Vorständin der St.-Pauli-Genossenschaft: „Wir reden von einer Werte-Anlage“

Der FC St. Pauli hat eine Genossenschaft gegründet. Vorständin Miriam Wolframm erklärt, wieso der Fußballclub diesen Weg geht.

Blick ins leere Millerntorstadion, über dessen Rasen eine Beleuchtungsanlage fährt

Nachhaltige Anlage: Das Sprießen des grünen Rasens soll künftig Ge­nos­s:in­nen erfreuen Foto: Marcus Brandt/dpa

taz: Warum gründet der FC St. Pauli eine Fußball-Genossenschaft, Frau Wolframm?

Miriam Wolframm: Der FC St. Pauli braucht Geld, um im Profifußball bestehen zu können. Das erleben wir derzeit hautnah in den Spielen in der Bundesliga. Es ist in dem Business nicht leicht für einen Aufsteiger wie uns. Und wir wollen uns unabhängig machen von den Banken. Deshalb haben wir uns gefragt: Welche Chance haben wir, mit dem FC St. Pauli an Geld zu kommen, ohne das zu verkaufen, wofür wir stehen? Das ist das Spannungsfeld, in dem der Verein immer steht. Da passte das Modell, eine Genossenschaft als Spiegelbild zum Verein, wie die Faust aufs Auge – mit Anteilseignerinnen, die mit ihrem Anteil eine Stimme haben, egal wie viel Geld sie bezahlen. Alle sind gleich. Das ist genauso basisdemokratisch, wie wir es auch im Verein leben.

taz: Was wäre die Alternative?

Wolframm: Investoren, große Konzerne zum Beispiel, also all das, was wir nicht möchten. Es gibt einen Mitgliederbeschluss, dass wir den Stadionnamen nicht verkaufen, dass wir ­Tribünennamen nicht verkaufen. Wir präsentieren keine Ecken, wir präsentieren keine Gelben Karten, wir präsentieren keine Bälle, wir präsentieren hier einfach Fußball.

taz: Und was ist die Rolle der Genossenschaft darin?

Wolframm: Unser Satzungszweck ist die Förderung des FC St. Pauli. Wir wollen Anteile verkaufen und damit Geld sammeln, um die Mehrheit am ­Millerntor-Stadion zu erwerben. Der FC St. Pauli bekommt das Geld und löst damit Kredite ab, um dann keine Zinsen mehr an Banken zahlen zu müssen. Und von diesen Einnahmen kann die Genossenschaft, wenn die Mitglieder das so möchten, eine Dividende auszahlen

taz: Ist das ein Kaufanreiz?

Wolframm: Ich glaube, die potenziellen Ge­nos­s:in­nen haben gar nicht das Hauptinteresse, eine Dividende zu bekommen. Das, wovon wir immer reden, ist eine Werte-Anlage. Das ist kein kurzfristig wahnsinnig lukratives Finanzprodukt. Wenn man schnell viel Geld machen möchte, dann wird man nicht­­ Genossenschaftsanteile kaufen. Wir gehen auch nicht davon aus, dass das der Treiber ist. Aber wir wollen natürlich Überschüsse erwirtschaften. Was damit passiert, wird dann die Mitgliederversammlung der Genossenschaft beschließen – ob ein Überschuss als Rendite ausgezahlt oder weiter investiert wird.

43, ist General Manager der Grusel-Location Hamburg Dungeon. In der Fanszene des FC St. Pauli ist sie seit über 20 Jahren aktiv.

taz: Zum Beispiel in einen Ausbau des Stadions …

Wolframm: Das erste Projekt ist der Kauf der Mehrheitsanteile am Stadion. Aber es gibt natürlich auch noch weitere Projekte, die wir machen könnten. Das könnten zum Beispiel Ausbauten sein, zum Beispiel die Ecken des Stadions zuzubauen. Da gibt es noch Potenziale. In Bezug auf Barrierefreiheit gibt es auch Potenziale. Auch das Nachwuchsleistungszentrum könnte ein interessantes Projekt sein. Wir wollen die Infrastruktur liefern, damit der Verein bestmöglich performen kann.

taz: Wird der Verein dann Mieter der Genossenschaft?

Wolframm: Wir haben einen Pachtvertrag zwischen der Genossenschaft und dem Verein. Es gibt eine GmbH, an der die Genossenschaft den höheren Anteil erwirbt und der Verein den niedrigeren hält. Er zahlt eine Pacht als alleiniger Nutzer des Stadions. Wir sind dann offiziell Vermieter.

taz: Wenn andere Clubs das Stadion nutzen wollten, etwa für Pokalspiele, müsste die Genossenschaft interessiert sein, das Geld einzunehmen. Im Verein könnte man das anders sehen.

Wolframm: Der Verein hat immer ein Vetorecht, trotz seiner Minderheitsbeteiligung an dieser GmbH. Tatsächlich sind das Governance-Themen, die wir mit dem e.V. sehr klar geregelt haben und die natürlich für die Mitglieder wahnsinnig wichtig sind. Immer wieder kommen solche Fragen hoch: Könntet ihr das Stadion aus Versehen blau streichen? Natürlich wird das nicht passieren. Mitgliederbeschlüsse sind bindend. Wir vermieten aus gutem Grund nicht an alle Vereine oder an politische Institutionen. Wir vergeben das gesamte Stadion an den e.V. Der zahlt dafür die Pacht, macht aber alles, was da drin stattfindet, immer noch selber.

taz: Da können wirtschaftliche Interessen auch mal hinten anstehen?

Wolframm: Wir versuchen, ein richtigeres Leben im falschen möglich zu machen. Das ist für mich etwas, wofür der Verein ganz klar steht. Seit 2003 bin ich aktiv in der Fanszene und habe mit anderen Menschen Dinge erstritten und erkämpft, die für uns wahnsinnig wichtig sind und für die wir als Menschen stehen, die diesen Verein unterstützen. Das haben wir alle seit den Achtzigern immer sehr stark hereingebracht in diesen Verein.

Die Football Cooperative St. Pauli von 2024 eG wurde am 5. Juni ins Handelsregister eingetragen. Im Vorstand sind, neben Miriam Wolframm, der Besitzer des St. Pauli Theaters, Thomas Collien, der Wirtschaftsprüfer Andreas Borcherding und Christopher Heinemann, Geschäftsführer einer Bäckereikette.

Interessierte Mitglieder wurden am gestrigen Dienstag in einer Veranstaltung über die Genossenschaftspläne informiert. Die Zeichnung der Anteile soll noch im Herbst beginnen.

taz: Kann die Genossenschaft unbegrenzt wachsen?

Wolframm: Nein, wir haben ein Projekt, für das sammeln wir jetzt aktuell das Geld. Wir werden – hoffentlich – bis zu 30 Millionen Euro einnehmen, um die Mehrheit am Stadion zu kaufen. Das deckeln wir dann. Wenn man im Profifußballkontext von 30 Millionen redet, ist es für die großen Clubs und Konstrukte nicht viel Geld, muss man ehrlich sagen. Für uns ist es aber wahnsinnig viel Geld. Wenn wir später eine große, neue Kampagne machen würden, würden wir auch noch mal neue Genossinnen zulassen.

taz: Was kostet ein Anteil?

Wolframm: 750 Euro plus eine Verwaltungskostenpauschale von 32 Euro sowie eine Rücklage von 68 Euro. Wir wissen, dass 850 Euro für viele Menschen sehr viel Geld sein können. Deshalb haben wir ein Ansparmodell mitentwickelt, Fans und Mitglieder des FC können ansparen, damit sie in dieser ersten Welle mit dabei sein können. Auch wenn sie es bis Januar nicht geschafft haben, haben sie die Chance, im Nachgang ein Jahr lang noch den Rest des Anteils zu zahlen, um dann voll stimmberechtigt zu sein. Es ist uns wichtig, allen die Möglichkeit zu geben, mitzukommen auf diese einmalige Reise.

taz: Ist die Zahl der Anteile pro Erwerber beschränkt?

Wolframm: Nein, aktuell noch nicht, weil wir auch nicht davon ausgehen, dass wir es müssen. Aber das können wir situativ entscheiden. Jeder, jede Ge­nos­s:in braucht die Zulassung durch uns als Vorstand. Da kann jetzt natürlich nicht jemand sagen: Ich gebe 30 Millionen und bin die einzige Person, die Anteile hat.

taz: Ist diese Zulassung an Voraussetzungen geknüpft?

Wolframm: Nein, grundsätzlich steht die Genossenschaft allen Interessierten offen. Wir haben keine Blacklist. Aber wir haben gewisse Vorstellungen und Werte, die wir vertreten, und die eine oder andere Sache passt vielleicht nicht unbedingt dazu.

taz: Zielt die Genossenschaft auch auf Fans außerhalb von Hamburg?

Wolframm: Absolut! Wir werben dafür in ganz Deutschland aktiv. Wir gehen davon aus, dass da ein großes Interesse bestehen wird. Aber auch Menschen, die nicht in Deutschland leben, können Anteile zeichnen.

taz: Wenn die Genossenschaft ein Erfolg wird, könnte das Modell auch anderswo Fans bewegen, den Fußball von den Investoren zurückzukaufen?

Wolframm: Erst mal muss es ein Erfolg werden. Aber dann würde es mich wundern, wenn andere Fanszenen sich das anschauen und denken: Ach, finden wir aber schon besser, wenn Rheinmetall das mit seinen Kampfpanzern finanziert.

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