WHO ruft Gesundheitsnotstand aus: Die Angst vor Mpox
Über 500 Menschen sind in der DR Kongo dieses Jahr bereits an „Affenpocken“ gestorben. Kern des Ausbruchs liegt in einem Goldgräbergebiet im Osten.
„Die Feststellung und rapide Ausbreitung eines neuen Mpox-Stranges im Ostkongo, seine Feststellung in Nachbarländern, die Mpox bislang nicht gemeldet hatten, und das Potential weiterer Ausbreitung in Afrika und darüber hinaus sind sehr besorgniserregend“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus vor der Presse am Mittwochabend nach einer Sondersitzung des zuständigen WHO-Gremiums. Man werde jetzt „die globale Antwort koordinieren“ und mit den betroffenen Ländern arbeiten, „um Übertragungen vorzubeugen, Infizierte zu behandeln und Leben zu retten“.
Mpox – die Abkürzung des englischen Begriffs für Affenpocken, die heute anstelle dieses für eine menschliche Erkrankung missverständlichen Namens verwendet wird – wütet derzeit in der Demokratischen Republik Kongo: Allein dieses Jahr gab es bislang 548 Tote bei 15.664 Fällen nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Donnerstag, was auf 14.626 Fälle und 654 Tote im gesamten Vorjahr folgt.
Seit einem Monat werden auch Infektionsfälle in den Nachbarländern Burundi, Ruanda, Uganda sowie Kenia festgestellt – eine unkontrollierbare Ausbreitung wird befürchtet.
Was ist Mpox? Mpox (Monkeypox – Affenpocken) ist laut Robert Koch Institut eine von infizierten Tieren auf den Menschen übertragbare virale Infektionskrankheit. Hauptsymptome sind schmerzhafte Blasen, Pickel und Hautausschläge, die in Kombination mit Fieber lebensgefährlich sein können, vor allem für Kinder und Immungeschwächte. Im Gegensatz zu den seit 1980 als ausgerottet erklärten Menschenpocken verlaufen Mpox aber meist deutlich milder und heilen von alleine ab. Übertragen wird Mpox zwischen Menschen meist durch engen Haut-zu-Haut-Kontakt, etwa beim Sex.
Woher kommt Mpox? Festgestellt wurde das Virus erstmals 1958 in Dänemark bei Laboraffen aus Singapur, was zum Namen „Affenpocken“ führte. Am Menschen wurde es erstmals 1970 festgestellt, bei einem 9-Jährigen im Kongo. Erst seit 2022 wird Mpox außerhalb von Afrika ohne Reiseanamnese beobachtet.
Was tun gegen Mpox? Der in der EU zugelassene Pockenimpfstoff wird seit 2022 auch zum Schutz vor Mpox verwendet. Bei Erkrankten ist die Therapie symptomatisch: Schmerzlinderung, Versorgung der Hautläsionen. Bei schweren Verläufen sind unter bestimmten Umständen antivirale Therapien angesagt. (dj)
Die Sterblichkeitsrate steigt
Das Afrikanische Zentrum für Krankheitsbekämpfung und Schutzmaßnahmen (Africa CDC), gesundheitspolitisches Organ der Afrikanischen Union, rief deswegen schon am Dienstag den afrikaweiten Gesundheitsnotstand aus. Die Gesamtzahl der Verdachtsfälle in Afrika dieses Jahr, hieß es zur Begründung, liege bei über 17.000 – mehr als die 14.957 im Jahr 2023.
Man stelle eine steigende Sterblichkeit fest, die an dem Zusammenhang zwischen Mpox und HIV-Aids liege: Mpox wird zwischen Menschen zumeist durch engen Hautkontakt und Geschlechtsverkehr übertragen, schwere oder tödliche Verläufe treten fast nur bei Kleinkindern oder Menschen mit geschwächten Immunsystemen auf.
Mpox war lange eine Nischenkrankheit, eine milde, wenn auch im Verlauf sehr unangenehme Form der viel tödlicheren Pockeninfektion. Das Ende der globalen Pockenschutzimpfungen seit Ausrottung der klassischen Pocken 1980 hat die Ausbreitung anderer Pockenformen begünstigt.
In Nigeria wurde Mpox ab 2017 gehäuft festgestellt und ab Juli 2022, noch während der globalen Covid-19-Pandemie, plötzlich global – „in Ländern, die zuvor keine Fälle bemerkt hatten, insbesondere unter Männern, die Geschlechtsverkehr mit Männern hatten“, so WHO-Generaldirektor Tedros im Vorwort zum geltenden Mpox-Strategiepapier der WHO.
Das war insbesondere in den USA und in Brasilien, und daher rührt eine bis heute nachwirkende Kampagne, die Mpox als Schwulenkrankheit charakterisiert und die Stigmatisierung von Erkrankten fördert.
Empfohlener externer Inhalt
Am 23. Juli 2022 rief die WHO schon einmal den internationalen Gesundheitsnotstand wegen Mpox aus, um globale Maßnahmen zu koordinieren. Mit Erfolg – fast überall gingen die Neuinfektionen stark zurück. Am 10. Mai 2023 wurde der Notstand wieder aufgehoben, nach 92.000 Fällen in 117 Ländern, über 33.000 davon in den USA und über 11.000 in Brasilien.
„Doch Afrika erhielt nicht die dringend benötigte Unterstützung in dieser Zeit“, moniert jetzt das Africa-CDC: „Global sanken die Fallzahlen, aber die eskalierenden Zahlen in Afrika wurden weitgehend ignoriert.“
Neue Mutation im Goldgräberrevier
Denn während dieser Ausbruch ausschließlich die milde westafrikanische Variante 2b betraf, regte sich im Herzen Afrikas eine Mutation der gefährlicheren zentralafrikanischen Variante 1. Am 16. Dezember 2022 riefen Kongos Gesundheitsbehörden eine „landesweite Mpox-Epidemie“ aus. Das Auftreten der neuen Variante stellten Mediziner laut WHO im April 2023 in der westkongolesischen Provinz Kwango fest, im September 2023 in der ostkongolesischen Provinz Süd-Kivu – im Goldgräberrevier von Kamituga, wo ungeschützter Sex weitverbreitet ist.
Am 1. Juni 2024 wurde eine Ausbreitung in die Nachbarprovinz Nord-Kivu festgestellt, in der Provinzhauptstadt Goma bei einer 19-Jährigen, die zuvor nach Süd-Kivu gereist war.
Die in fast allen Landesteilen bestätigte neue Mutation ist laut WHO an schnellere Mensch-zu-Mensch-Übertragung angepasst. Dies dürfte auch die Ausbreitung über Kongos Grenzen hinaus erklären. Ob sie auch tödlicher ist, bleibt unklar, aber die Sterblichkeit in der DR Kongo liegt mit aktuell rund 4 Prozent deutlich höher als bei vorherigen Ausbrüchen.
Der globale Gesundheitsnotstand hat nun weniger mit Befürchtungen einer globalen Ausbreitung der Seuche zu tun, die längst behandelbar und vermeidbar ist. Sie soll der WHO ermöglichen, Maßnahmen und Mittelfreigaben für die Mpox-Bekämpfung zu koordinieren.
Kongo hat noch viel mehr Gesundheitsprobleme
In der kriegsgeschüttelten DR Kongo selbst ist Mpox sicherlich nicht das größte Problem. Von den 110 Millionen Einwohnern leben über 40 Millionen in „ernster Ernährungsunsicherheit“, über 25 Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, rund 7 Millionen sind Kriegsvertriebene. Malaria ist die häufigste Todesursache bei Kleinkindern. In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden im Land 1.523 Maserntote gemeldet, viel mehr als Mpox-Tote.
In weiten Teilen der DR Kongo gibt es keine funktionierende Gesundheitsversorgung, vor allem in entlegenen Gebieten wie Kamituga. Die Ebola-Pandemie 2018–19 im Osten des Landes mit 2287 offiziell bestätigten Toten und scharfen Schutzmaßnahmen ist den Menschen in frischer Erinnerung, ebenso die vielen Covid-19-Toten und die Abriegelung des öffentlichen Lebens in mehreren Zeitabschnitten zwischen 2020 und 2022.
Kongos Gesundheitsbehörden würden nun gerne große Impfkampagnen durchführen. Das wäre nicht nur wegen Mpox dringend geboten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht