■ Während immer neue Geheimkonten auffliegen, versucht die CDU mit Fragebögen, Täter von Mitläufern zu unterscheiden. Die Entkohlifizierung der Partei hat begonnen. Der zwielichtige Ehrenvorsitzende kam durch den Hintereingang zur Krisensitzung: Wichtig ist, wer hinten reinkommt
Es ist der Nachmittag, an dem Helmut Kohl geschrumpft ist. Der Vorgang hat sich fast unmerklich vollzogen, sofern das im Angesicht von zwei Dutzend Fernsehkameras möglich ist, und mit Schwarzgeldkonten hat er erstmal nur indirekt zu tun. Der Riese von Oggersheim ist dadurch geschrumpft, dass er an einem Ecktisch Platz genommen hat. Ob der CDU-Ehrenvorsitzende freiwillig dort sitzt, oder weil die neue Parteispitze hurtig die besseren Plätze mit Beschlag belegte, lässt sich nicht ausmachen. Letztlich ist es unerheblich, früher jedenfalls wäre das nicht denkbar gewesen. Demokratie besteht zu 90 Prozent aus Sitzungen. Dort ist ein Hufeisen aus Tischen die Bühne zur Machtentfaltung. Am Hof von König Kohl war klar, wem der Platz im Zentrum gebührte. Dieser Mann braucht einen Stuhl an der Stirnseite wie Ludwig XIV. seine Freitreppen. In einigen Minuten will der CDU-Vorstand sich mit der größten Krise der Partei seit langem befassen – und schon die Sitzordnung lässt ahnen, dass Helmut Kohl heute nicht seine alte Wirkung entfalten wird.
Kommt er oder kommt er nicht? Bis zum letzten Moment hat Helmut Kohl die Frage offen gelassen. Ein Mitarbeiter des Adenauer-Hauses sieht darin eine politische Botschaft. Vielleicht wolle der Ehrenvorsitzende seiner Partei noch ein Mal zeigen: Auf mich kommt es an – immer noch und selbst wenn ich der Urheber Eures Ungemachs bin. Nun mag es sich in der Tat um die Ego-Spiele eines unterbeschäftigten Rentners handeln; die SPD kennt solche Mätzchen vom Schwanken Oskar Lafontaines, am Berliner Parteitag teilzunehmen. Dass selbst ein Hauptamtlicher in der CDU-Zentrale diesen Verdacht hegt, zeigt aber zugleich, wie selbst in Kohls Partei das Bild vom gütigen Patriarchen immer mehr von Zügen eines Despoten überlagert wird.
Dabei braucht die CDU Helmut Kohl an diesem Mittwoch tatsächlich. Alle Versprechen des neuen Parteichefs Wolfgang Schäuble, für rasche Aufklärung zu sorgen, hängen an Kohls Aussagebereitschaft. Paradoxerweise braucht die CDU aber Helmut Kohl auch, um sich von Helmut Kohl zu befreien. Er ist die Verkörperung des Geistes, den Schäuble und seine Generalsekretärin Angela Merkel ihrer Partei austreiben wollen. Fehlt er am heutigen Tag, ist der Versuch einer Selbstreinigung der Partei von vornherein gescheitert.
Als er schließlich kommt, steuert sein dunkelblauer Mercedes direkt in die Tiefgarage. So groß ist das Bemühen der Partei, ihn vor Zudringlichkeiten zu schützen, dass das Rollgitter sich hinter dem Mercedes senkt, noch ehe das Begleitfahrzeug folgen kann. „Informations- und Werbematerial der CDU“ wird hier geliefert und abgeholt, verrät ein Schild am Eingang der Tiefgarage. Insofern ist dies durchaus der passende Eingang für Helmut Kohl, schließlich kannte die Partei lange Jahre keinen besseren Werbeträger als ihn.
Dann tagt die Partei, zweimal hintereinander, erst das Präsidium und dann der Vorstand, sechs Stunden insgesamt. Dazwischen eilen die Mitglieder beider Gremien vom einen in den anderen Saal. Zu Beginn des Tages hatte Rainer Eppelmann, der Vorsitzende der Sozialausschüsse, gespottet: „Ich hoffe, dass wir heute noch klüger werden, als wir das schon sind.“ Nach der Präsidiumssitzung kommt ihm kein Wort mehr über die Lippen. Mit gefrorenen Gesichtern, vor allem aber stumm, schieben sich auch Ex-Generalsekretär Rühe und Helmut Kohl an der Presse vorbei. Von „einer sehr gründlichen Sitzung“ spricht Schäuble hinterher auf einer Pressekonferenz. Alle seien sich einig gewesen, „insbesondere unser Ehrenvorsitzender Helmut Kohl“, alles zu tun, um zur Aufklärung beizutragen. Jede Erörterung des Problems Helmut Kohl lehnt Schäuble ab. „Es wird kein Scherbengericht geben“, hatte schon vor der Sitzung ein Teilnehmer vermutet.
Wie die CDU dennoch langsam von ihrem Ehrenvorsitzenden abrückt, lässt sich bestenfalls aus Zwischentönen heraushören. Bemerkenswert ist immerhin, wie selbst harmlose Fragen zu Antworten führen, die den Ehrenvorsitzenden beunruhigen sollten. Da ist zum Beispiel die Frage, ob sich nicht gerade Angela Merkel zerrissen fühlt, zwischen der Loyalität gegenüber ihrem einstigen Mentor Helmut Kohl und ihrem Auftrag, die Partei aus seinem Schatten zu führen? „Sie fühlt sich vor allem verantwortlich für die 640.000 Mitglieder“, sagt jemand, der mit ihr zusammenarbeitet. Im Zweifelsfall, soll das wohl heißen, ist der Generalsekretärin die CDU der Zukunft wichtiger als die Funktionäre der Vergangenheit, sei es auch ein Ehrenvorsitzender.
Nach außen hin beharrt die CDU darauf: Dies ist eine Partei, die nichts zu verbergen hat. Wer daran zweifelt, braucht nur einen Blick in den Schaukasten am Konrad-Adenauer-Haus zu werfen. Da hängt ein Schwarzweißfoto, „Sitzungszimmer“ steht drangepinnt. Auf jedem Platz liegt eine Schreibmappe aufgeschlagen, blütenweiß das Papier. So sauber, so adrett haben viele CDU-Mitglieder ihre Partei gesehen, so wünschen sie sie sich bis heute. Nur das Telefontischchen im hinteren Zimmereck könnte Betrachter auf abwegige Gedanken bringen. Greift da womöglich ein Adjutant zum Hörer, um auf einen Wink des Vorsitzenden ein geheimes Räderwerk in Gang zu setzen?
Patrik Schwarz, Bonn
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