piwik no script img

Wählen im AlterGisela findet die AfD nicht schlimm

Was tun, wenn alte Bekannte auf einmal einem selbst verhasste Parteien wählen? Unsere Kolumnistin versucht cool zu bleiben.

Stimmabgabe: Früher war was linkes angekreuzt, und heute? Foto: Funke Foto Services/imago

F rüher hatte ich eine schlichte Theorie zur Frage: Wer wählt was im Alter? Aber als ich neulich mit Jugendfreundin Gisela beim Italiener saß, dämmerte mir: Es ist doch nicht so einfach. Meine alte Theorie ging so: Wer in seinem Leben viel Erfolg hatte und viel Geld verdiente, wählt dann nicht mehr links. Und umgekehrt.

Mein Bekannter L. zum Beispiel, 69, Chef einer großen Dienstleistungsfirma, lief früher auf Hausbesetzer- und Antikriegsdemos mit, eine aufgeschnittene Zitrone gegen das Tränengas in der Tasche. Heute hält er das Bürgergeld für „maßlos überzogen“ und der Kündigungsschutz behindere jede Personalpolitik. L. wählt CDU, „auch wenn das Flaschen sind“.

K. hingegen, 61, ist mit seiner Kneipe gescheitert, mühsam hält er sich mit einem kleinen Onlinehandel über Wasser. Ein Freund stellt ihn zum Schein in seiner Firma an, damit K. krankenversichert ist. Der Kapitalismus werde immer schlimmer, klagt K.. Es gehe weltweit nur um die Bereicherung und die Konsumenten merkten gar nicht, wie sie verarscht werden. Er wählt die Linkspartei.

Ich bin gegen die AfD und BSW. Mehr-fach habe ich schon aggressiv gegen-gehalten bei Gisela

Und was ist mit Gisela? Gisela, 70, hatte Psychologie studiert, war chronisch krank geworden und hatte dann in einer Beratungsstelle Obdachlose unterstützt. Bei Gisela, früher in linken Gruppen aktiv, habe ich einen Wandel beobachtet. 2015 fing es an. Ja, man solle die Syrer zwar unterstützen. Aber für die Obdachlosen hier tue man nichts, „das ist doch nicht in Ordnung“, hatte sie gesagt. Jetzt findet sie es „eine Sauerei“, dass ukrainische Männer im wehrfähigen Alter „hier Bürgergeld beziehen und in SUVs herumfahren“.

„Das hat doch Gründe, dass die AfD so viele Stimmen bekommt“, sagt Gisela, als wir nach der Lasagne beim Espresso angekommen sind, hier beim Italiener in Berlin-Spandau, wo sie in einer günstigen Wohnung mit Gartennutzung lebt. „Ich finde es unmöglich, wie die AfD verteufelt wird“, empört sie sich.

M. wählt schon länger AfD

Giselas Freundin M., 73, Witwe, Esoterikerin, Impfskeptikerin, Katzenfreundin und arabische-Männer-Hasserin, wählt schon länger die AfD. „Vor allem wegen der Migranten“, sagte M. mal, als wir uns zu dritt trafen. Unter „Migranten“ versteht sie dabei nicht die zwei Rumänen, die in Schwarzarbeit ihr Badezimmer fliesten. M. kümmert sich um eine kranke Nachbarin, deren Pflegedienst gekündigt hat. „Von solchen Leuten redet kein Mensch, die können verrotten“, empörte sich M., kaltherzig ist sie nicht.

Gisela findet einige der AfD-Vorschläge gut, wählt die AfD aber nicht, „die Nazis in der Partei stören mich“, sagt sie. Sie ist für das Bündnis Sahra Wagenknecht. „Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen. Nur gibt das keiner zu. Und die Geflüchteten sind nun mal ein Problem,“ meint Gisela.

Ich bin gegen die AfD und gegen das nationalistische BSW. Mehrfach habe ich schon aggressiv gegengehalten bei Gisela und mich dabei wie eine unfreiwillige Mitspielerin in einem Theaterstück gefühlt, in dem für mich nur eine sehr erwartbare Rolle übrig ist. Deswegen bleibe ich diesmal cool.

„Guck’ dir mal die Videos von Wagenknecht auf Tiktok an“, sage ich, „ein bisschen Dummenfang, aber geschickt. Fast könnte man drauf reinfallen. Aber nur fast“. „Ich wähle demnächst wie immer die SPD oder die Grünen“, setze ich nach, „ist auch ein Protest gegen AfD und das BSW mit ihren Millionenklicks“. Protest, das fand Gisela früher doch immer gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Also Gisela finde ich wirklich sympathisch!!!!!

  • Dem kann ich nicht widersprechen.

    Ich frage mich nur oft, woher die Menschen die feste Überzeugung nehmen, dass die AfD in der Praxis wirklich für Besserung sorgen wird. Große Versprechen zu machen ist schließlich das Lebensbrot aller Parteien, das man sich vor allem aus der Opposition heraus gut leisten kann.

    • @Waldreamer:

      Upps, das sollte eigentlich eine Antwort an DR. MCSCHRECK sein.

    • @Waldreamer:

      Völlig richtig und auch ich habe da sehr große Zweifel. Von den anderen Parteien *weiß* ich aus Erfahrung, daß sie ihre Versprechen sicher nicht halten werden. Und dann versprechen nicht alle dasselbe und manche Pläne klingen plausibler und durchführbarer als andere.

  • Ich erinnere mich an die Wählerwanderung bei der letzten Hessenwahl. Es liefen mehr Menschen aus dem linken politischen Spektrum zur AFD über als von den Konservativen. In der Realität passiert das vor meinen Augen wie folgt: Eigentümerversammlung einer Arbeiter Wohnanlage, viele ältere Arbeiter aus der Schichtarbeit von Bosch und der nahegelegenen Rasenmäherfabrik. Leute die sich das bisschen Sicherheit im Alter, in Form einer kleinen Eigentumswohnung, vom Mund abgespart haben. Die Verwalterin verkündet - um dem Gebäudeenergiegesetz Genüge zu tun, müsste sie pro Wohnung monatlich 800 Euro zusätzliche Instandhaltungsrücklage einfordern. Die SPD-Grüne Regierung verlangt per Gesetz, dass wenn eine Heizung in dem 18 Parteien Block kaputt geht, müssen ALLE Heizungen in allen Wohnungen ausgetauscht werden! Den alten Leuten blieb vor Schock der Mund offen stehen. Die Verwalterin meinte: "halten sie ihre Heizungen in Stand und hoffen sie auf eine andere Regierung". Unisono wollten diese ehemaligen SPD Wähler die AFD wählen.

    • @Noa Jordan:

      Auch wenn diese Verwalterin Blödsinn erzählt und die Forderung vollkommen überhöht ausfällt -- wenn die Zahl stimmt, wären das nach einem einzigen Jahr 9600 Euro pro Wohnung oder 172 800 für die Anlage, in zwei Jahren das Doppelte -- ist die Reaktion nicht völlig falsch. Jeder fleißige Steuerzahler, der nicht aus öffentlichen Kassen alimentiert wird, versteht sehr gut, wo alle die "Förderungen", "Zuschüsse" und "Entlastungen" am Ende herkommen und kann sich ausrechnen, was das für ihn selbst bedeutet.

  • Aus dem Leben - Danke!



    Ja, es ist erschreckend, wenn sich Leute derart wandeln .



    Scheint aber Altersunabhängig, wie an der Europawahl der "Jungen" zu erkennen war .



    Und wie wir an der Überlieferung z.B . durch Märchen erfahren, haben auch schon früher Menschen Ihre Seele an den Teufel verkauft.



    Ich hoffe, liebe Frau Dribbusch, dass es Viele gibt, wie Sie, und am Ende, wie im Märchen,



    "das Gute gewinnt"😉!

  • Ich bin überrascht, positiv überrascht, daß Frau Dribbusch ihren aggressiven Tonfall selbst erkennt und anspricht. Früher war das nicht so. Zwei sehr alte Freunde, ein strenger Katholik und ein Atheist, reden noch immer gern über Religion und noch immer mit großem gegenseitigem Respekt. Bei anderen Themen ist das nicht so.



    Vor einiger Zeit brachte ein älterer, gut bürgerlicher und gebildeter entfernter Bekannter von sich aus das Thema Trump auf. Ich vermeide es und sage, solange ich nicht direkt gefragt werde, in der Regel nichts dazu. Aus ihm, einem generell sehr ruhigen und höflichen Mann, sprudelte übergangslos ungehemmte Aggression und ein Tonfall haßerfüllten Vernichtungswillens. Mir macht das Angst, es kostete mich Beherrschung, nicht aufzustehen und wegzugehen. Und ja, ich beobachte so etwas nur von linker Seite, nie von rechts oder konservativ.



    Was ist denn da mit "gegen Haß und Hetze" und mit "aus Worten werden Taten"? Fehlt denen auf der "wir sind mehr" Seite wirklich jede Selbsterkenntnis und Selbstbeobachtung so völlig? Wie gesagt, Frau Dribbusch überrascht mich und überrascht mich sehr positiv. Danke dafür.

  • Ich musste auch mal eine mögliche ADi-Wählerin zumindest auf BSW hinweisen. Das war nach Abfrage der für sie wichtigen Punkte: Migrationsbeschränkung und weniger Leistungen auch beim Bürgergeld, aber grundsätzlich eigentlich sozial.



    Diejenige war familiär eine traditionelle SPD-Wählerin, dabei hochintelligent, summa cum laude, fleißig, selbstlos, aber aus bestimmten Erfahrungen geschöpft heraus war das ihr aktueller Punkt.



    Natürlich kann man dann anführen, dass ständig Einwanderergruppen in die Bundesrepublik kamen, von den Ostgebieten, Ostdeutschland, Balkan, Türkei, Russland, ... und irgendwann war's dann auch gut. Dass ohne das die Industrie nicht mehr da wäre und dass Menschlichkeit ohnehin weniger nach Nützlichkeit sortieren will. Dass laut Daten einige Bonzen das Geld abzocken, nicht die paar Sozialgeld-Filous. Dass ich mich aber gerne auch über die mit aufrege,



    Akzeptiert, dass mein erwachsenes Gegenüber aber eine bestimmte Wahlentscheidung hat, habe ich dabei. Ehrlich kam bei mir als Rat BSW heraus, die ich wegen des seltsamen National-Twists selbst kaum schätze.



    Fazit: ernst nehmen, Argumente bringen und hoffen. Im Kontakt bleiben.

  • Danke für den tollen Artikel!



    Ich würde mir viel mehr solcher Artikel wünschen, in denen man MIT Afd-Wählern redet statt über sie.

  • Wichtig an dem Artikel finde ich, dass man klar wird, warum Leute diese Parteien wählen und dass es real erlebte Gefühle der Ungerechtigkeit sind, die man durchaus nachvollziehen kann, je nach Gerechtigkeitsbegriff.

    • @Dr. McSchreck:

      Das erlebe ich auch so.

      Wenn (mutmaßliche) AfD-Symathisanten ihre Unzufriedenheit erklären, ist Gerechtigkeit ein ganz wichtiges Moment.

  • "...ein bisschen Dummenfang, aber geschickt."



    Zu unspezifisches Argument. Dummenfang ist ein Merkmal so ziemlich aller mir bekannten Parteien...