Kommentar Wahl-o-Mat zur EU-Wahl: Mehr Gerechtigkeit und Überraschung

Kölner Richter haben den Wahl-o-Mat zur Europawahl gestoppt. Der staatliche Anbieter sollte die Benachteiligung kleiner Parteien umgehend aufgeben.

Verschwommene Europaflagge

Bei der Anzahl der Parteien kann man schon mal den Überblick verlieren Foto: Karsten Thielker/taz

Der Wahl-o-Mat ist eine tolle Sache und eine große Hilfe. Niemand muss sich abendelang hinsetzen und selbst die Wahlprogramme der Parteien studieren. Den Vergleich organisiert netterweise die Bundeszentrale für politische Bildung. Man muss nur zehn Minuten investieren, um 38 Thesen aus allen Politikfeldern positiv oder negativ zu bewerten. Am Ende vergleicht die Wahl-o-Mat-Software die Antworten mit den Wahlprogrammen und erstellt daraus eine Rangliste der am besten passenden Parteien. Der Wahl-o-Mat gibt also keine eigene Empfehlung, sondern hilft nur bei der Selbsterkenntnis.

Ursprünglich kommt die Idee aus den Niederlanden. In Deutschland wird der Wahl-o-Mat seit 2002 angeboten. Bei 47 Wahlen auf Europa-, Bundes-und Landesebene kam er schon zum Einsatz. 71 Millionen Teilnehmer haben ihn im Laufe der Jahre genutzt, Tendenz steigend. Bei der Bundestagswahl 2017 waren es bereits über 15 Millionen Menschen.

Der Wahl-o-Mat zeigt, dass man mit überschaubarem Aufwand eine fundierte Wahlentscheidung treffen kann, und dass es durchaus große Unterschiede zwischen den Parteien gibt. Beides motiviert zum Wählen. Der Wahl-o-Mat ist also ein echter Gewinn für die Demokratie.

Nun gab es aber rechtlichen Streit um ein Detail. Die pro-europäische Partei Volt kritisierte, dass beim Wahl-o-Mat jeweils nur acht Parteien miteinander verglichen werden können. Es bestehe die Gefahr, dass dabei vor allem bekannte Parteien ausgewählt werden und Neulinge sowie Kleinparteien deshalb benachteiligt sind. Damit hatte Volt am Montag Erfolg beim Verwaltungsgericht Köln. Das Gericht erließ eine einstweilige Anordnung wegen Verletzung der Chancengleichheit. Ab 20 Uhr ging der Wahl-o-Mat dann vorerst offline.

Volt wurde bekannter, aber wohl nicht beliebter

Die rechtliche Kritik ist gut nachvollziehbar. Zwar ist die Beschränkungauf acht Parteien scheinbar neutral, denn der Teilnehmer wählt selbstaus, wen er in den Vergleich einbeziehen will. Dass dabei aber große und bekannte Parteien in der Regel bevorzugt werden, liegt auf der Hand.

Die Bundeszentrale versuchte die Begrenzung mit pädagogischen Gründen zu rechtfertigen. Ein Vergleich von nur acht Parteien sei übersichtliche und damit auch verständlicher, als wenn alle 41 kandidierenden Parteien verglichen würden. Politisch Interessierte waren aber schon immer genervt von der Beschränkung: Wer interessiert sich denn für nur acht Parteien? Und auch unerfahrenen Wählern könnte man durchaus mehr zutrauen. Es hat sich ja auch noch nie jemand beschwert, dass die Bundesliga-Tabelle mit 18 Vereinen zu unübersichtlich sei.

Vor allem aber nimmt die Zwangsbegrenzung dem Wahl-o-Mat viel von seinem spielerischen Reiz. Der teilnehmende Pfarrer wird so vermutlich nicht erfahren, dass für ihn auch die Esoterik-Partei „die Violetten“ ein interessantes Angebot sein könnte – denn er wird sie wohl gar nicht erst in sein Achter-Set aufnehmen. Und dem AfD-Wähler wird so die Überraschung erspart, wieviel Übereinstimmung er möglicherweise mit der Linkspartei hat. Es sind doch auch solche kleinen Verblüffungen, die ein Angebot wie den Wahl-o-Mat so attraktiv machen.

Nun ist der Wahl-o-Mat aber erstmal offline, ausgerechnet in der letzten Woche vor der Europawahl. Der Erfolg für Volt hält sich damit in Grenzen. Denn ohne Wahl-o-Mat hat die Partei noch weniger Chancen, sich zu präsentieren. Vielleicht wurde Volt durch die Klage etwas bekannter, beliebter wurde die Partei damit aber sicher nicht.

Es gibt auch Alternativen

Auf der anderen Seite könnte die Bundeszentrale noch Rechtsmittel gegen die Kölner Eil-Anordnung einlegen. Doch dann bliebe der Wahl-o-Mat weitere Tage abgeschaltet. Die Bundeszentrale sollte deshalb über ihren Schatten springen und die Zwangsbegrenzung auf acht Parteien schnell aufgeben. Zumindest sollte als Alternative auch die gemeinsame Auswertung aller 41 Parteien angeboten werden.

Und für den Notfall gibt es auch andere Angebote. Bei voteswiper.org werden zum Beispiel jetzt schon alle Parteien in den Vergleich einbezogen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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