Vorstandswahl beim Verdi-Kongress: Die meisten Stimmen und Applaus
Rebecca Liebig ist die erste Schwarze Frau im Verdi-Bundesvorstand. Die Delegierten der Gewerkschaft wählten sie mit stolzen 94,7 Prozent.
BERLIN taz | Sie war sichtlich bewegt, als sie das Ergebnis hörte. Rebecca Liebig erhielt am Montagabend nicht nur den meisten Applaus, sondern auch die meisten Stimmen. Mit 94,7 Prozent wurde die Juristin in den Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gewählt. Zum Vergleich: Der bestätigte Vorsitzende Frank Werneke erhielt von den rund 1.000 Delegierten auf dem Bundeskongress in Berlin „nur“ 92,5 Prozent. Liebig ist damit die erste Schwarze Frau im Verdi-Vorstand.
Die Gewerkschafterin wurde 1972 in Ghana geboren und kam im Alter von vier Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Zunächst machte sie in Koblenz eine Ausbildung zur Arzthelferin. Dann holte sie auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur nach. Ein Jurastudium von 1997 bis 2002 in Greifswald folgte. „Das war ein sehr heißes Pflaster damals“, erinnert sich Liebig. Natürlich habe sie da Rassismus erfahren. Sie habe sich aber auch bewusst für diese Stadt als Studienort entschieden, um Ostdeutschland besser kennenzulernen.
Im Gewerkschaftsumfeld wurde Liebigs Wahl als wichtiger Fortschritt aufgefasst. „Endlich einen so wichtigen Schritt weiter. Und ein Hammer-Ergebnis“, schrieb etwa Romin Khan, Verdi-Referatsleiter für Migrationspolitik auf der Plattform X, vormals Twitter. „Unsere Aktiven feiern es, ich auch!“ Die Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Johanna Wenckebach, nannte Liebigs Wahl auf X „unglaublich gut, wegweisend und überfällig“.
Liebig selbst will ihre Identität jedoch nicht zu hoch hängen. „Ja. Ich habe eine schwarze Hautfarbe“, sagte die Juristin in ihrer Bewerbungsrede. Doch in der Dienstleistungsgewerkschaft bedeute das nichts. Jeder sei bei Verdi willkommen, der demokratisch für gute Arbeitsbedingungen kämpfe, führte sie unter Applaus aus.
Zuständig für Migration und Arbeitsmarktpolitik
Im Gespräch mit der taz erklärte sie später, dass es bei der Besetzung des Bundesvorstandes um die Funktion und die Tätigkeit gehen sollte. Ein Mensch mit Migrationshintergrund sei in dem Gremium zwar wichtig für das gegenseitige kulturelle Verständnis. „Der erste Punkt bei der Wahl müssen aber die Qualifikation und Fähigkeiten einer Person sein“, so die Gewerkschafterin, die seit 2019 stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin in Rheinland-Pfalz-Saarland ist.
Bevor sie 2013 beruflich zu Verdi kam, vertrat Liebig als Personalratsvorsitzende die Interessen der Beschäftigten der Innungskrankenkasse Südwest Plus und Südwest Direkt. Die Brille, die sie dort aufsetzte, habe sie nicht wieder abgesetzt, erklärt sie in ihrer Bewerbungsrede, um ihren Anspruch zu verdeutlichen, wie sehr sie als Vorstandsmitglied für die Interessen der Beschäftigten kämpfen will. Mit ihrem nun errungenen Mandat ist sie bei der Dienstleistungsgewerkschaft neben den Themen Migration und Integration unter anderem auch für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zuständig.
Dabei ist der Arbeitsmarkt derzeit vom Fach- und Arbeitskräftemangel geprägt. Eine Lösung dieses Problems wäre aus Liebigs Sicht neben der Stärkung der Ausbildung eine Stärkung der Frauenerwerbstätigkeit. Doch dafür müssen ihrer Meinung nach vor allem Frauen mit Kindern mehr Unterstützung von der Gesellschaft erfahren. Wenn junge Mütter ihre Ausbildung oder ihr Studium nicht schafften, dann läge das häufig nicht an deren Eifer oder Fähigkeiten, sondern am System.
Leser*innenkommentare
Tom Farmer
Wieso ist die Hautfarbe und wo sie im Alter von 1-4 wohnte ein Thema? Ein Rückschritt derlei rumgetexte. Wen soll das interessieren?
was machen
@Tom Farmer 1. es ist eine seltenheit dass menschen mit so einer geschichte und merkmalen eine spitzenposition belegen
2. ist es wichtig da sie für migrationspolitik zuständig ist und es daher sehr schön zu sehen (eigentlich notwendig) dass dort eine person sitzt die hautnah dieses thema erfahren hat
dass du dir das nicht denken kannst zeugt entweder von unwissenheit oder ignoranz weshalb es toll wäre wenn du dein verhalten oder denkweise reflektierst vg
Don Geraldo
Unabhängig von der Hautfarbe ist das doch eine typische Funktionärskarriere mit Jurastudium und Beschäftigung bei der Gewerkschaft.
Das Leben und das Arbeitsumfeld der meisten Gewerkschaftsmitglieder ist solchen Funktionären doch vollkommen fremd. Deshalb sind ja immer weniger Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft.
Klaus Waldhans
@Don Geraldo Einen Artikel genau lesen hilft oft vor falschen Schlüssen. Vor dem Jurastudium abdolvierte Frau Liebig eine Ausbildung als Arzthelferin. Desweiteren arbeitete sie noch bei einer Krankenkasse.
Ich werde den Eindruck bei Ihnen nicht los, dass die Hautfarbe doch eine Rolle spielt. Nach dem Motto, "ich habe nichts gegen Ausländer, aber..."
Don Geraldo
@Klaus Waldhans Ich hab eher was gegen Juristen.
Und die sind für mich grundsätzlich keine geeigneten Vertreter des Proletariats.
Budzylein
@Don Geraldo Zwischen dem Abschluss des Jurastudiums (2002 lauf Artikel) und der Beschäftigung bei Verdi (2013 laut Artikel) liegen aber einige Jahre, und wenn sie vor ihrer Beschäftigung bei Verdi Personalratsvorsitzende einer Krankenkasse war, muss sie dort auch gearbeitet haben, denn auch im öffentlichen Dienst können nur Beschäftigte der Dienststelle in die Personalvertretung gewählt werden, keine "Funktionäre". Das Arbeitsumfeld der Gewerkschaftsmitglieder ist den Personalräten mitnichten fremd.
Don Geraldo
@Budzylein Was auch immer die Frau gemacht hat bei der Krankenkasse, bei der sie beschäftigt war bevor sie Berufsfunktionärin bei Verdi wurde:
Sie hat ihre Stelle als Juristin angetreten.
Damit ist gleich ziemlich weit oben in der Hierarchie eingestiegen. Mit dem Arbeitsumfeld von mindestens 90 Prozent derjenigen, die sie jetzt vertreten soll, hatte sie beruflich niemals was zu tun.
Vielleicht ist sie eine gute Funktionärin, aber sie hat definitiv eine typische Funktionärskarriere absolviert.
Budzylein
@Don Geraldo Verdi vertritt viele sehr unterschiedliche Berufsgruppen, auch solche des klassischen Proletariats, aber die Gruppe der Verwaltungsangestellten in Bürojobs ist bei Verdi recht groß. Und die Arbeitsumfelder von Sozialversicherungsfachangestellten und von Juristen sind bei einer Krankenkasse im Wesentlichen die gleichen. Ich weiß zwar nicht, was Frau Liebig bei ihrer Krankenkasse im Einzelnen gemacht hat. Aber ich weiß aus eigener beruflicher Erfahrung, dass die meisten Juristen, die bei Krankenkassen beschäftigt sind, ständig mit den dort tätigen "Nichtjuristen" zusammenarbeiten.
Offebacher
Gratulation zur Wahl, und 94,7 % sind ein Spitzenergebnis für eine tolle Frau.
Ihr Lebensweg (mit vier Jahren nach Deutschland gekommen, Arzthelferin, über den zweiten Bildungsweg zur Juristin, Personalratsvorsitzende, stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin in Rheinland-Pfalz-Saarland) das zeugt von Willen und Ausdauer und verdient Respekt.