Wachsende Spannungen in Sri Lanka: Furcht vor der Vergangenheit
Am Friedhof gedenken tamilische Kriegsveteranen ihrer Toten. Sie trauen der Regierung nicht. Ist das Land auf dem Weg in den nächsten Bürgerkrieg?
Die Männer, die sich am Strand von Charty treffen, sind selbst ehemalige LTTE-Kämpfer. Kanagaiya heißt einer von ihnen. Sein Sohn, ein „gefallener Tiger“, wie es heißt, ist hier beigesetzt worden. Die Haut des 59-jährigen Vaters ist von der Sonne gebräunt, sein Haar schütter, und er trägt – wie für gläubige Hindus üblich – weiße Striche auf der Stirn.
1986 habe er sich der LTTE angeschlossen, nachdem tamilische Fischer in Jaffna von der singhalesischen Marine attackiert und Zivilisten getötet worden seien, sagt er. Damals kämpfte die LTTE schon seit drei Jahren im Norden und Osten der Insel für einen unabhängigen tamilischen Staat. Zehntausende Zivilisten kamen ums Leben. Nach Ende des Kriegs 2009 saß Kanagaiya für seine Beteiligung zwei Jahre in Haft, sagt er.
Der Vater und seine Begleiter sehen pessimistisch in die Zukunft. Sie fürchten, dass sich der jüngste Regierungswechsel in Sri Lanka negativ auf ihr Leben auswirken könnte. Denn im Erinnern liegt die Crux: Gotabaya Rajapaksa, der neue Präsident des Inselstaats, wird für seine Vergangenheit als Verteidigungssekretär in der letzten Phase des Krieges sowohl gefeiert als auch gefürchtet. Ende November setzte sich der Siebzigjährige als Präsidentschaftbewerber durch. Während seiner Amtszeit als Verteidigungssekretär waren die Tamil Tigers 2009 besiegt worden.
Erinnerung an 20.000 Tote
Bis zum heutigen Tag sind 20.000 während des Kriegs verschwundene Menschen vermisst. Die meisten sind tamilischer Herkunft. Rajapaksa wird vorgeworfen, damals Kämpfer wie Kritiker verfolgt und Kommandos geleitet zu haben, die Journalisten, Aktivisten und Zivilisten in Minibussen entführten. An die vermissten und ermordeten Journalisten erinnert heute ein Poster vor dem Presseclub in Jaffna, auf dem mit roter Farbe Blutspritzer nachgebildet sind.
Die Hoffnung auf eine Aufarbeitung des Bürgerkriegs und der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen scheint durch die Wahl Rajapaksas in weite Ferne gerückt. Unter Sri Lankas Tamilen herrscht großes Unbehagen.
Im Wahlkampf waren die Plakate von Rajapaksa in Jaffna noch abgerissen worden. Jetzt grüßt sein Konterfei und das seines Bruders Mahinda, dem frisch ernannten Premier, winkend auf glänzender Folie am Busbahnhof. Für viele im Norden Sri Lankas war es eine große Überraschung, als sie den Namen des neuen Präsidenten erfuhren. Die Tamilen, die mit rund 15 Prozent die größte Minderheit der sri-lankischen Bevölkerung stellen, hatten mehrheitlich gegen ihn gestimmt.
Der Buchhändler Roy gibt sich zuversichtlich, auch wenn er damals vor dem Krieg geflohen ist. Der tamilische Christ möchte der neuen Regierung eine Chance geben. „Wir hoffen, dass sie etwas zum Positiven verändert“, sagt der Familienvater, der vor fünf Jahren nach Jaffna zurückgekehrt ist. Viele verließen während des Krieges die Region, und, wenn sie denn konnten, gleich das ganze Land. Roy drückt aber auch seine Unzufriedenheit mit vorangegangenen Regierung aus. Ja, es habe einen Wirtschaftsaufschwung gegeben, aber die Minderheit der Tamilen hatte sich auch mehr Mitsprache gewünscht.
Vor allem aber lasten viele Menschen der letzten Regierung von Maithripala Sirisena an, trotz Warnungen die Serie von Anschlägen auf Christen nicht verhindert zu haben. Bei den Attentaten im April 2019 auf Kirchen und Hotels durch islamistische Selbstmordattentäter starben über 250 Menschen, etwa 500 weitere erlitten Verletzungen. Unter den Opfern befanden sich viele Christen, die gerade des Osterfest feierten. Danach brach mit dem Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig ein.
Die Singhalesin Frances Bulathsinghala ist davon überzeugt: „Es liegt an den Menschen, etwas zu ändern.“ Sie kommt gern zu Roy in seinen Laden, um nach Büchern zu stöbern. Bulathsinghala spricht sich für eine Aussöhnung aus. „Zwischen Singhalesen und Tamilen gibt es auf menschlicher Ebene kein Problem“, sagt sie. Im Bücherregal steht ein kleiner Tempel mit Bildern von Jesus, Buddha und dem Elefantengott Ganesha. Doch in der Vergangenheit wurden von verschiedenen politischen Akteuren Unruhen zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen gefördert, sagt sie.
Frances Bulathsinghala
Gotabaya Rajapaksas Wahlsieg war auch das Ergebnis seiner nationalistischen Agenda. Doch nicht jeder, der für ihn gewählt hat, sei buddhistischer Nationalist, erklärt Bulathsinghala. Die Bevölkerung habe nach den Attentaten das Vertrauen in die Regierung verloren. Sie wurden in Zeiten des Bürgerkriegs zurückversetzt. Diese Chance habe Rajapaksa ergriffen und vor allem mit Sicherheitspolitik für seine Wahl geworben. Seine Partei, die sri-lankische Volksfront, betont zudem singhalesisch-buddhistische Werte und pflegt engen Kontakt zu buddhistischen Geistlichen, die sich mehr politischen Einfluss wünschen.
Schon vor den Präsidentschaftswahlen warb Rajapaksa mit einer Amnestie für Kriegsverbrecher auf der Seite der sri-lankischen Armee. Die von ihm vorgenommene Beförderung von Shavendra Silva zum Generalstabschef blieb auch unter ausländischen Beobachtern nicht unkommentiert. So äußerte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet ihre Besorgnis, dass Silva, der im Krieg mit dem Tamilen als hochrangiger General aktiv war, trotz schwerwiegender Verstöße gegen Menschenrechte weiter an Einfluss gewinnen könnte.
Kurz nach seiner Wahl schickte der neue Präsident das Parlament in eine Zwangspause. Zum neuen Jahr kündigte Rajapaksa an, die Rechte von Minderheitsparteien mithilfe einer Verfassungsänderung einzuschränken zu wollen und die Rolle des Präsidenten – also seine eigene – zu stärken.
Festnahmen und Schikanen häufen sich
Die Menschenrechtsaktivistin Shreen Abdul Saroor ist besorgt über das Verschwinden offener Räume in der Gesellschaft und zunehmender Selbstzensur, die auch die muslimische Minderheit einschließt. „Nach den Osterangriffen hat sich alles geändert“, schreibt sie. Saroor beklagt, dass die früher stille Überwachung sichtbar und bedrohlich geworden sei. Es häuften sich Meldungen über Schikanen und Festnahmen von unliebsamen Personen wie Vertretern von Minderheiten Darunter befindet sich eine festgehaltene Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft, ein bedrohter tamilischer Journalist und ein festgenommener Oppositionspolitiker. Premananth Thevanayagam von der tamilischen Zeitung Uthayan ist besorgt, dass er seine Reporter bald verlieren könnte. Es stünden unsichere Zeiten bevor.
Viele Singhalesen sind anderseits davon überzeugt, dass Gotabaya Rajapaksa das Land aus der Krise führen kann. Wenn sich das Land wirtschaftlich erholt, könnte die nationalistischen Agenda bald wieder in den Hintergrund geraten. Und das werde sie voraussichtlich auch, sagt Dushni Weerakoon vom Institut für Policy Studies of Sri Lanka. Die neue Regierung verspreche politische Stabilität nach einer Phase, in der der Wachstum zurückging.
Der Machtwechsel in der Hauptstadt Colombo ist noch nicht komplett vollzogen. Dem neuen Regierungschef und seinen Verbündeten fehlt die parlamentarische Mehrheit, nur 96 der insgesamt 225 Sitze haben sie inne. Deshalb hat Gotabaya Rajapaksa angekündigt, die Volksvertretung baldmöglichst aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Rajapaksa versicherte in einer Ansprache zum neuen Jahr, die Einheit des Landes und des Buddhismus zu schützen wie auch das Recht auf freie Religionsausübung zu respektieren.
Für den Kriegsveteranen Kanagaiya bedeutete das immerhin, dass er und seine Kameraden trotz Bedenken den „Heldentag“ für ihre tamilische Kriegsopfer friedlich am Strand von Charty feiern konnten. Aus dem trostlosen Ort wurde für mehrere Tage ein lebendiges Spektakel. Sonst ist es still in Sri Lanka, fast schon zu still.
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