Hitzacker-Festival feiert Jubiläum: 70 Jahre Musik im Castor-Land

Die Sommerlichen Musiktage Hitzacker werden 70. Ohne den Zweiten Weltkrieg gäbe es sie nicht, denn die Gründer waren Flüchtlinge.

Blick auf die andere Elbseite. Von dort kamen nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge, darunter viele Kulturschaffende. Foto: Musiktage Hitzacker

Sommer und Musik – das klingt nach Idyll. Nach dem „Nachmittag eines Fauns“ in flirrender Landschaft, in diesem Fall der Elbtalaue, wo sich Has und Fuchs Gute Nacht sagen. Und immer im Juli wird das untermalt von den Klängen der Sommerlichen Musiktage Hitzacker, die dieses Jahr 70 werden und sich das Motto „Fest“ gegeben haben.

Aber es ist nicht nur das, was diese Gegend besonders macht: Dort betrieb die reichsdeutsche Wissenschaftliche Forschungsgesellschaft (Wifo) zur Nazizeit ein riesiges Treibstofflager, in dem Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene arbeiten mussten. Bis heute spricht man in Hitzacker ungern darüber. Außerdem liegt das hochwassergefährdete Städtchen mit 4.800 Einwohnern im Wendland, durch das Castortransporte führen – und die Proteste der Gegner.

Integratives Festival

Zudem liegt der Ort an der Grenze zur ehemaligen DDR; vor 1989 konnte man über die Elbe direkt nach „drüben“ schauen. Und von dort waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs große Flüchtlingsströme gekommen; viele von ihnen hatten sich zunächst in Hitzacker eingerichtet.

Eröffnungs-Barockkonzert: Sa, 25. Juli

Kammerkonzert (Holliger/Bach) mit Ensemble Resonanz: Sa, 25. Juli

„Forum Nachhaltigkeit“ –Kulturlandschaft/Biosphärenreservat: Mo, 27. Juli

Kammerkonzert Gran Partita (Mozart, Janacek, Holliger, Platz): Mi, 29. Juli

Kammerkonzert „Tinto“ mit mediterraner Musik des 17. und 18. Jahrhunderts: Do, 30. Juli

Infos und Programm: www.musiktage-hitzacker.de

Etliche Kulturschaffende waren darunter, aus Potsdam und dem kriegszerstörten Berlin – „und wenn Sie fünf Musiker zusammensetzen, garantiere ich Ihnen, nach einer Woche haben Sie ein Ensemble“, sagt Linda Anne Engelhardt, Vorsitzende der „Gesellschaft der Freunde der Sommerlichen Musiktage Hitzacker“.

Genauso kam es: Schon im Jahr 1946 feierte man dort die ersten Musiktage: ein kleines, zunächst bodenständiges Kammermusik-Festival, das nach Engelhardts Worten „explizit kein reines Flüchtlingsfestival“ war, sondern eher ein Akt gelingender Integration. Flüchtlinge seien zwar die Gründungsväter gewesen, aber sehr bald hätten die örtlichen Gesangsvereine und Blechbläser mitgemacht. Lieder von Carl Loewe, aber auch Bewährt-Klassisches wie Mozart, Beethoven und Sibelius und Liszt standen 1946 auf der Agenda.

Allerdings, die Parole dieses ersten Festivals wirkt pathetisch: „An der Grenze des freien Deutschland“ wolle man „eine Hochburg edelster deutscher Kultur“ errichten, stand 1946 im Programmheft. Das klingt nach der Sprache der damals gerade vergangenen Nazi-Ära. „Nein“, sagt Engelhardt. „das klingt nach Kaltem Krieg. Damals zeichneten sich Konflikte zwischen den Alliierten in den verschiedenen Besatzungszonen ab.“

Besonders das politische System der sowjetischen Besatzungszone habe den Menschen Angst gemacht. Und auch wenn man den Mauerbau erahnt habe, sei die Rede vom auch kulturellen Bollwerk gegen den Kommunismus fest im Alltag verankert gewesen, sagt Engelhardt. Von politischer Vereinnahmung zeuge solch eine Parole nicht.

Wie dem auch sei, das von der Stadt Hitzacker finanzierte Festival gedieh gut. Es blutete auch nicht aus, als viele der musizierenden Flüchtlinge weiterzogen. Denn sie hatten inzwischen Freunde und Gastmusiker motiviert, beim Festival mitzuwirken, und das recht ambitioniert: 1947 schon stand der Neutöner Paul Hindemith auf dem Programm, später wurde Monteverdis frühe Oper „Orfeo“ gegeben. Den hat der NDR flugs auf Grammophon aufgenommen und gut verkauft. „Das war ein Paukenschlag für die internationale Bekanntheit des Festivals“, sagt Engelhardt.

Trägerverein als Retter

1950 stand das Ganze allerdings auf der Kippe: Die Stadt Hitzacker konnte – wegen der Währungsreform und weil Kultur schon damals keine Pflichtaufgabe war – nicht mehr fördern. Aber die Idee trug; 18 Ehrenamtler, die man heute Bildungsbürger nennen würde, fanden sich zur „Gesellschaft der Freunde der Sommerlichen Musiktage Hitzacker“ zusammen. Inzwischen gehören dem Trägerverein 400 Menschen an, von denen 20 Prozent aus Hitzacker, der Rest aus Hamburg, Hannover, Celle, sogar Dänemark und den Niederlanden kommen.

Mit einem Budget von 400.000 Euro jährlich ist es das inzwischen älteste Kammermusikfestival Deutschlands. 40 Prozent des Geldes stammen aus Kartenerlösen, 30 Prozent von staatlichen Institutionen, 30 Prozent von privaten Stiftungen. Der Trägerverein betreibt die Akquise und beruft auch die Festivalchefs. Sieben waren es bislang, fast immer Violinisten oder Cellisten, „weil Kammermusik nun mal streicherlastig ist“, sagt Engelhardt.

Einzig Markus Fein, Festivalchef von 2002 bis 2011, war Musikmanager. Und ausgerechnet er revolutionierte das Programm: Fortan gab es thematische Schwerpunkte, die „Traum“, „Labor“ oder „Tanz“ hießen. Zudem erfand er eine ausgefeilte Musikvermittlung in Form von Hörer-Akademien und Chorsingen für die Besucher.

Man sieht: Engstirnigkeit war des Festivals Sache nie, und ganz folgerichtig ist in den letzten Jahren auch die Selbstreflexion dazugekommen. Denn wer musikalische Spaziergänge durch die Natur anbietet, muss auch die Folgen des von ihm verantworteten Tourismus reflektieren. Deshalb nahm man vor drei Jahren Diskussionen des neuen „Forum Nachhaltigkeit“ ins Programm auf. In diesem Jahr wird der Chef der Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue sprechen.

Da wartet viel Gesprächsstoff, denn Engelhardt weiß, dass der ökologische Fußabdruck zu wünschen übrig lässt: Bislang fahren die Züge so ungünstig, dass viele Besucher per Auto anreisen müssen.

Barockfest zum Abschluss

Aber das liegt nicht in Engelhardts Hand. Und dass sowohl sie als auch Festivalchefin Carolin Widmann in diesem Jahr aufhören, hat private Gründe. Bevor sie geht, hat sie aber noch eine Geburtstagsparty mit Renaissance, Barock, Clubnacht und Jam-Session organisiert.

Außerdem bekommt die 30-jährige serbische Komponistin Milica Djordjevic dort am 26. Juli den Belmont-Preis für zeitgenössische Musik der Forberg-Schneider-Stiftung. Erklingen wird dazu eine Vertonung eines Gedichts des rumänischstämmigen Serben Vasko Popa. Er war Partisan im Zweiten Weltkrieg, überlebte das KZ Beckerek und schreibt heute expressiv-verschlüsselte Gedichte über Natur und Geschichte. „Ich würde ihn“, sagt Widmann, „am ehesten mit Trakl oder Celan vergleichen.“

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