Wählen als Deutsch-Ghanaerin: Ihre Probleme sind meine
Viele junge Menschen, die diese Europawahl doch am stärksten betrifft, werden wohl nicht wählen. Der Grund: Sie fühlen sich nicht gemeint.
Inzwischen identifiziere ich mich mehr als zuvor als Deutsch-Ghanaerin, vor allem seit immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft mir das Deutschsein absprechen wollen. Als ich jünger war, hatte ich Schwierigkeiten bei der ganz einfachen Frage, welche Nationalität ich innehabe.
In Berlin geboren und aufgewachsen, aber einen ghanaischen Pass in der Tasche, der mehr Hindernis als alles andere in Europa war: Reisen außerhalb von Deutschland gestalteten sich schwierig. Man muss mit einem nichteuropäischen Pass darauf gefasst sein, einen langen Behördengang einzuplanen, um ein Visum zu erhalten.
Gerade in den Behörden wird einem immer wieder gezeigt, welchen „Rang“ man vor allem als Nichteuropäer in der Gesellschaft hat – bis man den oft unfreundlichen Beamt*innen mit seinen Deutschkenntnissen beweist, dass man sie durchaus versteht und auch die oft ruppigen Untertöne besser heraushört als Menschen mit weniger guten Kenntnissen.
Black Community in Europa
Solche Erfahrungen führten dazu, dass ich mich immer mehr von meiner deutschen und vor allem europäischen Herkunft distanzierte. Wenn die mich nicht als ihren Bürger haben wollen, warum sollte ich denen dann hinterher kriechen? Es waren meine Eltern, die mir immer wieder aufzeigten, wie glücklich ich mich schätzen muss, in Europa geboren zu sein, die mir zeigten, welche Vorteile man hat, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein.
Ich sah das auch ein, aber erst mit meiner offiziellen Einbürgerung im Jahr 2017 verinnerlichte ich diese Erkenntnis, meine symbolische Teilung war dahin. Und erst dann, als meine offizielle Nationalität zu meiner empfundenen passte, fing ich an, mich richtig mit meiner afrikanischen Kultur und Herkunft auseinanderzusetzen und stellte fest, dass meine Black Community in nahezu ganz Europa zu finden ist und ich noch sehr viel lernen kann.
In Deutschland haben wir verschiedene Initiativen, die sich für die Black Community einsetzen. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und der Verein Each One Teach One (EOTO) gehören zu den bekanntesten.
Die Bibliothek von EOTO arbeitet das oft vernachlässigte Thema der Geschichte von Afrikaner*innen in Europa auf. Diese beeindruckende Sammlung wurde von der afro-deutschen Vera Heyer gestartet, die in den 1970ern die mühsame Arbeit anging, Werke afrikanischer Europäer*innen zu sammeln. In den folgenden Jahrzehnten wuchs das Archiv auf knapp 7.000 Werke an.
Heldin mit infantiler Zerebralparese
Natürlich gibt es auch außerhalb von Deutschland nennenswerte Plattformen, welche die Geschichte und Gegenwart afrikanischer Europäer*innen und Menschen afrikanischer Diaspora bearbeiten. Am interessantesten finde ich momentan „BBC News Africa“. Auf dieser Plattform beschäftigt man sich unter anderem mit wichtigen afrikanischen Persönlichkeiten aus der Geschichte und Personen aus der Black Community weltweit, die sich mit ihrer Identität auf verschiedene Weisen auseinandersetzen.
Was mir an den Berichten besonders gefällt, ist, dass wirklich alle in der Community Aufmerksamkeit bekommen. Es ist auch keine Plattform, die nur die positiven oder negativen Seiten aufzeigen: Schon einmal von der faszinierenden Queen Amina von Zaria gehört, der ersten Königin in der männerdominierten Gesellschaft der Hausa, die als Kriegerin das Territorium ihres Volks zu seiner größten Ausdehnung brachte?
Schon gewusst, dass in Ghana die erste Superheldin mit infantiler Zerebralparese erfunden wurde, weil die Erfinderin sich selbst nie in den gängigen Superheld*innengeschichten wiedergefunden hat?
Das sind nur wenige der Themen, über die berichtet wird. Viele davon spielen zwar nicht ausschließlich in Europa, sondern auch in Ländern wie Kenia, Ghana oder Uganda, aber sie spiegeln oft unweigerlich unsere eigene Mentalität oder die unserer Eltern wieder. Viele von uns gehören zur ersten Generation, die in Europa aufgewachsen ist.
Durch diese Vernetzungen, weiß ich, dass wir in Europa alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ich fühle mich mit anderen People of Color mit afrikanischen Wurzeln verbunden. Ihre Probleme sind meine Probleme. Wir sind Europäer*innen, die hier zu Hause sind, aber von der Gesellschaft noch nicht so akzeptiert werden, wie wir wollen.
Für uns gibt es noch keinen eigenständigen Platz in der europäischen Gesellschaft? Dann schaffen wir uns diesen Platz. Der erste Schritt ist der Weg zur Wahlurne am 26. Mai. Wir entscheiden, wer uns dabei hilft, unseren Anspruch zu erheben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte