Wärme- statt Erdgasförderung: Gasbohren hatte doch einen Sinn
Aus einen ehemaligen Erdgasbohrloch will die niedersächsische Gemeinde Munster künftig Erdwärme fördern. Das könnte ein Modell fürs ganze Land sein.
Erdwärme – Geothermie – hat gegenüber anderen erneuerbaren Energiequellen den Vorzug, dass sie konstant verfügbar ist und nicht mit Wind und Wetter schwankt. Dafür ist ihre Erschließung technisch aufwendig und riskant. Denn es ist unklar, ob eine Bohrung überhaupt fündig wird und in manchen Gegenden kommt das Risiko von Erdverwerfungen hinzu.
Die Gemeinde Munster muss sich hierzu keine Gedanken machen. „Das Risiko, nichts zu finden, ist weg“, sagt Jan Niemann, der Geschäftsführer der Stadtwerke. Denn das 4.500 Meter tiefe Bohrloch gibt es ja schon und es reicht in eine Schicht, in der sich seit Jahren 147 Grad heißes Wasser findet. Dass sich hiermit Erdwärme erschließen lasse, sei zu mehr als 99 Prozent sicher, sagt Niemann. Die größte offene Frage sei, ob das Gestein dort unten – sogenanntes Rotliegendes – grobporig genug sei, um eine Förderrate von mindestens 30 Litern pro Sekunde zu ermöglichen.
Sollte das der Fall sein, stünde der schönen neuen Energiezukunft in Munster nichts mehr im Wege. Nicht nur zwölf Megawatt Wärme für Wohnungen und Kasernen, sondern auch zwölf Megawatt Strom ließen sich hier CO2-neutral gewinnen. Der Strom wäre das Sahnehäubchen auf dem Projekt, denn meistens reichen die Bohrungen nicht so tief und können deshalb kein Wasser fördern, das heiß genug wäre, um damit eine Stromturbine zu betreiben.
Nahezu unerschöpfliche Energiequelle
Um die Erdwärme fördern zu können, brauchen die Stadtwerke Munster/Bispingen allerdings noch ein zweites viereinhalb Kilometer tiefes Bohrloch, durch welches das abgekühlte Wasser von der Erdoberfläche in einem geschlossenen Kreislauf wieder in die Tiefe gepumpt wird. Bevor das gebohrt wird, soll aber noch ein umfangreicher Test gemacht werden. „Man hat eigentlich alles“, sagt Stadtwerke-Geschäftsführer Niemann, „aber man möchte eine letzte Gewissheit haben“.
Verständlich – schließlich schätzt Niemann die Investitionssumme auf 45 Millionen Euro. 7,1 Millionen davon gibt das Land Niedersachsen – rückzahlbar, wenn das Projekt ein Erfolg wird. Mit dem Geld würden 90 Prozent des „Fündigkeitsrisikos“, also der Kosten für den finalen Test, abgedeckt, sagt das Ministerium.
„Die Geothermie bietet uns die Möglichkeit, erneuerbare Wärme aus einer umweltfreundlichen und nahezu unerschöpflichen Energiequelle zu gewinnen“, sagt Meyer. Sein Ministerium habe deshalb die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Geothermie aus dem Wirtschaftsförderfonds unterstützt werden könne. Das Pilotprojekt in Munster stehe kurz vor der Förderzusage.
Die Stadtwerke Munster hoffen, noch in diesem Jahr das Bohrloch von Exxon übernehmen zu können. Für beide Seiten wäre das ein Gewinn: Die Stadtwerke sparten sich eine von zwei Bohrungen und könnten von Exxons Know-how profitieren. Exxon könnte es sich ersparen, das Bohrloch verfüllen zu müssen.
Das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hat insgesamt zwölf sogenannte Erlaubnisfelder zum Suchen von Erdwärme vergeben. Auch andere Regionen und Gemeinden sind nach Angaben des Ministeriums interessiert, etwa die Insel Borkum.
Ein weiteres konkretes Vorhaben gibt es in Bad Bevensen. Die Stadt will bis zu 3.000 Metern tief bohren lassen, um herauszufinden, ob das Wasser im Erdinneren heiß genug wäre, um ihre Kureinrichtungen – zunächst zwei Kliniken und eine Therme – mit Wärme zu versorgen.
Ehemalige Bergwerke als Möglichkeit
Weil die Temperatur mit jedem Meter steigt, mit dem man ins Erdinnere vordringt, prüft das LBEG auch, ob ehemalige Bergwerke zur Wärmegewinnung genutzt werden können. Es fungiert nicht nur als Bergbehörde, die die alten Stollen und Schächte sichern muss, sondern intelligenterweise auch als Niedersächsischer Geothermiedienst (NGD).
Als solcher prüft es, ob der Schacht des 1925 stillgelegten und gefluteten Bergwerks Steinförde südöstlich von Wietze im Landkreis Celle genutzt werden könnte. Der Schacht sei lediglich geflutet. „Sollte sich das ehemalige Kalibergwerk für Tiefengeothermie eignen, müsste es nicht im Sinne der Gefahrenabwehr verfüllt werden und könnte von einem Betreiber für die geothermische Nachnutzung übernommen werden“, sagt LBEG-Präsident Carsten Mühlenmeier. Allerdings handele es sich vorerst um rein theoretische Überlegungen.
Der Bundesverband Geothermie zählt derzeit 39 Heiz- und zwölf Kraftwerke, die ihre Wärme aus mehr als 400 Metern Tiefe beziehen. Dazu kommen mehr als 440.000 oberflächennahe Erdwärme-Systeme. Die meisten Anlagen gibt es in Süddeutschland. Aber auch in Hamburg ist ein Tiefengeothermieprojekt in Arbeit. Unter dem Stadtteil Wilhelmsburg ist in 1.300 Metern Tiefe Thermalwasser nachgewiesen worden. Im vergangenen Sommer hat eine zweite Bohrung begonnen, die Aufschluss über eine mögliche geothermische Wärmegewinnung geben soll.
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