WM-Kolumne Ordem e Progresso: Zwischen Skatern und Fitness-Freaks
Auf Rios Radwegen bevölkern zu viele Disziplinfremde den Asphalt. Auch der Versuch, auf größere Straßen auszuweichen, ist gefährlich.
R ad und Rio, das habe ich vor meinem Flug nach Brasilien eigentlich nicht miteinander in Verbindung gebracht. Schon wieder bin ich um ein Vorurteil ärmer, aber mir bleiben ja noch die vielen anderen. Insbesondere entlang der Copacabana ist das Fahrrad in dieser Millionenstadt ein beliebtes Fortbewegungsmittel. Gern wird hier geliehen.
Die von der Stadtverwaltung unterstützte Initiative „Bike Rio“ stellt allein 600 orangefarbene Räder zur Vermietung. Die holländischen Fans wird’s freuen, wenn der Weg ihres Teams hierher führen sollte. Im letztjährigen Ranking der weltweit fahrradfreundlichsten Großstädte landete Rio noch vor Hamburg auf einem respektablen zwölften Platz. Angeblich kann man, einmal registriert, die Räder in der Stadt für vier Euro im Monat nutzen. Eine günstige Möglichkeit, auf alternative Weise zu einem Termin in die Stadt zu fahren, denke ich mir.
Mein Mietrad für die Probetour ist schwarz-weiß lackiert und funktioniert tadellos. Tempo kann man auf den extra angelegten Radwegen entlang der Strandmeile jedoch nicht aufnehmen. Zu viele Disziplinfremde bevölkern den schmalen Weg. Inlineskater, Skateboardfahrer und vor allem unzählige Jogger. Die Copacabana ist ein Magnet für Fitnessfetischisten. Um ihre Bedürfnisse zu stillen, stehen hier am Strand immer wieder Metallstangengerüste. Klimmzugtraining im öffentlichen Raum. Das ist es, was viele hier offenbar kickt. Ist ja auch in Ordnung, würden die Kraftmeier nicht auch noch die Radspur verstopfen.
Meinen Versuch, aus dem Wegesystem der Pedaleure auszuscheren, gebe ich nach kurzer Zeit wieder auf. Die Straßen gehören ausschließlich den motorisierten Fahrzeugen. Diese gewaltigen Blechlawinen im Rücken, die hautnah an einem vorbeirauschen, dem kann man nicht lange standhalten. Wer die Schleichwege nicht kennt, ist hoffnungslos verloren.
Problemlos zu den Engländern radeln
So beschränke ich mich auf die gekennzeichneten Straßen mit dem Fahrrademblem. Immerhin 300 Kilometer lang sollen sie insgesamt sein. Aber sie führen eben nicht unbedingt dahin, wo ich sein möchte. Zu den Engländern könnte ich noch problemlos radeln, weshalb ich ihnen gegen Uruguay die Daumen gedrückt habe. Es hat leider nichts genutzt.
Nun muss ich eben meine Ziele und auch mein Tempo touristischer wählen. Ich will mich nicht beschweren. Das Dahinzuckeln hat durchaus seine Vorzüge. Den Duft von Fisch, Gegrilltem und Knoblauch an der Copacabana nimmt man auf diese Weise umso intensiver war. Rio de Janeiro ist zwar sehr wolkenverhangen an diesem Tag, aber 25 Grad dürfte es trotzdem warm sein. Ich habe schon schlimmere Wintertage erlebt. Es ist ja gerade die „kalte“ Jahreszeit in Brasilien.
Fußball-Winterspiele können durchaus schön sein, wird die Fifa vermutlich bald argumentieren im Hinblick auf die WM in Katar 2022. Und wegen der kürzeren Wege ist der kleine Wüstenstaat, der halb so groß wie Hessen ist, sowieso zum Radfahren prädestiniert. Das soll dort nicht gehen? Vermutlich ist das auch nur ein Vorurteil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!