Vorwürfe gegen Grünen-Politiker Gelbhaar: Ende einer politischen Karriere
Nach Vorwürfen sexueller Belästigung wird der Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar im Kampf um das Direktmandat in Berlin-Pankow abserviert.
Bei einer Neuabstimmung über die Grünen-Direktkandidatur unterlag der gut vernetzte Verkehrspolitiker der weithin unbekannten Berliner Landesabgeordneten Julia Schneider mit 127 zu 269 Stimmen. Im Anschluss erklärte Gelbhaar: „Das ist Demokratie.“ Und dass er Julia Schneider nun viel Erfolg wünsche für die verbliebenen knapp 50 Tage Wahlkampf.
Klar ist: Die Bundestagskarriere Gelbhaars ist mit dem Votum des Kreisverbands vorerst beendet. Und damit auch eine für die Grünen hochgradig quälende Diskussion über den Umgang mit einem Kandidaten, dem mehrere Frauen sexuelle Belästigung und übergriffiges Verhalten vorwerfen.
Alles andere als eine Niederlage des 48-Jährigen auf der Wahlversammlung im Ortsteil Prenzlauer Berg hätte die Berliner Grünen dabei in noch weitaus größere Bedrängnis gebracht als ohnehin schon. Eine „Katastrophe mitten im Wahlkampf“ wäre programmiert gewesen, sagte ein prominentes Mitglied der Grünen am Rande des Parteitreffens zur taz.
Absturz innerhalb weniger Wochen
Gelbhaar sitzt seit 2017 im Bundestag, 2021 hatte er den Wahlkreis Pankow mit großem Abstand direkt gewonnen, 2025 wollte er das Mandat erneut holen. Die Chancen standen nicht schlecht, die Unterstützung seines mitgliederstarken Kreisverbands hatte er sicher. Bei einer ersten Wahlversammlung Mitte November wurde er mit 98,4 Prozent der Stimmen zum Direktkandidaten bestimmt. Wenige Wochen darauf folgten die Vorwürfe. Der Lack bröckelte.
Bei der Aufstellung der Landesliste Mitte Dezember verzichtete der Realo Gelbhaar zwar auf eine Kampfkandidatur um Listenplatz 2 gegen den Parteilinken Andreas Audretsch aus Neukölln, seines Zeichens Wahlkampfmanager von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck. An seinem Direktmandat im Ostbezirk Pankow glaubte Gelbhaar aber festhalten zu müssen. Ein Unding, fand irgendwann auch der Vorstand seines Kreisverbands – und setzte die Neuabstimmung an.
Gelbhaar streitet die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen vehement ab. Auch auf der Wahlversammlung am Mittwoch erklärte er: „Es gibt Behauptungen, die gelogen sind, und gegen diese wehre ich mich, und das erfolgreich.“ Ihm sei signalisiert worden, dass er sich „nicht immer adäquat“ verhalten habe. Aber – „ihr kennt mich“ – er werde an sich arbeiten, das weiter reflektieren.
Gegen die „anonymen, falschen Anschuldigungen“ werde er vorgehen, auch mit juristischen Mitteln. „Schwierigen Situationen weiche ich nicht aus“, sagte Gelbhaar. Und: „Schwierige Situationen stehen wir gemeinsam durch.“ Das sah eine Mehrheit der anwesenden Parteimitglieder dann doch anders. Teile des Kreisverbands zeigten sich nach der Entscheidung bei der Wahlversammlung erleichtert, andere witterten weiter die große Verschwörung.
Das Geraune von der linken Verschwörung
Wer hinter der vermeintlichen Parteiintrige stecke, ließen Gelbhaars Anwälte zum Jahreswechsel den RBB in aller Deutlichkeit wissen: „Es liegt eindeutig nahe, dass es sich um ein politisch motivierte Schmutzkampagne von Seiten einiger linker Vertreter der Partei und der Grünen Jugend handelt.“
Vertreter:innen der Parteilinken weisen das entschieden von sich. Und in der Tat stellt sich die Frage, was der linke Parteiflügel davon haben sollte, den eigenen Laden ausgerechnet im Wahlkampf zu demontieren. Audretsch hätte vermutlich auch so Landesplatz 2 geholt, auf den Parteitagen dominieren in Berlin die Linken.
Pankow wiederum ist eine Hochburg des Realo-Flügels. Auf den Realo-Kandidaten Stefan Gelbhaar folgt nun konsequenterweise die Reala-Kandidatin Julia Schneider. Die linke Verschwörung sei letztlich ein Hirngespinst von Gelbhaar und seinen Unterstützer:innen, heißt es daher auch aus gänzlich unlinken Parteikreisen.
Gelbhaar blieb unterdessen eisern bei dieser Version. Zuletzt hatte er noch versucht, die neu angesetzte Wahlversammlung zu verschieben. Die Neuwahl sei zu kurzfristig anberaumt worden, um Chancengleichheit herzustellen, so die Argumentation gegenüber dem Landesschiedsgericht der Grünen. Das Parteigremium lehnte am Dienstagabend ab.
Schneider: „Ja, ich kann gewinnen“
Die beiden Vorsitzenden des Grünen-Kreisverbands Pankow erklärten am Donnerstagmorgen, dass nun endlich nach vorn geschaut werden könne. „Mit Julia Schneider können wir jetzt geschlossen und mit voller Kraft in den Bundestagswahlkampf starten“, teilten Nicolas Scharioth und Maren Bergschneider mit. Die 34-jährige gebürtige Ostberlinerin werde „Pankow eine starke, ostdeutsche Stimme im Bundestag geben“.
Schneider selbst hatte in ihrer Rede für sich mit ihren „Kernthemen“ Umwelt- und Klimaschutz geworben. Sie wurde 2021 ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt – und zwar direkt, wie sie mehrfach betonte. Das, gab sie sich sicher, werde ihr nun auch bei der Bundestagswahl gelingen: „Ja, ich kann gewinnen, mit euch, für euch und die Menschen in unserem Wahlkreis.“
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