Vormarsch des „Islamischen Staats“: Terror verzögert Schulbeginn im Irak
Mit einem Monat Verspätung hat im Irak das neue Schuljahr begonnen. Indes halten die Kämpfe auch in Syrien an. Ein Video zeigt Waffen deutscher Bauart.
BAGDAD/ISTANBUL/KOBANE ap/dpa | Wegen des Vormarsches der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat im Irak das Studienjahr einen Monat später als geplant begonnen. Schüler in von den sunnitischen Kämpfern im Westen und Norden des Landes kontrollierten Gebieten seien nicht verpflichtet, den Unterricht zu besuchen, sagte Salama al-Hassan, Sprecherin des Bildungsministeriums, am Mittwoch. Aber sie dürften ihre Abschlussexamen ablegen. Tausende aus ihren Häusern vertriebene Familien hatten in Schulgebäuden Schutz gesucht.
Schüler, denen es nicht möglich sei, den Unterricht zu besuchen, könnten Unterrichtseinheiten über den staatlich betriebenen Bildungskanal mitverfolgen, sagte Al-Hassan. Es seien nur noch einige Schulen von Familien in Beschlag genommen. Die Behörden hätten Container aufgestellt, in denen Unterricht stattfinden könne.
Unterdessen haben sich Gerüchte über einen Giftgasangriff des IS in Nordsyrien nicht bestätigt. Augenzeugen aus Kobane hatten in der Nacht berichtet, zahlreiche Einwohner litten an Atemnot und zeigten Symptome eines Giftgasanschlages. Tatsächlich soll es sich jedoch um eine Einzelperson handeln: „Ein Allergiepatient litt unter dem durch die Bombardierungen verursachten Rauch“, sagte Rami Abdel Rahman, Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Er sei in der Nacht stationär mit Sauerstoff behandelt worden und habe das Krankenhaus bereits wieder verlassen.
Nach Angaben der Beobachtungsstelle hatte es in der Nacht mehrere heftige Explosionen gegeben. Bei Kämpfen im Osten der Stadt seien mindestens 30 Dschihadisten und elf kurdische Kämpfer getötet worden. Die IS-Kämpfer würden wie in den Tagen zuvor weitere Verstärkung aus dem Umland zusammenziehen.
Wann auch kurdische Peschmerga-Kämpfer aus dem Irak in Kobane eintreffen, blieb am Mittwoch weiter offen. Weder die Verwaltung von Kobane noch die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) seien bislang von den Peschmerga kontaktiert worden, sagte Verwaltungschef Anwar Muslim.
US-Waffen landeten beim IS
Am Dienstag tauchte im Internet ein Video auf, das IS-Kämpfer im Besitz mutmaßlicher durch die USA abgeworfener Waffen zeigt. In der Nacht zum Montag hatten US-Transportflugzeuge erstmals Waffen und Munition sowie medizinisches Material für die Verteidiger Kobanes abgeworfen. Die Lieferungen stammen nach US-Angaben von kurdischen Stellen im Irak. Mindestens ein Paket soll dabei in feindlichem Gebiet gelandet sein. In dem Video packen Extremisten Granaten aus, deren Behälter die Aufschrift „DM41“ tragen – die Typbezeichnung eines älteren deutschen Fabrikats.
Marie Harf, stellvertretende Sprecherin im US-Außenamt, hatte die Echtheit des Videos am Dienstag zunächst nicht bestätigt. „Wir haben das Video gesehen und wir können nicht bestätigen, dass das stimmt, was zu sehen ist. Es gibt viele Fehlinformationen, und speziell Propaganda im Internet und dieses Video fällt vielleicht in diese Kategorie.“
Am Montag hatte das Zentralkommando in Florida noch mitgeteilt, dass von insgesamt 28 über Kobane abgeworfen Waffenlieferungen eine herrenlose Ladung zerstört worden sei. Tags darauf stellte Pentagonsprecher John Kirby klar, dass die Ladung zwar getroffen wurde, es aber zunächst unklar sei, ob sie dabei zerstört wurde.
Öcalan hält an Dialog mit Ankara fest
Indes hält der Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, trotz Rückschlägen im Friedensprozess mit der Türkei am Dialog mit der Regierung in Ankara fest. Öcalan forderte von der Regierung aber eine größere Entschlossenheit dazu, mutige politische Schritte zu gehen, wie aus einer von der pro-kurdischen Partei HDP am Dienstagabend veröffentlichten Erklärung hervorgeht. Eine HDP-Delegation hatte den inhaftierten PKK-Chef am Dienstag auf der Gefängnisinsel Imrali besucht.
Öcalan mahnte, es sei „eine historische Verantwortung“, schnell Resultate zu erzielen. Der PKK-Chef hatte zuvor vor einem Ende des Friedensprozesses gewarnt, sollte die Terrororganisation IS an den Kurden im nordsyrischen Kobane ein Massaker verüben. Kurdische Gruppen warfen der Türkei vor, dem drohenden Fall Kobanes tatenlos zuzusehen. Nach Angaben von Menschenrechtlern kamen in der Türkei bei Zusammenstößen während Demonstrationen zur Unterstützung Kobanes in der vorvergangenen Woche mehr als 40 Menschen ums Leben.
Vergangene Woche hatte die Armee erstmals seit mehr als eineinhalb Jahren Luftangriffe auf PKK-Stellungen in der Türkei geflogen. Die PKK hatte im März vergangenen Jahres eine Waffenruhe ausgerufen.
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