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WM-Ekstase in MarokkoKitsch und Kraft

Kommentar von Johannes Kopp

Der unverhoffte Sieg Marokkos zeigt: Fußball kann noch immer die Menschen vereinen – aber er kann auch desintegrierend wirken.

Freude über den marokkanischen Sieg: Autokorso in Dortmund Foto: Thomas Banneyer/dpa

W ann werden schon einmal zu Beginn von TV-Nachrichtensendungen Bilder reinen Glücks gezeigt? Wann werden dort schon Erdbeben der Freude prioritär behandelt? Wann sieht man schon einmal vor allen anderen Miseren in dieser Welt so viele glückliche Menschen auf einen Schlag? Na klar, wenn ein Fußballteam bei Abpfiff ein Tor mehr als das andere geschossen hat, und das auch noch als Außenseiter wie Marokko bei dieser Fußballweltmeisterschaft.

Es läuft wieder einmal wie am Schnürchen für die Fifa, könnte man denken. Auf die Emotionen, die dieses Spiel im globalen Wettbewerb auszulösen vermag, ist Verlass, auch wenn es in einem schlecht beleumundeten Wüstenstaat ausgetragen wird. „Football Unites the World“, das soll auf den von der Fifa gestalteten Kapitänsbinden im WM-Finale stehen, dort, wo die Deutschen gern ihre politischen Wertebekenntnisse hinterlegt hätten.

Das mag sich wie Kitsch anhören. Die Bilder der jubelnden Menschen in Marokko, die nicht nur so ergriffen sind, weil das völlig Unwahrscheinliche so nah zu sein scheint, sondern auch weil sie die kollektive Unterstützung in der arabischen und afrikanischen Welt spüren, sind aber real. Und in Europa, wo die marokkanische Community sich per Autokorso durch Bielefeld, Brüssel und Rotterdam hupt, drücken zudem viele aus einem klassischen Fußballreflex, der Liebe zum Außenseiter, dem nordafrikanischen Team die Daumen.

Wären da nur nicht wieder die palästinensischen Fahnen, mit denen die marokkanischen Fußballer auch politische Zeichen der Parteinahme in die Welt hinausfunken. Im selben Maße wie Fußball integrierend wirkt, wirkt er eben auch desintegrierend, weil er nicht losgelöst von gesellschaftlichen Verhältnissen gespielt wird. Man muss der Fifa und ihrem Präsidenten Gianni Infantino vorhalten, dass sie eine Seite des Fußballs aus Geschäftsgründen einseitig verkitschen. Wer aber umgekehrt nur die andere Seite im Blick hat, unterschätzt die autonome Kraft dieses Spiels, die unabhängig vom Gebaren der Fifa Menschen miteinander glücklich macht.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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2 Kommentare

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  • Das stimmt, dass marokko nicht in Palästina liegt, aber Palästine liegt in unseren Herzen. Wahrscheinlich werden weiße Menschen das nicht verstehen. Denn es gilt nur deren Weltanschauung als richtig. Alles andere ist falsch. Palästine ist ein von der Mehrheit der Staaten der Welt anerkannter Staat. Nur weil weiße Länder dieses Land nicht anerkennen, bedeutet es nicht, dass dieses Land nicht existiert. Außerdem was soll das mit Antisemitismus zu tun. Es sind ja eure Großeltern, die die Juden umgebracht haben und nicht unsere. Dieser herablassende Blick auf andere Kulturen ist widerlich. Das war echt schade, dass das von der taz kommt. Die taz war für uns Menschen mit Migrationshintergrund repräsentativ. Jetzt nicht mehr. Schade

  • Nein, Fußball vereint nicht Menschen, sondern nur die jeweiligen Anhänger des Clubs - womit gleichzeitig immer auch eine Abgrenzung zu "den anderen" Menschen der Nichtanhänger passiert, die man zudem oft als minderwertiger ansieht und damit verachtet und ausgrenzt.

    Bei einer WM sind die Teams zudem immer auch "politische Parteien", denn sie treten als Team einer politischen Nation an.



    Ländergrenzen sind ja nichts natürliches, sondern politische Grenzen, die dort gezeigte Nationalflaggen sind politisch, die dort gespielten Nationalhymnen sind politisch.