Wachsender Nationalismus in Bosnien: Gesetz mit Sprengkraft
In Bosnien und Herzegowina verhandeln EU-Vertreter über ein umstrittenes Wahlgesetz. Es könnte das Ende für den Gesamtstaat bedeuten.
Die Idee: ein System mit Wahlmännern nach amerikanischem Vorbild. Doch genau das würde den kroatischen Nationalisten in Bosnien helfen, ihrem Anführer Dragan Čović einen Sitz im dreiköpfigen Staatspräsidium zu sichern, in dem Vertreter der bosnischen Serben, Kroaten und der Bosniaken gemeinsam das Staatsoberhaupt des Gesamtstaats bilden. Die EU- und US-Vertreter versuchen nun, Bakir Izetbegović, den Vorsitzenden der bosniakischen Nationalpartei SDA, unter Druck zu setzen. Denn nur mit den Stimmen der SDA könnte im Parlament eine entsprechende Mehrheit zustande kommen, um das Wahlgesetz zu ändern.
Das nichtnationalistische Lager hofft, dass Izetbegović dem Druck standhält. Weil Eichhorst sogar dafür sorgte, dass die nichtnationalistischen Parteien von der Diskussion über das Wahlgesetz ausgeschlossen wurden, ist diese in ihren Augen vollends unglaubwürdig geworden. „Wir wollen ein demokratisches Wahlgesetz, das allen Bürgern gleiche Rechte gibt“, fordern auch große Teile der Zivilgesellschaft und warnen davor, sich auf Verhandlungen mit den „Kriminellen“ und „Putin-Freunden“ einzulassen.
Denn Dragan Čović, der das Wahlgesetz vorantreibt, hat sich in den letzten Monaten als Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin geoutet. Einst war er angeklagt, als Direktor des Aluminiumwerks in der Stadt Mostar während des Bosnienkriegs 1993 bosniakische Insassen des Lagers Heliodrom zur Zwangsarbeit verpflichtet zu haben.
Er pflegt außerdem enge Beziehungen zu Milorad Dodik, der mit Unterstützung Moskaus die serbische Teilrepublik aus Bosnien und Herzegowina herauslösen und so den Gesamtstaat auflösen will. Dodik ist Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums. Noch im Dezember letzten Jahres besuchte er Putin und hat seine Politik in Bosnien und Herzegowina eng mit dem Kreml abgestimmt.
Baerbocks Worte ohne Wirkung
Nach diesem Plan will die serbische Teilrepublik unter Dodik bis zum Sommer fast alle Kontakte mit dem gemeinsamen Gesamtstaat abgebrochen haben. Wenn Čović mit dem Wahlgesetz Erfolg haben sollte, hätten er und Dodik die Mehrheit im bosnischen Staatspräsidium. Dann könnten sie die Auflösung des Staates in die Wege leiten.
Dass sich die EU offenbar auf diesen Plan einlässt, sendet widersprüchliche Signale in das fragile Balkanland, sagt Haris Imamović, politischer Berater beim Staatspräsidium in Sarajevo. Denn beim Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am 10. März in Sarajevo, bei dem Imamović selbst dabei war, war er noch positiv überrascht gewesen.
Baerbock hatte nämlich betont, die Bundesregierung unterstütze nur diejenigen, die sich für eine Stärkung des Staates Bosnien und Herzegowina einsetzten – nicht aber jene, die an seiner Desintegration und Schwächung arbeiteten. Deutschland werde „keine Erosion der Sicherheitslage zulassen“. Doch nun, da die EU den Forderungen der Nationalisten in Bosnien in Sachen Wahlgesetz nachkommen will, schreitet auch Berlin nicht ein.
Auch Vertreter der nichtnationalistischen Parteien wie Vojin Mijatović, Vizevorsitzender der sozialdemokratischen Partei SDP, zeigen sich darüber bestürzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“