Vorwürfe gegen EU-Grenzschutzagentur: Kontrolliert Frontex!
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll in illegale „Pushbacks“ Geflüchteter auf dem Meer involviert sein. Nun müssen Konsequenzen folgen.
Frontex-Direktor Fabrice Leggeri zittert bestimmt schon. Passiert ja nicht alle Tage, dass die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im Radio fordert, der Chef der EU-Grenzschutzagentur müsse „die volle Verantwortung“ übernehmen und aufklären, was passiert sei.
Oder auch nicht.
Denn eigentlich dürfte sich Leggeri ja schon an solche Vorwürfe gewöhnt haben: Frontex sei in illegale Zurückweisungen von Flüchtlingen durch die griechische Küstenwache, die sogenannten Pushbacks, verwickelt, hatten mehrere Medien wie der Spiegel und das TV-Magazin „Report Mainz“ berichtet. Die Recherchen beziehen sich auf Vorfälle mit Flüchtlingen, die von der Türkei aus über das Meer versuchten, Griechenland zu erreichen.
Die EU-Grenzschutzagentur soll in einem Fall ein Boot erst blockiert haben und dann in hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeigefahren sein – anstatt die Menschen darin aus der Seenot zu retten. Im Anschluss soll Griechenlands Küstenwache die Flüchtlinge in Richtung Türkei zurückgedrängt haben. Frontex als willige Komplizin für rechtswidriges und unmenschliches Verhalten staatlicher Behörden?
Nicht der erste Bericht zu Pushbacks
Die EU-Kommission fordert der Agentur nun Rechenschaft ab. Nur warum sollte das dieses Mal zu etwas führen? Seit gefühlten Ewigkeiten gibt es Berichte über die illegalen Pushbacks und Nichtregierungsorganisationen beschuldigen die europäischen Grenzschützer*innen seit Langem immer wieder, an Fehlverhalten an den Grenzen beteiligt zu sein.
Im August letzten Jahres zum Beispiel soll Frontex in Bulgarien, Griechenland und Ungarn exzessive Gewalt und Misshandlungen von Flüchtlingen hingenommen haben, berichteten Medien mit Verweis auf interne Dokumente der EU-Agentur.
Und die Vorwürfe reichen weit zurück: Im Jahr 2013 etwa untersuchte die NGO Pro Asyl schon einmal Pushback-Berichte an der Land- und Seegrenze Griechenlands zur Türkei und stellte die Frage, ob Frontex daran teilhatte. Schließlich war die Agentur schon damals mit den Operationen „Poseidon Land“ und „Poseidon Sea“ vor Ort tätig.
Seitdem hat Frontex stets nur an Größe und Macht zugelegt. Nachdem 2015 viele Schutzsuchende nach Europa gekommen waren, beschloss die EU im Folgejahr, die damals ein paar Hundert Mitarbeiter*innen zählende Agentur auf 1.000 Personen aufzustocken – plus einen Reservepool von 1.500 Beamten aus den Mitgliedsstaaten für den Krisenfall.
Ein Koloss von einer Behörde
Dieser Aufwuchs soll in den kommenden Jahren noch einmal vervielfacht werden: Die EU-Staaten haben sich im vergangenen Jahr mit dem EU-Parlament darauf geeinigt, dass die Agentur bis 2027 auf voraussichtlich 10.000 Einsatzkräfte anwachsen soll. Außerdem sollte sie mehr Befugnisse bekommen.
Von ein paar Hundert Grenzschützer*innen auf eine 10.000 Menschen starke Dauerreserve – die Agentur wird damit zu einem Koloss von einer Behörde, deren Notwendigkeit von der EU-Kommission immer wieder betont wird. Bei den Vorschlägen für eine neue Asylreform im September hat Brüssel der Behörde eine stärkere Rolle auch bei Abschiebungen zugedacht. Bei soviel Verantwortung sollte der Grundrechtsschutz doch mindestens ebenso mitwachsen?
Immerhin verfügt die Behörde schon seit einer Weile über einen Beschwerdemechanismus. Doch wie das Recherchemedium Correctiv vergangenes Jahr herausfand, ist dieser „bedeutungslos“: „2018 gingen gerade einmal zehn Beschwerden ein – von Hunderttausenden Menschen, die in Kontakt mit Frontex kamen.“ Auch weisen die jüngsten Medienenthüllungen darauf hin, dass interne Berichte wohl nicht immer die volle Wahrheit über die Geschehnisse an die Frontex-Zentrale weitergeben.
Was ist also zu erwarten, wenn EU-Kommissarin Ylva Johansson den Frontex-Chef zur Aufklärung bittet und so das ganze Elend weiterreicht? Wo sind anlässlich des erneuten Skandals die Vorschläge der EU-Kommission, wie der geplante Aufwuchs der Grenzschutzagentur von unabhängiger Kontrolle begleitet werden kann? Dass Frontex in illegale Pushbacks involviert sein soll, ist nach Jahren der Arbeit von Aktivist*innen und etlichen journalistischen Recherchen keine Überraschung. Wenn endlich mal eine Konsequenz gezogen würde – das wäre eine.
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