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WM-Halbfinale Brasilien - DeutschlandEin Spiel wie ein Autounfall

Fünf Tore in 20 Minuten, nach einer halben Stunde war alles entschieden. In einem Jahrhundertspiel besiegt Deutschland den Gastgeber mit 7:1.

Jeder darf mal: Doppeltorschütze André Schürrle. Bild: ap

Die Startbedingungen: Abgesehen von Mustafi kann das deutsche Team auf den gesamten WM-Kader zurückgreifen. Joachim Löw will in diesem Halbfinale jedoch keine Experimente eingehen und setzt auf die Startelf des Viertelfinales. Heißt: Lahm hinten rechts, Klose vorne, Mertesacker auf der Bank und natürlich Neuer zwischen den Pfosten. Bei Brasilien fehlen der verletzte Fußball-Popstar Neymar und der Gelb gesperrte Thiago Silva; beide gelten als nicht ersetzbar. Dante und Bernard versuchen es zumindest.

Das Spiel: Die Seleção tastet sich zunächst an Neuers Strafraum heran. Der deutsche Spielaufbau gestaltet sich in den Anfangsminuten schleppend wie die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschuss. Aus dem Nichts ein Schuss von Khedira. Geblockt. Von Kroos. Mit dem Hintern. Entwarnung: Der Lendenwirbel ist noch ganz. Die brasilianische Abwehr im Anschluss aber nicht mehr. Deutschland schlägt eiskalt zu. Fünf Flachschüsse in zwanzig Minuten. Müller. Klose. Kroos. Kroos. Khedira. Teilweise wunderschön über mehrere Stationen herausgespielt. Nach dieser Tor-Inflation war das Fußballauge verwöhnt. Dafür dass Kroos' Schuss in der 32. nur ins Aus abgefälscht wurde, wollte man den Bayern fast vom Platz stellen. Bis zur 45. Minute wird zwar noch gespielt, nach der Reizüberflutung der ersten halben Stunde ist aber niemand mehr aufnahmefähig.

„Endlich Halbzeit“, dachten sich wohl auch die Brasilianer. Nach dem Wiederanpfiff dann auch mal eine Großchance für die Seleção. Aber da ist ja noch ein Neuer. Ach ja, der spielt ja auch! In der 69. Minute dann noch ein Tor des eingewechselten Schürrle. Und in der 79. noch eines. Oscar darf in der 91. noch einen Anschlusstrefferchen schießen. Dann ist das torreichste und zugleich langweiligste Spiel der WM vorbei.

Der entscheidende Moment: Irgendwo zwischen der 10. und 30. Minute. Was da passiert ist, dass dürfen die Historiker entscheiden.

Spieler des Spiels: Klose ist alleiniger WM-Rekord-Torschütze. Das ging im allgemeinen Allmachtsjubel unter.

Die Pfeife des Spiels: Die Pfeife in der Hand des Schiedsrichters, die das Spiel relativ pünktlich abpfiff.

Die Schlussfolgerung: Ein Spiel wie ein Autounfall. Brutal. Schmerzhaft. Erbarmungslos. Ein fußballerischer Genickbruch. Schön war das nicht. Und trotzdem musste man hingucken.

Und sonst? 7:1 – sonst nichts.

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5 Kommentare

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  • Deutsche Männer haben über brasilianische Heulsusen gesiegt.

     

    Und das ist gut so.

  • Hm, ich möchte nicht wissen, wie viele "Jahrhundertspiele" es vor hundert Jahren im Feldhandball gab, als noch 100000de zu dieser Sportart pilgerten. Was Fußball war, wussten in Deutschland damals die wenigsten. KA, ob es heute noch Feldhandball überhaupt gibt.

     

    Ende dieses Jahrhunderts werden sich die meisten auch fragen, was Fußball außerhalb einer Playstation zu suchen hat. Und dann werden da die neuen "Jahrhundertspiele" stattfinden.

    • @Age Krüger:

      In den Zeiten, als 100.000 Leute zum Feldhandball gingen, hätten wir aber auch mindestens eine Woche auf die Erleuchtung durch Ihren Leserbrief warten müssen, heute dauert's nur Minuten. Was das mit der Playstation

      zu tun hat? Überlegense mal...

       

      Ich bin Handballer, habe Kinder, die Handball spielen (und habe trotzdem noch nie ne Playstation aus der Nähe gesehen). Trotzdem habe ich mich über das Fußball-Jahrhundertspiel, das es definitiv war, gefreut, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, was Sie mir eigentlich sagen wollen.

  • Das war es ganz sicher, ein JAHRHUNDERTSPIEL!

  • Das war kein Unfall, das war eine technisch perfekte Hinrichtung eines völlig unterlegenen, weil metal total überforderten Gegners. Tja..

     

    Ganz toll. Herzlichen Glückwunsch. Danke. Nun ist mir schlecht. Jetzt brauch ich mindestens 5 kurze Costa Rica.

     

    Nun denn, freue ich mich mit der Welt an der Hoffnung nicht auf deutsche, sondern auf passgenaue holländische Vernichtungsqualitäten. Steinmerkel mit Weltkugelpokal geht gar nicht, auch, wenn ich es den Klosejungs an sich gönnen würde. Dafür ist kein Eimer groß genug.