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Vorsorgliche EvakuierungenDie Angst vor weichen Deichen

Am niedersächsischen Elbufer wird eine Rekordflut befürchtet. Deiche werden erhöht und Städte evakuiert. Naturschützer mahnen Überflutungsflächen an.

Mit dem Boot zum Ferienhaus: So sah es bei der Flut im Januar 2011 bei Dömitz "in" der Elbe aus. Bild: dpa

HAMBURG taz | Für Stefan Wenzel ist die Lage „sehr, sehr ernst“. Nach gestrigen Besuchen in den vom Hochwasser der Elbe bedrohten Orten Hitzacker, Dömitz und Neu Darchau blickt Niedersachsens grüner Umweltminister sorgenvoll in die nächste Woche. „Technisch ist alles bestens gerüstet“, sagt Wenzel im Gespräch mit der taz.nord, die meisten Deiche würden mit Sandsäcken um weitere 30 Zentimeter erhöht. Aber die Prognosen gingen davon aus, dass die Flut mehrere Tage, im schlimmsten Fall eine ganze Woche lang, auf die Deiche drücken werde. „Da ist die Gefahr groß, dass die durchweichen und große Flächen überflutet werden.“ Deshalb würden jetzt auch die tief liegenden Teile der besonders gefährdeten Kleinstadt Hitzacker vorsorglich evakuiert.

Auch Wenzel ist bewusst, dass Dämme und Deiche nur ein Teil des Hochwasserschutzes sind. Die Rückdeichung und die Ausweisung weiterer Überflutungsflächen am Fluss seien „wichtige Maßnahmen für den Hochwasserschutz“. In Niedersachsen seien etwa 100 Hektar in der Elbtalaue rückgedeicht worden. „Damit sind die Möglichkeiten weitgehend ausgereizt“, sagt Wenzel, dennoch würden jetzt „alle in Frage kommenden Flächen noch mal geprüft“. Wirkungsvoller seien aber weiträumige Polder und Auen weiter am Oberlauf. Darüber sei „mit den anderen Ländern und dem Bund zu sprechen“. Für die langfristige Finanzierung solcher Maßnahmen hat Wenzel auch einen Vorschlag. Die Euro-Milliarde, welche die Kanzlerin zusätzlich in den Straßenbau stecken wolle, „wäre im Hochwasserschutz sinnvoller angelegt“, glaubt er.

Auch Naturschützer sehen erhebliche Versäumnisse bei der Ausweisung von Überflutungsflächen. „Das funktioniert nur dort, wo Umweltverbände Druck machen und selbst aktiv werden“, sagt Till Hopf vom Naturschutzbund (Nabu). Die Flüsse bräuchten mehr Raum: „Nur ein Drittel der ursprünglichen Überflutungsflächen steht unseren heimischen Flüssen noch zur Verfügung“, sagt Nabu-Präsident Olaf Tschimpke.

Nach der „Jahrhundertflut“ von 2002 hatte die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) Flächen von 35.000 Hektar als geeignet für neue Auen und Überflutungszonen ermittelt. Davon sind bis heute nur höchstens fünf Prozent umgesetzt worden. „Es ist an der Zeit, endlich neue Projekte für zusätzliche Überschwemmungsflächen an der Elbe, für neue Auen und für die Rückverlegung von Deichen in Angriff zu nehmen“, fordert der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger. Stattdessen würden an der Elbe „für überflüssige Baumaßnahmen jährlich viele Millionen Euro ausgegeben. Dieses Geld wäre für ökologische Hochwasserschutzmaßnahmen sehr viel besser eingesetzt“, so der BUND-Vorsitzende.

Hochwasserschutz dürfe nicht darauf reduziert werden, Stauanlagen zu bauen oder Deiche zu erhöhen. Dies suggeriere den Anwohnern zwar mehr Sicherheit, verschärfe aber die Gefahr stärkerer Flutwellen am Unterlauf der Flüsse. „Allen Beteiligten muss es darum gehen, das natürliche Schutzpotenzial von Flusseinzugsgebieten wiederherzustellen“, so Weiger.

Die Elbe

Die Elbe ist mit 1.094 Kilometern Länge der drittlängste Fluss in Deutschland.

Einzugsgebiet: Die Elbe entwässert ein Gebiet von 150.000 Quadratkilometern.

Volumen: Der mittlere Abfluss am Pegel Neu Darchau liegt bei etwa 700 Kubikmeter pro Sekunde. Bei der Flut 2002 erreichte er den Rekord von 4.400 m(3).

Geschwindigkeit: Normalerweise etwa drei Kilometer pro Stunde.

Die größte Überflutungsfläche wurde vor vier Jahren bei Lenzen auf dem rechten Elbufer geschaffen. Für rund elf Millionen Euro wurde ein 6,1 Kilometer langer neuer Deich mehr als einen Kilometer von der Elbe entfernt errichtet. Der alte Deich erhielt sechs Schlitze, durch die ab einem Pegelstand von 4,70 Metern das Wasser auf die 420 Hektar große Fläche strömen kann. Damit können Elbhochwasser um etwa 40 Zentimeter abgesenkt werden. In Lenzen lag der Pegel am Donnerstag um 16 Uhr bereits bei 5,25 Metern, gerechnet wird mit der Rekordmarke von 7,50 Metern.

In Lauenburg wird am heutigen Freitag die Unterstadt direkt am Ufer evakuiert. Betroffen sind bis zu 150 Häuser in der Elbstraße. Die Prognosen sagen einen Pegelstand am Wochenende von 9,79 Metern voraus, für Mittwoch nächster Woche sogar 10,35 Meter. Der Höchststand aus dem Jahr 2011 liegt bei 9,22 Metern.

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2 Kommentare

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  • LA
    Ludwig aus Laufen

    "Retentionsräume schaffen" ist derzeit die Parole. Dabei wird aber übersehen, dass im 16. und 17, Jahrhundert die Hochwasser an den meisten Orten Deutschlands deutlich höher waren als in den letzten 100 Jahren. In Laufen an der Salzach kann man das sehr schön sehen.

     

    Warum sind die Hochwasser im 20. und 21. Jahrhundert in Laufen 2 bis 3 m niedriger als im 16. und 17. Jahrhundert?

     

    An den Retentionsflächen kann es nicht liegen, die waren damals viel größer. An der Versiegelung der Oberfläche auch nicht - die gab es damals noch fast gar nicht. An der Verdichtung des Erdreichs durch schweres landwirtschaftliches Gerät - wohl eher nicht.

     

    Den Unterschied machen Staustufen, Rückhaltebecken und ein länderübergreifendes Hochwassermanagement aus, das inzwischen auch immer öfter verläßliche Daten von den Wetterfröschen erhalten.

     

    Leider wurden und werden Speicher und andere außerordentlich wirksame Hochwasserschutzmaßnahmen aus ideologischen Gründen blockiert, obwohl die Wirksamkeit unter Fachleuten längst unstrittig ist. Auch der Bau des Surspeichers war umstritten, jetzt hat er dafür gesorgt, dass nur ein sehr kleiner Teil von Freilassing überflutet wurde (und daran war die Sur definitiv nicht schuld).

  • A
    alex

    wer als kind mal mit sand und wasser gespielt hat, weiß das wasser überall hinkommt, es braucht also platz

    das weiß man schon lange und auch diesmal wird nichts passieren

    die deiche werden noch höher und es werden noch mehr sandsäcke rangeschafft und noch betroffener gekuckt, statt den flüssen platz zu geben, den sie sich ohnehin nehmen

     

    97/02/06/13

    alles singuläre unvorhersehbare jahrhunderthochwasser