coalition to StopGunViolence“ in Washington DC aktiv, die für Schusswaffenkontrolle eintritt. Bei der Schiesserei in Virginia Tech sind 32 Menschen gestorben. Lori Haas' Tochter hat überlebt. Sie ist heute verheiratet und arbeitet als Lehrerin.
Welche Schritte meinen Sie?
Wir müssen die Schusswaffen von unseren Straßen holen. Killerwaffen gehören nicht in jedermanns Hände. Das sind Waffen für Militärs, die damit umgehen können. Wir müssen die Überprüfung der Hintergründe verbessern, wir müssen alle Waffenkäufer und alle Waffenverkäufer kontrollieren, und wir müssen Schnellfeuerwaffen und Hochleistungsmagazine verbieten. Wir müssen auch daran arbeiten, unsere Familien und unsere Gemeinden von Waffengewalt freizuhalten.
Woran liegt es, dass es in den USA so viel Toleranz für Waffen und Waffenbesitz gibt?
Das trotzt jeder Intelligenz. Das gehört nicht in eine zivilisierte Gesellschaft. Es macht keinen Sinn. Wir sind klüger, menschlicher und teilnahmsvoller als das. Wir haben Lobbyisten, die unsere gewählten Vertreter im Würgegriff halten. Ich hoffe, dass sie ignoriert werden. Und dass ihr Einfluss zerdrückt wird. Sie wollen ausschließlich Geld machen. Nichts anderes. Ihnen geht es nicht um die Beteiligung an der Debatte.
Wer ist diese Lobby?
Die NRA – die National Rifle Association (mit 4,3 Millionen Mitgliedern, d. Red.). Wayne LaPierre ist ihr Sprecher. Er ist ein hoch bezahlter Lobbyist. Alles, was er will, ist Waffen zu verkaufen. Egal, wen sie verletzen und wie viele sie töten. Er will sein Gehalt haben. Eine Meinungsumfrage im Juli zeigt, dass selbst drei von vier NRA-Mitgliedern für eine Überprüfung des Hintergrunds bei allen Waffenkäufern sind. Aber die Führung und die Lobbyisten der NRA ignorieren das. Dabei hindern solche Überprüfungen ausschließlich illegale Käufer am Waffenerwerb.
Warum verlangen Sie nicht ein generelles Verbot von Feuerwaffen in Privathänden?
Ich persönlich benötige keine Feuerwaffen. Aber die Realität ist, dass Schießen, Sportschießen und Jagen in dieser Gesellschaft dazu gehören. Ich glaube, das wird noch lange Zeit so bleiben. Wir müssen die erste Hürde nehmen, und die Überprüfungen verbessern. Das ist unsere Tagesordnung.
Sie scheinen zu glauben, dass aus diesem schrecklichen Ereignis an der Sandy Hook Grundschule ein positiver Impuls ausgehen könnte.
Mein Gott. Wir haben 20 erschossene Fünfjährige. Das kann niemand tolerieren. Da wird die Forderung nach Schusswaffenkontrolle immens werden. Seit Juli hatten wir in Amerika die Massenschießerei im Kino in Aurora, dann in dem Sikh-Tempel in Wisconsin, dann sechs Tote in Minnesota, dann eine Schießerei in einem Kurbad mit sechs getöteten Frauen und in dieser Woche eine Schießerei in einem Einkaufszentrum.
Die großen US-Medien sprechen mehr von Prävention und von der Psychologie der Täter, als von Waffenkontrolle.
Einige fortschrittliche Sender haben darüber geredet. Aber natürlich wird es in den nächsten Tagen zunächst darum gehen, was passiert ist und um die Opfer. Aber niemand kann die Notwendigkeit von Waffenkontrolle in dieser Gesellschaft ignorieren.
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