piwik no script img

Vorlesung zu Feuilleton, Internet und BotsOh weh, die KI dichtet!

Ständig kritisiert das Feuilleton technische Entwicklungen oder verschläft sie sogar. Netzauskennerin Kathrin Passig will den Autoren die Furcht nehmen.

Ist das die Zukunft? Illustration: imago images / Panthermedia

Viele Feuilletonisten müssen jetzt ganz tapfer sein. Zwar halten sie sich für die Hauptzuständigen für alle Fragen der Deutungshoheit im Kulturleben. Doch ist ihre eigentliche Funktion eine geradezu gegenteilige. Denn für das, was in Kunst und Kultur aktuell wirklich wichtig ist und noch wichtig werden wird, ist der Kulturteil der Zeitung ein Kontra­indika­tor. Das jedenfalls ist die Rolle, die Kathrin Passig dem etablierten Kulturjournalismus zuweist.

Mit leiser Ironie zitiert die 49-jährige Autorin in ihren nun gedruckt vorliegenden Grazer Vorlesungen zur Kunst des Schreibens („Vielleicht ist das neu und erfreulich“, Droschl Verlag, 120 Seiten) zum Beispiel einen Zeit-Artikel von 1998, wonach die Idee, Texte würden eines Tages am Bildschirm beziehungsweise im Internet gelesen werden, eine Totgeburt sei – so absurd wie die Vorstellung von „Musikhören am Telefon“, wie der Autor des Artikels glaubte.

Als ob die Entwicklung hin zu Smartphones oder E-Book-Readern nicht schon damals mit einem Minimum an Fantasie absehbar gewesen wäre. Nicht zu reden von all den von Passig archivierten Sterbeurkunden, die Kulturjournalisten schon seit Ende der Neunziger der Literatur im Netz ausgestellt haben, auf der Basis von Ignoranz, Ressentiment oder schlichtweg mangelndem Vorstellungsvermögen. Und meist mit dem kaum verhohlenen Unterton von Erleichterung.

Besonders an Profil gewinnt Kathrin Passig allerdings in der Auseinandersetzung mit Jonathans Franzens technikkritischen Essays. Stelle das Internet für den US-Romancier – vom Autorentypus her gewissermaßen Passigs Antipode – mit seinem Ablenkungspotenzial die größte Gefahr für heutige Romanautoren dar, ist es für Passig das natürliche Habitat ihrer Autorenexistenz, randvoll mit literaturprovozierendem Stoff.

Und Franzens genieästhetische These, große Literatur werde prinzipiell nur von Einzelautoren geschrieben, hebelt sie quasi spielerisch mit ihren eigenen jahrzehntelangen Erfahrungen im ­„kollaborativen Schreiben“ aus. Die bisherige Nichtexistenz großer Kollektivromane liege primär an den mageren Autorenhonoraren; im Bereich von TV-Serien sind Drehbuchteams schließlich selbstverständlich.

Notorisches Hochjazzen eines Gegenstands

Weil das Feuilleton aber notorisch blind für zukunftsweisende Entwicklungen sei, so folgert Passig frech, entstehe das wirklich Neue vermutlich immer gerade dort, wo der etablierte Literaturbetrieb nur die Nase rümpft. Heute kämen dafür infrage Bereiche wie Fandom-Fiction oder Self-Publishing. Aber auch die „Buchblogger“ bei Instagram gelten Passig als „vielversprechendes Verachtungsthema“, das man im Auge behalten sollte – statt es, wie so mancher von der Autorin zitierte (vorwiegend männliche) Feuilletonist, lächerlich zu machen, weil doch nur meist jüngere Leserinnen das hohe Kulturgut Buch wie das neueste Paar Schuhe anpreisen würden.

Als Gegenanzeiger erweist sich für Passig das Feuilleton aber nicht nur, wenn es darum geht, neuen Phänomenen die Bedeutung abzusprechen. Sondern genauso beim notorischen Hochjazzen eines Gegenstands – eine Fertigkeit, der Passigs sympathisch unprätentiösen, subtilen Reflexionen denkbar fernstehen. So widmet sich die zweite ihrer drei um die Zusammenhänge von Literatur und Technik kreisenden Vorlesungen dem aktuellen Hype-Thema Computerkunst.

Ulla Hahn zum Beispiel durfte unlängst in der FAZ ausführlich ihren Schockzustand beschreiben, in dem sie sich wiederfand, nachdem sie erfahren hatte, dass ein von ihr für gut befundenes Gedicht mit dem Titel „Sonnenblicke auf der Flucht“, das es bei einem Lyrik­wettbewerb der Brentano-Gesellschaft bis in deren An­thologie gebracht hatte, von einer künstlichen Intelligenz generiert worden war. Was die große Lyrikerin sofort alarmiert die Frage aufwerfen ließ, ob Schriftsteller künftig überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hätten.

Kathrin Passig dagegen entlockt die Frage nach der Zukunft des Künstlers im digitalen Zeitalter wenig mehr als ein müdes Lächeln. Für sie gilt in der Zusammenarbeit mit dem Computer die Losung: „Die Autorin ist immer zu Hause“ – und auch weiterhin alles andere als überflüssig.

Ein bisschen Publikumstäuschung

Passigs Antwort ist differenziert und schon deshalb lesenswert, weil wohl nur wenige über die Folgen der Digitalisierung für das Schreiben so gut Bescheid wissen wie die Ingeborg-Bachmann-­Preisträgerin von 2006. Schon seit den Neunzigern, also praktisch von Anfang an, begleitet die selbsternannte „Sachenausdenkerin“ die sich entwickelnde Netzliteratur. Nach dem Ende des kollaborativen Weblogs „Riesenmaschine“ gründete Kathrin Passig 2014 das Kollektivblog „Techniktagebuch“ über die Auswirkungen von Alltagstechnik. Sogar ein Standardwerk übers Programmieren findet sich in ihrem buntem Œuvre.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Bei der Rezeption computergenerierter Werke, egal ob text- oder bildförmig, treten vor allem dann relativ schnell ästhetische Effekte auf, so Kathrin Passig, wenn es sich um „offene“ Formate handle wie Lyrik oder abstrakte Kunst, Werke also, in die viel und alles Mögliche hin­ein­interpretiert werden kann. So gesehen, erscheint der „Erfolg“ eines Werks wie „Sonnenblicke auf der Flucht“ gleich viel weniger erstaunlich, schwer vorstellbar sei dagegen weiterhin, dass eine Software einmal einen preiswürdigen Roman vorlegt.

Für Kathrin Passig ist digitale Kunst letztlich sogar immer ein Stück weit Publikumstäuschung – wie im 18. Jahrhundert der legendäre „Schachtürke“. Denn auch hinter der vermeintlich computergenerierten Kunst verstecke sich ja immer ein Mensch, der alle letzten, auch und gerade künstlerischen Entscheidungen treffe. Ein Mensch programmiert, er füttert die Algorithmen mit diesem oder jenem Datenmaterial, und vor allem, er wählt am Ende aus den Ergebnissen das Beste und Originellste aus.

Nur dass diese Sichtweise auf Computerkunst die journalistisch gesehen schlechtere, da weniger spektakuläre Geschichte sei: „Es wirkt gleich viel weniger exotisch, wenn man nicht sagt ‚hier erzählt ein Computer‘, sondern ‚hier hat ein Computer viele Variationen von Textbausteinen ausgespuckt‘ und ein Mensch hat sie auf eine ansprechende Art zusammengesetzt.“

Für Passig ist die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine jedenfalls klar geregelt. Maschinen sind „Gestaltungsspezialisten“ und machen Vorschläge, aus denen der Mensch dann auswählt. „Ich brauche dafür keine Gestaltungsspezialistin zu sein, sondern nur Erkennungsspezialistin. Und Erkennungsspezialisten sind wir alle.“

Dass Kathrin Passig weiß, wovon sie spricht, zeigt der „Gomringador“, den sie auf dem Höhepunkt der hitzigen Debatte um Eugen Gomringers „Avenidas“-Gedicht programmierte. Seither generiert – und twittert – ihr Gomringer-Bot Tag für Tag ein neues Werk im „Avenidas“-Stil. Mal auf der Grundlage der Substantive von Andreas Gryphius, mal nach einer Wortliste aus einem Modellbaukatalog. Mit Ergebnissen, die meist natürlich nur Nonsens sind. Aber manchmal eben auch verblüffend originell und bedeutungsträchtig erscheinen, und zwar so sehr, dass man sich das Werk jederzeit an der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule vorstellen könnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Nichts Neues. Etwa 80% der akademischen Artikel in den Kulturwissenschaften, z.B. socialtextjournal.org/ , werden seit 1996 von diesem System www.elsewhere.org/journal/pomo/ produziert :)

  • Es bleibt also - KI hin HAL her - dabei:

    “Und Dichter Nebel lag auf der Erde.“



    &



    Die Bibel hat doch recht. 👻

  • Interessant. Drei Gedanken dazu:



    1.Ein brauchbarer Indikator für das was Kunst ist, ist ihre Erfolglosigkeit, ihr Selbstzweck.



    Das bedeutet dann, dass van Gogh einmal Kunst gemacht hat, die jetzt aber keine Kunst mehr ist, aber doch wieder werden kann, zum Beispiel wenn irgendwann zum Beispiel die Sonnenblumen staunend aus den Trümmern einer postapokalyptischen Ruine gezogen werden. Neues ist also tendenziell erst mal verdachtsweise Kunst, weil billig.



    2. Hier kommt dann die automatisierte Produktion von Kunst ins Spiel und zwar sogar die billige, kitschige Malerei aus dem Computer. Warum nicht, wenn sie als Kunst empfunden wird? Viel mehr aber sollte man an die Aleatorik als Methode der Komposition etwa bei John Cage denken oder an die wunderbare unendliche Bibliothek von Borges in der jedes denkbare Buch bereits existiert und nur gelesen werden muss.



    3. Hoffnung ist nur dort, wo sich die Kunst von den an sie gerichteten Erwartungshaltungen komplett befreit und damit auch den Rezipienten von sich selber befreit.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Dann noch'n Schlag Walter Benjamin babenop & dann isses das aber auch.

      Amüsant - halt & Es gibt liggers keinen Neuschnee 👾 & 👻 - Gellewelle 🎭

      • @Lowandorder:

        Mir ist schon klar, dass du nicht willst, aber könntest du dich eigentlich so ausdrücken, dass du verstanden wirst?

        • @Benedikt Bräutigam:

          Ach was! Wat issen nu wieder ditte - wa! 🎭

          Du Schlauberger - Kanitverstan^¿*



          Liggers - Mach Bosse 🥊 🥊 Gelle.

          kurz - Över dee Brüch - joh ik nich! 😈

          • @Lowandorder:

            Also ich würde ja verstanden werden wollen, wenn ich was zu sagen hätte. Wenn. Wenn nicht, dann ist diese Pseudo- Originalität natürlich ganz schlau. Mich wundert, dass sich nicht mehr Leute hier über den Klamauk ärgern.

            • 8G
              83492 (Profil gelöscht)
              @Benedikt Bräutigam:

              _ Mich wundert, dass sich nicht mehr Leute hier über den Klamauk ärgern._

              Hinter dem Account steht vielleicht nur eine KI, die Aphasie simuliert.

              • @83492 (Profil gelöscht):

                Eh ihr heult - scrollt! Gelle aadiSchnelle

                Ansonsten - Avant Propos - Po Po - 😎

                tazelwurm.de/avant-propos/

      • @Lowandorder:

        Liggers & Däh -

        “Oh weh, die KI dichtet!“ - is eben -



        Genau Genau - TAZ-Fake News - •

        Wir können schließlich nicht alle -



        Ulla Hahn heißen - auch nicht im Wort Verborgenen. Gellewelle&Wollnichwoll

        kurz - Ach was!“KI - Dichtet - Nicht!“ 👹



        &



        Sodrum wird 'n 👠 draus



        &



        EndeGelände

  • Schonn & Anyway. Sie ist halt ne fitte Kappe. 🎭

    unterm——“das verborgene Wort“ -



    Erheitert einmal mehr -



    “Ulla Hahn zum Beispiel durfte unlängst in der FAZ ausführlich ihren Schockzustand beschreiben, in dem sie sich wiederfand, nachdem sie erfahren hatte, dass ein von ihr für gut befundenes Gedicht mit dem Titel „Sonnenblicke auf der Flucht“, das es bei einem Lyrik­wettbewerb der Brentano-Gesellschaft bis in deren An­thologie gebracht hatte, von einer künstlichen Intelligenz generiert worden war.“

    Mal ab von ja längst steinalter Cut-Technik* - führt - was ja Kathrin Passig naturellement - en passant auch locker aushebelt - “generieren“ in den Dumpfbackenwald de KI 👹

    & eben nicht! beispielsweise zu - “Im Wald der Fiktionen“ eines Umberto Eco 😎



    (“Streifzüge durch die Literatur. Sie sind Protokolle von Erfahrungen, die über die anthropologische und ontologische Dimension von Literatur aufklären: über das Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion.“) 👺

    kurz1. Ach herm. 🎭

    unterm——* - btw feines Beispiel - “Aufschnitt“ Loft Köln



    www.loftkoeln.de/de/event/aufschnitt/

    kurz2. - Danke & gekauft 😈