■ Vorschlag: Bert Brecht in Steglitz
Sind es die Auswirkungen des V-Effekts auf die Nachgeborenen, daß kaum jemand in diesem August an Bert Brecht denkt? Dabei wäre zu erwarten gewesen, daß ihm in einer jubiläumssüchtigen Gesellschaft ein bißchen mehr Aufmerksamkeit anläßlich seines 40. Todestages entgegengebracht wird. In einer Ecke der Stadt, unerwarteterweise im klassenbewußten Steglitz, wird des Dichters doch gedacht. Nicht zu seinem Schaden, übrigens.
Zwei Stühle, eine Schwelle, alles in Schwarz. Mehr braucht Gina Pietsch im Schloßpark-Theater nicht, um sich mit großzügiger Leidenschaft durch ein Liederprogramm bester Brechtscher, von Eisler, Weill und anderen vertonter Texte zu singen. An jede Menge „Heuler“ – sprich Surabaya-Johnnys und Seeräuber-Jennys – hat sich die Sängerin aus dem ehemaligen Osten in „Nur jetzt nicht weich werden“ gewagt. Zusammen mit Jürgen Beyer am Klavier. An jene Lieder also, die auch den Ignoranten im Ohr klingen.
Lustvoll stürzt sich die Diseuse auf die Texte, erweckt die immer am Abgrund sich abspielenden Biographien der Antihelden mit rauher Stimme zum Leben. Mit minimalistischen Gesten schafft sie ihnen einen Raum, der echter ist als jede Kulisse. Gina Pietsch ist eine Sängerin, die das Handwerk gelernt hat: Keine Körperbewegung zuviel, jede Geste sitzt hauteng, wie angegossen, nicht zu streng. Man sieht ihre Waden übrigens.
Kraftvoll nimmt die Diseuse die Songs, als gelte es, aufzuerstehen aus Trümmern, die älter sind als der Tod des Dichters. Brecht wieder holen heißt auch, ihn gründlich überholen. Seiner epischen Dichtung schadet ein bißchen Dramatik überhaupt nichts. Gina Pietsch beweist es. Seit 25 Jahren steht sie auf der Bühne. Ihre Kunst gehört der gesungenen Literatur, solcher insbesondere, mit der ein Bogen geschlagen werden kann zu der Gesellschaft von heute. Wenn sie das Gedicht „Von der Kindesmörderin Marie Farrar“ vorträgt, klingt der Paragraph 218 im Ohr, das „Lied eines Freudenmädchens“ ist eine fein nuancierte Solidaritätsnote an alle Frauen, das „Einst im Lenze meiner jungen Jahre dacht' auch ich, daß ich was ganz Besondres bin...“ ihr ganz persönliches „Ich-Lied“ im Kapitalismus. „Dort muß man sich verkaufen. Auch als Künstlerin. Und das kann ich kaum.“ Kein Happy-End also. Waltraud Schwab
Sonntag, 18.8., um 20 Uhr im Schloßpark-Theater
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