WAHLSIEGER SCHARON WIRD BLUTIGE KONFRONTATIONEN AUSLÖSEN: Der Krieger
Ariel Scharon ist ein Mann der Vergangenheit. Und eine Figur des Übergangs. Kein Mann der Hoffnungen, auch nicht der Fragezeichen. Seine Antworten hat sein Leben gegeben, und seine Autobiografie ist Bestätigung dafür. „Krieger“ heißt sie. Und im Krieg hat Scharon sich sein Leben lang befunden. Im Krieg gegen die Palästinenser. Er hat an allen israelisch-arabischen Kriegen teilgenommen. Er gehörte stets Eliteeinheiten an, wurde schon in jungen Jahren Kommandeur, später General, Armeechef und Verteidigungsminister. Seine größte militärische Leistung war die Überquerung des Suez-Kanals im Oktoberkrieg 1973, als er auf Kairo zumarschierte. Seine unrühmlicheren Taten sind verbunden mit „Vergeltungsaktionen“, angefangen vom Massaker 1953 im Dorf Qibya im Westjordanland mit mehr als 50 Toten bis hin zum Massaker von Sabra und Schatila, als er christlichen Milizionären gestattete, 2.000 palästinensische Flüchtlinge niederzumetzeln, in einer dreitägigen Blutorgie unter den Augen der israelischen Armee. Als Führer der berüchtigten Einheit 101 bekämpfte er in den 50er- und 60er-Jahren die Beduinen im Negev, nahm ihnen Land, Herden und Leben. Als Bulldozer betätigte er sich schon zu Beginn der 70er-Jahre, als er im Gasastreifen palästinensische Flüchtlingslager plattwalzen ließ, um den Einsatz von Panzern zu ermöglichen. Sowohl als Verteidigungsminister in den 80ern als auch als Wohnungsbau- und später Infrastrukturminister stand er für den Ausbau von Siedlungen, die Beschlagnahme palästinensischen Landes, die Sprengung von Häusern. Noch im Jahre 1998, als die Regierung Netanjahu den vereinbarten weiteren Rückzug der Armee aussetzte, rief er die Siedler auf, die Hügel zu besetzen und neue Siedlungen zu bauen, was diese auch freudig taten.
Ariel Scharon denkt in alten zionistischen, also territorialen Kategorien. Ihm geht es um die Erweiterung von Siedlungen, um die Aneignung des palästinensischen Landes. Das Gerede von einem „Neuen Nahen Osten“ hält er für lächerlich, die Vereinbarungen von Oslo lehnt er ab. Das erweiterte, besetzte und annektierte Jerusalem ist für ihn die „ewige Hauptstadt des jüdischen Staates“. Mehr Land als die gegenwärtigen 42 Prozent will er den Palästinensern nicht geben, vom Rückkehrrecht der Palästinenser ganz zu schweigen. Internationales Recht und UN-Resolutionen interessieren ihn nicht. Sicherheit verspricht er nur den Israelis, den Siedlern, mit Straßen, Pufferzonen und militärischer Präsenz.
Scharon wird jetzt eine Koalition bilden, ganz gleich welcher Couleur, um endlich Regierungschef spielen zu können. Doch die Arbeitspartei wird er nur ins Boot holen können, wenn er weiteren Verhandlungen mit den Palästinensern zustimmt. Friedensverhandlungen wird es aber nur geben, wenn sie auf der Grundlage der Ergebnisse von Taba fortgesetzt werden. Die jedoch will Scharon nicht anerkennen. Dann bleibt ihm eine rechts-religiöse Koalition mit einer Mehrheit von zwei oder vier Stimmen. Erpressbar bis zum Letzten, weil jede dieser kleinen Fraktionen Spezialinteressen vertritt, Posten will und Geld.
Es bedarf keiner Prophetie, um vorherzusagen, dass Scharon die Friedensverhandlungen zum Stillstand bringen und blutige Konfrontationen auslösen wird. Zwar wird häufig spekuliert, unter dem Druck der neuen Verantwortung und dem Zugzwang internationaler Verpflichtungen werde Scharon sich mausern wie einst Menachem Begin, der den Sinai bis auf den letzten Meter räumen ließ. Doch diese Optimisten verkennen, dass das Westjordanland im zionistischen Weltbild israelisches Land ist, Judäa und Samaria eben, von Gott gegeben.
Dass Scharon sich zum sorgenden Großvater wandeln wird, wie seine Wahlspots verkündeten, der mit kleinen Kindern auf blühenden Wiesen spielt und vollmundig Frieden und Sicherheit verspricht, erwarten nicht einmal seine Anhänger von ihm. Sie erwarten eine starke Hand. Eine Hoffnung aber gibt es: Scharon wird an der zersplitterten Knesset ebenso scheitern wie Barak vor ihm. Und die Israelis werden von ihm ebenso bald die Schnauze voll haben wie von Netanjahu zuvor oder eben Barak. Nur dass Neuwahlen eine Änderung im zerklüfteten israelischen Machtgefüge bringen können, erscheint schlicht illusorisch. Keine guten Aussichten für einen baldigen und umfassenden Frieden mit den Palästinensern. GEORG BALTISSEN
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