piwik no script img

Vorwürfe gegen Philosoph Omri BoehmEklat vor Rede an historischem Ort

Der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm trat bei den Wiener Festwochen auf. Seine Rede sorgte schon im Voraus für Kontroverse.

Erfolgsphilosoph Omri Boehm erklärt sich heute in Wien Foto: Alex Halada/imago

Die Rede des israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm in Wien sorgte, noch ehe sie gehalten wurde, für erbitterten Streit zwischen den veranstaltenden Wiener Festwochen und Vertretern der Israelitischen Kultusgemeinde. Diese werfen Boehm vor – etwa in seinem Buch „Haifa Republic“ (Deutsch: „Israel eine Utopie“) –, mit seinen Thesen zum Nahostkonflikt und zur Zukunft des jüdischen Staates Israel in seiner Existenz zu delegitimieren.

Eine Bank sprang als Hauptsponsor der „Rede an Europa“ ab, auch das Wiener Jüdische Museum zog sich aus der Kooperation mit den Festwochen und dem Wiener Institut für die Wissenschaft von Menschen (IWM) für die Veranstaltung am Dienstagabend zurück.

Boehm war eingeladen, um über den israelisch-palästinensischen Konflikt und seine Auswirkungen auf Europa zu sprechen. Seine Gegner werfen ihm vor, den Holocaust in seiner Einzigartigkeit zu relativieren. Für Ariel Muzicant, den Präsidenten des Europäischen Jüdischen Kongresses, und andere Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde ist es „die falsche Rede am falschen Ort“.

Der Journalist und Präsident der liberalen jüdischen Gemeinde Or Chadasch Eric Frey hingegen sieht bei Boehm zwar „verschrobene Ansichten“ zum Nahostkonflikt, aber sicher keinen Antisemitismus. Seine Gegner störe, so Boehm, „dass ich die Aufklärung vertrete“.

Nicht irgendein Ort

Der Ort der Rede unter freiem Himmel ist nicht irgendeiner. Am Wiener Judenplatz gedenkt Österreich der 65.000 in der Shoah ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden. Ihr Mahnmal steht mit Ablagerungen aus Jahrhunderten dazwischen letztlich auf den Trümmern des mittelalterlichen Ghettos, das 1420 in der „Wiener Geserah“ zerstört wurde.

Selten bildet ein Ort die Kontinuität jüdischer Verfolgungsgeschichte derart in einer geografischen Einheit ab. Von der gegenüberliegenden Seite blickt eine Lessing-Statue auf das Ensemble herab und verspricht eine bessere Zukunft im Geist der Aufklärung; in einer Stadt, die in den vergangenen Jahrzehnten vielfältiges jüdischen Leben hervorgebracht hat.

Dieses Vertrauen ist nach dem 7. Oktober auch in Wien erschüttert. Zentrale Vorwürfe gegen Boehm mögen der Überprüfung am Text nicht standhalten. Dennoch wäre eine andere Auseinandersetzung mit der Verunsicherung von Jüdinnen und Juden in dieser Stadt wünschenswerter als ein Theaterskandal nach bewährtem Wiener Muster. Der Judenplatz ist nicht „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard in umgekehrter Richtung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wie meinen?

    “Es ist der Eröffnungsabend der Leipziger Buchmesse, geehrt werden soll – wieder: ausgerechnet – der durch und durch versöhnliche israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm. Boehm schwebt die Vision eines binationalen israelischen Staates vor, deren realpolitischen Gehalt man nach dem 7. Oktober mit guten Gründen bezweifeln kann. Ausgezeichnet wird er aber für sein Werk „Radikaler Universalismus“.“



    taz.de/Auftakt-zur...uchmesse/!5996640/



    & Sie? - Ach was! ©️ Vagel Bülow 💯💯te



    “…Zentrale Vorwürfe gegen Boehm mögen der Überprüfung am Text nicht standhalten. Dennoch wäre eine andere Auseinandersetzung mit der Verunsicherung von Jüdinnen und Juden in dieser Stadt wünschenswerter als ein Theaterskandal nach bewährtem Wiener Muster. Der Judenplatz ist nicht „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard in umgekehrter Richtung.“

    Sicher - Aufklärung - wußte schon Lessing!



    Ist nichts für Duckmäuser! Woll

  • Omri Boehm verlangt auch von Israel, universale Grundsätze zu beachten: Gleichbehandlung, ...



    Das ist innerhalb dieser Prämissen selbstevident.

    Wer das aufbauschen möchte, sollte erst mal erklären, wieso. Israel weder mit Wattehandschuhen noch mit Stacheldraht anfassen, universal gedacht eben, wäre nämlich einer der möglichen Wege.

    • @Janix:

      Das verfehlt den Kern des Vorwurfs. Auch der Artikel geht von einer eigentümlichen Prämisse aus: wenn „(z)entrale Vorwürfe gegen Boehm (…) der Überprüfung am Text nicht standhalten“, dann ist auch nicht wirklich ersichtlich, weshalb man Boehm nicht sprechen lassen sollte. Die Frage ist, ob der Vorwurf, dass Boehm den israelischen Staat delegitimiert, seine Berechtigung hat oder nicht.



      Es geht nicht einfach darum, dass Boehm eine „Gleichbehandlung“ im Sinne „universaler Grundsätze“ fordert, wie Sie behaupten, sondern es geht um Boehms Idee einer „Republik Haifa“ nach dem Modell der Einstaatenlösung, die er universalistisch begründet. Und eine Einstaatenlösung kann in der Konsequenz durchaus das Ende Israels als jüdischem Staat bedeuten, weil die jüdische Bevölkerungsmehrheit dann wohl bald passé wäre.



      Wenn man akzeptiert, dass Israel sich als jüdischer Staat versteht, dann ist damit die Akzeptanz eines partikularistischen Prinzips vorausgesetzt. Boehm kritisiert den ethnonationalistischen Charakter Israels von einem universalistischen Standpunkt aus und ignoriert, dass dieses Selbstverständnis die Konsequenz daraus ist, dass sich Jüdinnen und Juden nirgendwo – am allerwenigsten in Deutschland – auf den Staat zu ihrem Schutz verlassen konnten.



      Insofern hat der Vorwurf, dass Boehm daran mitarbeite, die „Zukunft des jüdischen Staates Israel in seiner Existenz zu delegitimieren“, durchaus Substanz. Boehm löst den jüdischen Staat mit einem anderen argumentativen Verfahren auf, als das bei Antizionisten normalerweise der Fall ist, aber er löst ihn auf.



      Hier wird nichts aufgebauscht. Und man kann übrigens durchaus Universalist sein und dennoch anerkennen, dass dieser spezifische Partikularismus seine sachliche Berechtigung hat. Christen und Muslime haben dieses Problem nicht, denn sie haben eine große Auswahl an Staaten, die für ihren Schutz eintreten. Jüdinnen und Juden haben nur diesen einen Staat, der konsequent für den Schutz jüdischen Lebens eintritt.

      • @Taugenichts:

        Danke für eine ausführlich argumentierende Antwort.



        Ein Staat, der sich heute noch ethnisch-religiös definiert, ist wohl darin begründungspflichtig und nicht universalistisch abzuleiten, sondern identitär.



        Gilt auch z.B. für die Islamische Republik Iran.

        Jüdische Menschen sollten wie andere Menschen überall als Bürgers oder weitere Menschen sicher sein.

        Man kann nun gerade im Falle Israels identitär als einen positiven Wert sehen, das tut Boehm nicht.



        Und das darf er doch auch, transparent und in sich stimmig.







        PS, wenn Ihr Wunsch ist, dass ein Staat gleichzeitig demokratisch-gleichberechtigend und ethnisch-religiös sein soll, kommt bei mir gerade nur ein kleinerer mono-ethnischer Staat heraus. Oder was wäre Ihre Auflösung?

        Geht auch, dann sollte sich Israel entsprechend kleinschrumpfen und die vertriebenen Palästinenser auszahlen (und umgekehrt Geld von den arabischen Staaten einfordern, die Juden vertrieben). Monoethnische oder -religiöse Staaten gibt es nicht, und sie sind als "Ideal" , meinen manche, ein deutsch-mitteleuropäischer Irrweg des 19. Jhs. Sollten wir den als Normalfall ansehen?

        • @Janix:

          Meine Auflösung wäre, dass eine jüdische Bevölkerungsmehrheit nicht das gleiche ist wie ein „mono-ethnischer Staat“. Eine totale identitäre Demokratie, wie sie in ihrem Kommentar voraussetzen, muss es eben nicht notwendigerweise sein.



          Nun würde ich der Aussage, dass „(j)üdische Menschen (…) wie andere Menschen überall als Bürgers oder weitere Menschen sicher sein (sollten)“ selbstverständlich zustimmen, sie sind es aber nun mal nicht. Unter den gegenwärtigen Bedingungen muss es deshalb einen Staat geben, der das garantiert. Eben daraus ergibt sich die Notwendigkeit des ethno-demokratischen Charakters Israels.



          Dass damit notwendigerweise bestimmte Probleme einhergehen, steht außer Frage. Insgesamt scheint mir der Staat Israel diese aber immer noch sehr viel besser zu lösen als etwa die Islamische Republik Iran, gegen die komischerweise viel seltener der Apartheid-Vorwurf erhoben wird, obwohl er da viel eher zutrifft.



          Mein Wunsch wäre ja, dass wir die nationalstaatliche Ordnung irgendwann hinter uns lassen, aber das wird innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung wohl eher nicht passieren, denn die Nation erfüllt im Kapitalismus eine gewisse Funktion. Solange es aber Nationen (und Antisemitismus) gibt, muss es mindestens einen jüdischen Nationalstaat geben.