Vorurteile gegen Sinti und Roma: Mehrheitsfähiger Antiziganismus
Sinti und Roma sind einer Studie zufolge die unbeliebteste Minderheit in Deutschland. Dazu trägt auch die politische Debatte über „Armutsmigration“ bei.
BERLIN taz | Die Wut war Romani Rose deutlich anzumerken. Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma musste sich anhören, dass Gleichgültigkeit, Unwissenheit und Ablehnung die Einstellung der Deutschen gegenüber seiner Bevölkerungsgruppe kennzeichnen.
Das sind die Ergebnisse einer Studie des Zentrums für Vorurteilsforschung der TU Berlin, die am Mittwoch im Bundesfamilienministerium vorgestellt wurde. In Auftrag gegeben hatte sie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Zusammenarbeit mit dem Zentralrat.
Ein Drittel der Befragten lehnt der Studie zufolge Sinti und Roma als Nachbarn ab. Ebenfalls hege jeder dritte Deutsche eine generelle Antipathie gegenüber dieser Minderheit. Knapp 30 Prozent der Befragten seien zudem der Meinung, Deutschland habe trotz der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus keine historische Verantwortung ihnen gegenüber.
Auffällig sei zudem, dass in einigen Einstellungen der Befragten eine Verbindung zwischen Sinti und Roma sowie Asylbewerbern erkennbar wäre. Das Bild von Sinti und Roma entspreche dem von Zugewanderten und nicht dem einer Minderheit, die seit bis zu 700 Jahren in Gebieten der heutigen Bundesrepublik lebe.
Kein neues Feindbild
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, bezeichnete die Ergebnisse als „beschämend“ und forderte eine gemeinsame Anstrengung von Politik und Gesellschaft zur Bekämpfung von Antiziganismus. Sie kritisierte das kürzlich von der Regierung beschlossene Maßnahmenpaket gegen „Armutsmigration“ und „Sozialmissbrauch“. Anstelle von Bettelverboten brauche es ein Umdenken, auch in den Behörden und der Polizei. „Diese Studie ist ein Warnsignal und muss nun jedes Jahr aufs Neue erhoben werden. Wir müssen sehen, wohin sich die Situation entwickelt“, sagte Lüders.
„Wir haben es nicht mit einem neuen Feindbild zu tun“, bewertete einer der Mitautoren der Studie, der Vorurteilsforscher Wolfgang Benz, die Ergebnisse. Vielmehr würden alte Feinbdilder mit neuen Kristallisationspunkten verwendet. Damit meint Benz die seit mittlerweile zwei Jahren währende Debatte über die sogenannte „Armutsmigration“ nach Deutschland.
Neben rechtsextremen Parteien wie der NPD („Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma“) hatte vor allem die CSU im Vorfeld der Europawahlen im vergangenen Mai mit dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“ die Ängste in der Bevölkerung vor einer Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme durch ungebildete und arme Migranten aus Südosteuropa angeheizt.
Romani Rose sagte dazu: „Wer Vorwürfe gegenüber dem Einzelnen an seiner Abstammung festmacht, trägt mit dazu bei, dass man Hass und Gewalt und Gewalt gegen Minderheiten auslebt.“
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 18.52 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe