Vulkan in Indonesien: Leben mit dem Schlamm
Nach Erdgasbohrungen ist 2006 der weltgrößte Schlammvulkan ausgebrochen – und noch immer aktiv. Doch bis heute will niemand die Verantwortung tragen.
PORONG taz | Noch bevor die Sonne aufgeht, verlässt Sani ihr Haus. Jeden Morgen um halb fünf wickelt sich die kleine, kräftige 60-Jährige ein Tuch um den Kopf, setzt ihren geflochtenen Korb darauf und läuft los in Richtung Markt. Dort kauft sie in Bananenblätter gewickelten rohen Fisch und Gemüse, füllt ihren Korb bis oben hin und zieht damit von Haus zu Haus. Dafür muss sie kilometerweit laufen, denn viele Häuser gibt es nicht mehr in Gempolsari, einem kleinen Ort im Amtsbezirk Porong, etwa 25 Kilometer von Indonesiens zweitgrößter Stadt Surabaya entfernt. "Früher habe ich einen Kiosk direkt vor meinem Haus besessen, wo ich Obstsalat und Sirup verkauft habe", erinnert sich Sani. "Damals war hier richtig was los."
Sani sind die Käufer ausgegangen durch eine Katastrophe, die die Welt vergessen hat. Hinter ihrem Haus, da wo früher ein dicht besiedeltes Wohngebiet war, sieht man heute nichts als Schlamm. Herumliegende Ziegelhaufen erinnern an die Häuser der Nachbarn, die bereits weggezogen sind. Heute steht Sanis Haus beinahe allein zwischen einem kleinen Kanal und dem See aus Schlamm.
Der Schlamm. Seit er am 29. Mai 2006 auf einmal aus der Erde schoss, ist in Gempolsari nichts mehr, wie es vorher war. An diesem Tag brach der Schlammvulkan aus, der inzwischen als größter der Welt gilt. In den Folgemonaten überflutete der Schlamm 12 Dörfer, vertrieb 35.000 Menschen. Über 20 Fabriken versanken ebenso im Schlamm wie Schulen und Moscheen. Die einst mitten durch den heutigen Schlammsee führende Autobahn in Richtung Surabaya musste weiträumig verlegt werden.
Das Bakrie-Imperium
Nur 150 Meter entfernt von der Ausbruchsstelle befindet sich ein Bohrloch für Erdgas der Firma PT Lapindo Brantas. Die Mehrzahl der Wissenschaftler, die den Schlammvulkan untersucht haben, wirft Lapindo vor, den Bohrungskanal nicht ausreichend gesichert zu haben und damit die Katastrophe ausgelöst zu haben. Die Sache ist längst zum Politikum geworden. Lapindo gehört den Bakries, einer der reichsten Familien Südostasiens, und einer ihrer Sprösslinge zählt zu den mächtigsten politischen Strippenziehern in Indonesien. Aburizal Bakrie ist Vorsitzender der Golkar-Partei, die einst politische Basis von Diktator Suharto war. Bakries Familie hat ihren wirtschaftlichen Aufstieg in den Jahren von Suhartos eiserner Herrschaft vollzogen und pflegte enge geschäftliche Beziehungen mit dessen Familienmitgliedern.
Das Bakrie-Imperium reicht von Medien/Telekommunikation über Plantagen bis zur Gewinnung von Steinkohle und Erdgas. 2007 kürte das Forbes-Magazin Aburizal Bakrie zum reichsten Indonesier. Auch politisch gelangen Bakrie Höhenflüge. "Nach Suhartos Sturz", so urteilt Joe Studwell in seinem Buch "Asian Godfathers", "erfand Aburizal Bakrie sich neu als demokratischer Politiker".
Nach mehreren Ministerposten wurde er vor Kurzem zum Koordinator der Regierungskoalition von Präsident Susilo Bambang Yudhoyono ernannt. Viele politische Beobachter sind sicher, dass Bakrie zur nächsten Wahl 2014 selbst für das höchste Amt im Staat kandidieren wird.
Anfangs hatte die indonesische Regierung verfügt, dass Lapindo die Opfer entschädigen muss. Mehrere Mitarbeiter des Unternehmens wurden von der Polizei vorgeladen. Das Unternehmen einigte sich mit den Opfern auf Entschädigungszahlungen. Doch später wurden aus Geldversprechen Sachleistungen, aus zugesagten Gesamtsummen Ratenzahlungen. Die Firma begründete dies mit finanziellen Engpässen wegen der globalen Wirtschaftskrise. Vor allem die ärmeren Schlamm-Opfer, die sich keinen langen Atem leisten konnten, willigten ein.
Menschenrechts- und Umweltorganisationen haben versucht, die Schuldfrage auf gerichtlichem Wege zu klären. Alle juristischen Entscheidungen fielen zugunsten von Lapindo aus. "Bakrie ist nun mal sehr mächtig", sagt ein Mitarbeiter der Regierungsbehörde BPLS, die für die Schlammkatastrophe eingesetzt wurde. "Es war einfach nicht möglich, Lapindo etwas nachzuweisen", so der Beamte, der nicht namentlich genannt sein wollte. Unlängst stoppte der Polizeichef von Ostjava die Ermittlungen gegen Lapindo.
Wenn Lapindos Unschuld bewiesen würde, dann übernähme das Unternehmen auch die bisher zugesagte Verantwortung nicht, so das Kalkül der Polizei. Diese Begründung sei "seltsam", urteilte hernach Tempo, Indonesiens größtes Nachrichtenmagazin. Die Polizei solle doch lieber erst mal alle nötigen Beweise für ein Gerichtsverfahren finden, bevor sie sich Gedanken um dessen Ausgang mache.
Auf die Frage, ob der Schlammfluss in Porong eine Naturkatastrophe ist oder nicht, erhält man bis heute von der Regierung keine schlüssige Antwort. "Wir sind nicht in der Position, das zu entscheiden", heißt es von der Regierungsbehörde BPLS. "Alle spielen sich gegenseitig den Ball zu", sagt Paring Waluyo Utomo von der indonesischen NGO Lafadl Initiatives, die sich für die Opfer des Schlammvulkans einsetzt.
Auf das erste präsidentielle Dekret, das Lapindo in die Verantwortung nahm, folgten zwei weitere, nach denen die Regierung neue Opfer im inzwischen ausgeweiteten Katastrophengebiet entschädigt. Daraus folgt eine skurrile Einteilung der Betroffenen in Lapindo-Opfer und Regierungs-Opfer. Erstere werden von Lapindo entschädigt - wenn sie im Gegenzug ihr Land abtreten. Für zweitere ist die Regierung zuständig.
"Regierungsopfer" bekommen kostenlos Frischwasser, weil ihre Brunnen durch den Schlamm verschmutzt sind, wenige Kilometer entfernte Nachbarviertel, die von Lapindo entschädigt werden müssen, nicht. Gleichzeitig hat die Regierung bislang nur die Hälfte der versprochenen Entschädigungssumme an "ihre Opfer" gezahlt. Die nächsten Raten folgen erst, wenn Lapindo "seine Opfer" vollständig entschädigt habe, ist aus dem BPLS zu erfahren. Die Begründung: Man wolle kein Gefühl von Ungleichbehandlung erzeugen.
Sani steht hinter ihrem Haus neben dem Brunnen und zeigt auf die trübe Brühe, die sie daraus schöpft. Sie gehört zu denen, die sich ihr Wasser kaufen müssen. Etwa 20 Prozent ihres Verdienstes setzt sie dafür ein. Das gekaufte Wasser dient zum Trinken und zum Kochen. Kleidung wird mit dem dreckigen Brunnenwasser gewaschen. Lediglich die Schuluniformen für ihre beiden Enkel wäscht sie mit dem teuer gekauften Wasser. "Die müssen doch sauber ausssehen", sagt Sani.
In ihr Haus hatte sich der Schlamm kniehoch hineingefressen, als der Damm hinter ihrem Haus brach. Die untere Hälfte der hölzernen Eingangstür blättert in Streifen ab. An den Wänden ist die Farbe nur noch zu erahnen. Außer dem völlig zerschlissenen Sofa und zwei Matratzen in den hinteren Räumen befindet sich kaum noch etwas in dem Haus. Ihre Habseligkeiten hat die Familie untergestellt. Der Schlamm kann schliesslich jederzeit zurückkehren. Vor allem, wenn es stark regnet, hat Sani keine ruhige Minute mehr. Der Gedanke daran, dass der Damm wieder brechen könnte, verfolgt sie jederzeit.
Auf eine Entschädigungszahlung, um neues Land zu kaufen, wartet Sani bis heute. Lapindo hatte ihr Land als Ackerland eingestuft, was den niedrigsten Preis erzielt. Zudem forderte der Chef ihres Dorfes eine "Erfolgsprämie" von 25 Prozent für die schnelle Abwicklung des Entschädigungsprozesses mit Lapindo - im zutiefst korrupten Indonesien ein durchaus gängiges Verfahren. Die meisten der Nachbarn wollten schnell entschädigt werden und willigten ein. Sanis Familie und 18 weitere nicht. Sie forderten den angemessenen Preis für ihr Land. Bis nach Jakarta vor den Präsidentenpalast sind sie gezogen - bislang ohne Erfolg.
Die lokale NGO Lafadl Initiatives hat mit Hilfe einer Spende von Bodyshop eine Kooperative für die Frauen in Gempolsari aufgebaut, die Kleinkredite vergibt. Denn Geld von der Bank bekommen sie ohne entsprechende Sicherheiten schon lange nicht mehr. So kann Sani zumindest weiter ihren Fisch ein- und verkaufen, auch wenn ihre Kunden oft anschreiben, weil ihnen selbst das Geld ausgegangen ist.
Sieben Quadratkilometer Schlamm
Mehr als vier Jahre nach seinem Ausbruch spuckt der Vulkan noch immer rund 100.000 Kubikmeter Schlamm pro Tag. Der Schlammsee erstreckt sich mittlerweile über sieben Quadratkilometer. Außerhalb des Schutzwalls sind rund zweihundert neue Löcher entstanden, mitten in Höfen, Häusern, Fabriken. Löcher, aus denen eine übelriechende grüne Masse blubbert. Über der Stadt liegt der Gestank des Gases, das aus der Tiefe kommt. Es lange einzuatmen macht schwindlig und verursacht Kopfschmerzen. Das BPLS schätzt, dass der Schlammfluss noch etwa 30 Jahre andauern wird. Geologen warnen, dass in einem Radius von mehreren Kilometern das ganze Gebiet kollabieren könnte.
"Schon jetzt hat sich die Erde um die Ausbruchsstelle etwa 14 Meter abgesenkt", sagt der Geologe Rudi Rubiandini. Die zahlreichen neuen Schlammquellen ziehen neue Absenkungen nach sich. Überall sind die Folgen sichtbar, als Risse in den Häusern, als Dellen in den Straßen. Rubiandini, Ex-Vorsitzender der indonesischen Geologenvereinigung und einst Leiter einer staatlichen Untersuchungskommission zum Schlammvulkan, zieht Vergleiche zum schnellen Handeln nach dem durch BP versursachten Öl-Desaster im Golf von Mexiko. "Dort bekam die US-Regierung Druck von der Opposition, von Umweltschützern und von engagierten Bürgern. Also machte sie Druck auf das Unternehmen, um das Bohrloch zu schließen. Bei uns in Indonesien passiert - nichts", so Rubiandini.
Der Geologe ist überzeugt, dass man den Schlammfluss stoppen könnte. Die dafür nötige Methode wird in Fachkreisen "Dynamic Killing" genannt. Schwerer Schlamm würde in die Eruptionsquelle gepumpt, um den Druck des darunter liegenden dünnflüssigeren Schlamms auszugleichen. Die Kosten dafür, so der Geologe, seien mit etwa 100 Millionen US-Dollar vergleichsweise gering und die nötige Expertise sei im Land vorhanden.
Doch der Regierung sind solche Lösungsvorschläge zu unsicher. Das Risiko eines derart teuren Versuches ohne Erfolgsgarantie sei einfach zu hoch, schließlich könne der Schlamm ja jederzeit an einer anderen Stelle wieder heraus kommen, heißt es beim BPLS. "Den Schlammfluss zu stoppen, das ist nicht mehr unsere erste Priorität", so der Sprecher der Behörde. Katastrophen-Tourismus scheint attraktiver: Im Mai wurde bekannt, dass die Regierung 273 Milliarden Rupiah (24,4 Millionen Euro) bereit stellen werde, um das Gebiet als geologisch interessantes Reiseziel zu promoten.
Die Menschen von Porong versuchen indes, ihren Alltag zu bestreiten. Wer noch nicht gegangen ist, harrt vor dem Schlamm aus, wie das Kaninchen vor der Schlange. Sani hat für heute all ihre Fische verkauft, sie geht an den Überresten der Nachbarhäuser vorbei nach Hause. "Früher haben wir abends alle hier beisammen gesessen", sagt Sani. "Heute ist es still wie auf einem Friedhof."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins