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Wählen als Deutsch-GhanaerinIhre Probleme sind meine

Viele junge Menschen, die diese Europawahl doch am stärksten betrifft, werden wohl nicht wählen. Der Grund: Sie fühlen sich nicht gemeint.

Noch keinen eigenständigen Platz in der europäischen Gesellschaft? Dann schaffen wir ihn uns Foto: dpa

BERLIN taz | Vor fünf Jahren hätte mich die Europawahl nicht gejuckt. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich überhaupt als Deutsche zu sehen. Europa ist da nochmal eine ganz andere Ebene. Ich frage mich, wie viele Stimmen junger Menschen verloren gehen, die diese Wahl doch am stärksten betrifft. Nur aus dem Grund, weil sie sich nicht gemeint fühlen.

Inzwischen identifiziere ich mich mehr als zuvor als Deutsch-Ghanaerin, vor allem seit immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft mir das Deutschsein absprechen wollen. Als ich jünger war, hatte ich Schwierigkeiten bei der ganz einfachen Frage, welche Nationalität ich innehabe.

In Berlin geboren und aufgewachsen, aber einen ghanaischen Pass in der Tasche, der mehr Hindernis als alles andere in Europa war: Reisen außerhalb von Deutschland gestalteten sich schwierig. Man muss mit einem nichteuropäischen Pass darauf gefasst sein, einen langen Behördengang einzuplanen, um ein Visum zu erhalten.

Gerade in den Behörden wird einem immer wieder gezeigt, welchen „Rang“ man vor allem als Nichteuropäer in der Gesellschaft hat – bis man den oft unfreundlichen Beamt*innen mit seinen Deutschkenntnissen beweist, dass man sie durchaus versteht und auch die oft ruppigen Untertöne besser heraushört als Menschen mit weniger guten Kenntnissen.

Black Community in Europa

Solche Erfahrungen führten dazu, dass ich mich immer mehr von meiner deutschen und vor allem europäischen Herkunft distanzierte. Wenn die mich nicht als ihren Bürger haben wollen, warum sollte ich denen dann hinterher kriechen? Es waren meine Eltern, die mir immer wieder aufzeigten, wie glücklich ich mich schätzen muss, in Europa geboren zu sein, die mir zeigten, welche Vorteile man hat, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein.

Ich sah das auch ein, aber erst mit meiner offiziellen Einbürgerung im Jahr 2017 verinnerlichte ich diese Erkenntnis, meine symbolische Teilung war dahin. Und erst dann, als meine offizielle Nationalität zu meiner empfundenen passte, fing ich an, mich richtig mit meiner afrikanischen Kultur und Herkunft auseinanderzusetzen und stellte fest, dass meine Black Community in nahezu ganz Europa zu finden ist und ich noch sehr viel lernen kann.

Wenn die mich nicht als Bürger haben wollen, warum sollte ich denen dann hinterher kriechen?

In Deutschland haben wir verschiedene Initiativen, die sich für die Black Community einsetzen. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und der Verein Each One Teach One (EOTO) gehören zu den bekanntesten.

Die Bibliothek von EOTO arbeitet das oft vernachlässigte Thema der Geschichte von Afrikaner*innen in Europa auf. Diese beeindruckende Sammlung wurde von der afro-deutschen Vera Heyer gestartet, die in den 1970ern die mühsame Arbeit anging, Werke afrikanischer Europäer*innen zu sammeln. In den folgenden Jahrzehnten wuchs das Archiv auf knapp 7.000 Werke an.

Heldin mit infantiler Zerebralparese

Natürlich gibt es auch außerhalb von Deutschland nennenswerte Plattformen, welche die Geschichte und Gegenwart afrikanischer Europäer*innen und Menschen afrikanischer Diaspora bearbeiten. Am interessantesten finde ich momentan „BBC News Africa“. Auf dieser Plattform beschäftigt man sich unter anderem mit wichtigen afrikanischen Persönlichkeiten aus der Geschichte und Personen aus der Black Community weltweit, die sich mit ihrer Identität auf verschiedene Weisen auseinandersetzen.

Was mir an den Berichten besonders gefällt, ist, dass wirklich alle in der Community Aufmerksamkeit bekommen. Es ist auch keine Plattform, die nur die positiven oder negativen Seiten aufzeigen: Schon einmal von der faszinierenden Queen Amina von Zaria gehört, der ersten Königin in der männerdominierten Gesellschaft der Hausa, die als Kriegerin das Territorium ihres Volks zu seiner größten Ausdehnung brachte?

Schon gewusst, dass in Ghana die erste Superheldin mit infantiler Zerebralparese erfunden wurde, weil die Erfinderin sich selbst nie in den gängigen Superheld*innengeschichten wiedergefunden hat?

Das sind nur wenige der Themen, über die berichtet wird. Viele davon spielen zwar nicht ausschließlich in Europa, sondern auch in Ländern wie Kenia, Ghana oder Uganda, aber sie spiegeln oft unweigerlich unsere eigene Mentalität oder die unserer Eltern wieder. Viele von uns gehören zur ersten Generation, die in Europa aufgewachsen ist.

Durch diese Vernetzungen, weiß ich, dass wir in Europa alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ich fühle mich mit anderen People of Color mit afrikanischen Wurzeln verbunden. Ihre Probleme sind meine Probleme. Wir sind Europäer*innen, die hier zu Hause sind, aber von der Gesellschaft noch nicht so akzeptiert werden, wie wir wollen.

Für uns gibt es noch keinen eigenständigen Platz in der europäischen Gesellschaft? Dann schaffen wir uns diesen Platz. Der erste Schritt ist der Weg zur Wahlurne am 26. Mai. Wir entscheiden, wer uns dabei hilft, unseren Anspruch zu erheben.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Schon gewusst, dass in Ghana die erste Superheldin mit infantiler Zerebralparese erfunden wurde, weil die Erfinderin sich selbst nie in den gängigen Superheld*innengeschichten wiedergefunden hat?"



    Nein, das habe ich nicht gewusst.



    Karmzah, die Superheldin, erschien im Oktober 2018,



    gute zehn Jahre nach der Figur der cerebral gelähmten aber ultraschnellen Daphne Millbrook in "Heroes" (3. Staffel).

    War wohl nichts!

  • "Schon einmal von der faszinierenden Queen Amina von Zaria gehört, der ersten Königin in der männerdominierten Gesellschaft der Hausa, die als Kriegerin das Territorium ihres Volks zu seiner größten Ausdehnung brachte?"

    Eine schwarze weibliche Imperialistin ist also ein Vorbild? Eine Frau, die 34 (!!!) Jahre lang ununterbrochen Krieg geführt hat um Nachbarvölker zu unterwerfen oder ihnen ihre Länder zu entreißen? Die ihren Eroberungsfeldzug nur drei Monate nach ihrer Krönung unprovoziert begann, und praktisch bis zu ihrem Tod weiterführte? Die länger Krieg als Alexander der Große, Caesar, Napoleon und Hitler zusammen geführt hat?

    • @TheBox:

      Die sich vorallem nicht schamlos an den Früchten des Imperialismus, in dem sie gelebt hat, bereichert hat und sich dabei auch nicht entblödet hat, eine moralische Entrüstung zur Schau zu tragen, die jedes erwachsene Verständnis von Politik vermissen zu lassen scheint.

  • "Wir entscheiden, wer uns dabei hilft, unseren Anspruch zu erheben."

    Ja! Demokratie heißt, dass wir die Wahl haben.

  • "Der Grund: Sie fühlen sich nicht gemeint"

    Das ist, mit Verlaub, ein schlichtes Argument, auch wenn es nur eine Wahrnehmung und keine Tatsache ist. Zumal man mit der Teilnahme dafür sorgen könnte, zukünftig gemeint zu sein.

    In meiner Gemeinde finden am Sonntag Gemeinderatswahlen statt. 95% der kommunalen Themen wie Sportplatz, Kita etc. betreffen mich nicht (mehr). Trotzdem werde ich wählen.

  • Zitat: „Für uns gibt es noch keinen eigenständigen Platz in der europäischen Gesellschaft? Dann schaffen wir uns diesen Platz.“

    Ein ehrenwerter Vorsatz, bei dessen Umsetzung ich viel Erfolg wünsche. Nur bitte ich die Heldin zu bedenken: Europa hat Grenzen. Seine Ressourcen sind endlich und es ist schon länger bewohnt.

    Ich hoffe, Leute wie Cindy Adjei machen nicht den Fehler, den „die Zionisten“ um 1900 gemacht haben. Das Prinzip „each-one-teche-one“ muss schließlich nicht bedeuten, dass „People of Color mit afrikanischen Wurzeln“ von alten weißen Männern das Siegen lernen, die völlig anders als mein Vater sind. Ich meine Leute, die anderen keinen Platz in den Gesellschaft gönnen. Weil sie selbst immer das Gefühl haben, sie kämen zu kurz. Leute, die sich zudem nicht stark genug fühlen, ihren Anteil von denen zu holen, die mehr als genug haben, und die deswegen lieber denen in die (leeren) Taschen fassen, die noch ohnmächtiger sind als sie selber.

    Es besteht Anlass zu Hoffnung, finde ich. Wir schreiben nicht mehr 1880. „People of Color mit afrikanischen Wurzeln“ sind viel besser vernetzt, viel besser informiert und viel selbstbewusster als die europäischen Zionisten des 19. Jahrhunderts. Entscheidend aber dürfte sein, dass keine Kolonialmacht ihnen etwas schenken kann. Sie müssen eigenhändig dafür sorgen, dass ihre „offizielle Nationalität“ zu ihrer „empfundenen passt[]“. In dem Zusammenhang aber können sie begreifen, dass ihre „eigene[] Kultur und Herkunft“ nicht nur die ihrer Eltern ist, „die afrikanische“, (what the fuck…?). „Die europäische“, die ihrer Nachbarn, Lehrer und Freunde, ist nämlich schon längst Teil ihrer Identität.

    Der Mensch lernt um so leichter, je mehr Vergleichsmöglichkeiten er hat. Wer sich nicht in „[s]einer Black Community“ einkapselt, weil er es da gemütlich hat, der gibt denen, die nicht dazu gehöre, die Chance zu lernen – und schenkt sich selbst auch eine Chance. Eine auf eine gute Zukunft. Eine, die er sich sonst selber verwehren würde.