Bernt Berger zum Putsch in Myanmar: „Militär folgt seiner eigenen Verfassung“

Den Leiter des Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Yangon überrascht der Militärcoup nicht. Sanktionen gegen das Land hält er für falsch.

Soldaten bewachen einen Militärkontrollpunkt in Myanmar auf dem Weg zum Kongressgelände in Naypyitaw, Myanmar.

Soldaten bewachen einen Kontrollpunkt auf dem Weg in Naypyidaw, der Hauptstadt Myanmars Foto: Stringer/reuters

taz: Herr Berger, wie ist die heutige Lage in Yangon?

Bernt Berger: Ziemlich normal. Die Menschen gehen ihrem Leben nach. Allein durch den Ausfall von Mobilfunk und zeitweise dem Internet war das Leben eingeschränkt. Vor den Banken, die kein Bargeld mehr ausgeben, gab es Schlangen. Auch vor großen Supermärkten, aber keine Hamsterkäufe im großen Stil. Das Militär hatte sich schon vor dem Coup an strategischen Punkten in Yangon mit Panzerwagen aufgestellt, das ist als Machtdemonstration zu werten. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Hauptstadt Naypyidaw. Dort wurden die Parlamentarier unter Hausarrest gestellt und damit die konstituierende Sitzung der Parlamente verhindert.

Aung San Suu Kyi ruft laut einer angeblich vorbereiteten Erklärung zum Protest auf, der Sprecher ihrer Partei fordert dagegen zur Ruhe auf. Ein Widerspruch?

Es gibt viele Gerüchte und Fehlinformation. Es ist davon auszugehen, dass es diese Aufrufe nicht gegeben hat. Die Lage bleibt solange friedlich und entspannt, solange es keine Unruhen gibt.

ist Landesdirektor der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Myanmars Metropole Yangon sowie Analyst und Konfliktforscher mit Schwerpunkt Asien.

Das Militär verspricht, nur für ein Jahr zu regieren. Ist das glaubwürdig?

Im Prinzip ja. Der Putsch lief, mit Ausnahme der Festnahmen, exakt nach der vom Militär geschriebenen Verfassung von 2008 ab, indem die Regierung vom Vizepräsidenten übernommen wird, den das Militär stellt, sobald es „unkonstitutionelle Trends“ gibt, die das politische System unterwandern. Die Verfassung ist nicht rechtsstaatlich, aber das Militär folgt ihrer Logik. Es gibt wenig Grund anzunehmen, dass Militärchef Min Aung Hlaing, der ab jetzt die Regierungsgeschäfte führt, davon abweichen wird. Auch frühere Militärs und sogenannte Cronies haben kein Interesse an einer neuen dauerhaften Militärregierung, die ihren wirtschaftlichen Interessen schadet. Die Frage ist, wie schnell und im welchen Umfang die Vorwürfe wegen Wahlbetrug untersucht werden.

Was ist an den Vorwürfen dran?

Schon vor der Wahl gab es nicht nur vom Militär, sondern auch von der Presse Befürchtungen von Wahlfälschungen. Die Wahlkommission wird von der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi und keinesfalls unabhängig. Zentral ist die Vermutung gefälschter Wählerlisten. Hinzu kommen die Regionen, in denen wegen der bewaffneten Auseinandersetzungen mit Armeen der Minderheiten gar nicht gewählt wurde.

Welche Fehler hat die NLD-Regierung im Umgang mit dem Militär gemacht?

Aung San Suu Kyi hat versucht, die Macht des Militärs graduell einzuschränken, was ihr auch gelungen ist. Nachdem Aung San Suu Kyi das Militär bei den Anhörungen in Den Haag verteidigt hat, konnte sie Teile der nationalistischen Wählerschaft gewinnen. Auch konnte sie Budgetforderungen des Militärs zu blockieren. Doch hat sie bei diesem Machtspiel wohl die Karten überreizt. Es wäre sinnvoll gewesen, bei verschiedenen Themen auf das Militär zuzugehen und es einzubinden. Jetzt geht es der Militärführung nur noch um den Status Quo unter der 2008er Verfassung.

Worum geht es dem Militär wirklich?

Es geht tatsächlich um möglichen Wahlbetrug, um den Status Quo des Militärs im Demokratisierungsprozesses und spekulativ über einen personlichen Machtkampf zwischen Aung San Su Kyi und Militärchef Min Aung Hlaing.

Das Militär hat laut Verfassung schon sehr viel Macht. Macht ein Putsch da noch Sinn?

Die in der Verfassung dem Militär zugeschriebene Macht war zuletzt stark unter Beschuss. Auch hat der Proporz aufgrund des vernichtenden Wahlergebnisses der USDP nicht zu einer Mehrheit geführt. Und das Militär wirtschaftet aufgrund der bewaffneten Konflikte im Land defizitär.

Erbt jetzt das Militär die ungelösten Probleme der Regierung wie etwa Corona und macht es eine Kehrtwendung von seinem eigenen Rückzug von der Spitze der Macht vor zehn Jahren?

Es ist davon auszugehen, dass das Militär den Entwicklungspfad nicht unterbricht. Die wirtschaftlichen Interessen aus den eigenen Reihen und den alten Machtzentren ist zu groß.

Wie sollte sich das Ausland verhalten?

Sanktionen können zu diesem Zeitpunkt nur schaden. Das Militär folgt einer klaren Handlungslogik. Sanktionen würden der Bevölkerung und der Entwicklung des Landes gerade in Zeiten von Corona noch mehr schaden. Appelle zu einer schnellen Aufklärung wären hilfreicher.

Ist bei neuen westlichen Sanktionen zu erwarten, dass Myanmar wieder näher an China heranrückt?

Der chinesische Botschafter hat schon vor dem Coup angekündigt, dass eine Zusammenarbeit mit der neuen Regierung gewünscht ist. Peking kann nur verlieren, wenn es sich in Myanmars innere Angelegenheiten einmischt. Zudem war die Zusammenarbeit mit der NLD besser als mit der militärnahen USDP.

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