Vorkaufsrecht in Neukölln und Kreuzberg: Geh Heimstaden
Nach der Shopping-Tour von Heimstaden zieht Berlin erstmals das Vorkaufsrecht. Die Bezirke und der Senat erwerben drei Häuser in Milieuschutzgebieten.
Im Vorfeld der am Dienstag ablaufenden zwei-Monats-Frist für die erste Charge der Heimstaden-Käufe hieß es aus Bezirken und Senat, dass man Heimstaden in Berlin die Grenzen aufzeigen wolle. Am Dienstagabend twitterte Bezirksstadrat Florian Schmidt (Grüne) schließlich, dass es zur Ausübung der Vorkaufsrechts bei drei von sechs Häusern in Milieuschutzgebieten komme. Bis zum Schluss wurde nach Informationen der taz um eine Abwendungsvereinbarung gerungen.
Die hätte den Vorkauf aus Sicht von Heimstaden verhindern können, wenn die Firma sich auf sozialverträgliche Rahmenbedingungen für den Erwerb verpflichtet hätte. Das wollte der sich mieterfreundliche gebende Konzern im vorliegenden Fall aber offenkundig nicht. Nach taz-Informationen scheiterte die Abwendung insbesondere daran, dass die Wohnungsfirma sich nicht auf ein 20-jähriges Umwandlungsverbot in Eigentumswohnungen verpflichten wollte.
Der Bezirksstadtrat von Neukölln Jochen Biedermann (Grüne) bestätigte am Mittwoch, dass die Abwendung in Neukölln daran scheiterte, dass Heimstaden nicht auf Umwandlung in Eigentum verzichten wollte: „Heimstaden sagt, dass sie langfristig planen und ein vernünftiger Vermieter sein wollen. Aber wenn sie wirklich so freundlich sind, warum unterschreiben sie dann nicht einfach die Abwendungsvereinbarung?“ Dafür habe er kein Verständnis, er messe Heimstaden an Taten und nicht Worten. „Mir haben am Tisch schon viele Investoren erzählt, dass sie die Guten seien“, sagt Biedermann. Und er ergänzt: „Wir werden auch bei weiteren 27 Häusern, die Heimstaden in Neukölln kaufen will, um jedes einzelne kämpfen.“
Hat Heimstaden sich verspekuliert?
In Neukölln wurde der Vorkauf zugunsten der Wohnungsbaugenossenschaft „Am Ostseeplatz“ getätigt, im Zusammenspiel mit den Senatsverwaltungen für Finanzen und Stadtentwicklung. Über den Preis verrät Biedermann nichts, der Vorkauf sei aber zum regulären Kaufpreis erfolgt. Für Heimstaden läuft nach dem Vorkauf nun eine einmonatige Widerspruchsfrist. Der Konzern äußerte sich bislang nicht dazu.
Friedrichshain-Kreuzberg will bei den beiden Häusern dort sogar ein verbilligtes Vorkaufsrecht durchsetzen, wie Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne) der taz bestätigte. Der Vorkauf könnte in diesem Fall also sogar dazu führen, überbewertete Immobilienpreise zurechtzurücken.
Milieuschutz Mit dem Vorkaufsrecht können die Bezirke gegen Verkäufe von Häusern einschreiten, die in sogenannten Milieuschutzgebieten liegen. In diesen berlinweit über 60 sozialen Erhaltungsgebieten können die Bezirke im Zusammenspiel mit landeseigenen Wohnungsfirmen zum Verkauf stehende Häuser erwerben, wenn der neue Käufer eine Abwendungsvereinbarung ablehnt, in der er sozialen Vereinbarungen zustimmt. Die Deutsche Wohnen etwa verpflichtete sich zuletzt in solchen Vereinbarungen darauf, auf preistreibende Modernisierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen zu verzichten.
Preislimitierung Eine verbilligtes Vorkaufsrecht ist möglich, wenn der tatsächliche Verkehrswert nach Schätzungen deutlich vom Kaufpreis abweicht. Oder wie es im Gesetz heißt: „Der Kaufpreis muss in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschritten sein.“
Ein preislimitiertes Vorkaufsrecht erscheint dem Bezirk möglich aufgrund des Vorbesitzers, der sich offenbar nicht an den Mietendeckel gehalten hatte. Kaufen wollte Heimstaden die Häuser von dem Wohnungsunternehmen Schönhaus Immobilien GmbH. Das wiederum hatte nach Recherchen des Tagesspiegels in einigen der Häuser möblierte Wohnungen zeitlich befristet für 16 Euro pro Quadratmeter und aufwärts vermietet. Den Mietendeckel soll das Unternehmen laut Mieter:innen einfach ignoriert haben. Weil Heimstaden aber offenbar mit ähnlichen Einnahmen wie Schönheim rechnete, lag der Kaufpreis offenbar viel zu hoch: Nach einem Bezirksgutachten liegt der Preis bis zu 36 Prozent über dem Verkehrswert, wie Schmidt sagte.
Ein komplettes Novum sei das preislimitierte Vorkaufsrecht dabei nicht, wie Schmidt sagte. Es befänden sich derzeit zwei ähnliche Fälle vor Gericht, wobei es in einem Urteil geheißen hatte, dass eine Preislimitierung zulässig sei, wenn der Kaufpreis um mindestens 25 Prozent den Verkehrswert überschreite, so Schmidt. Am Käufer lässt er nach harten Verhandlungen kein gutes Haar stehen: „Heimstaden versucht, mit allen Wassern gewaschen, Vorkauf und Milieuschutz auszubremsen.“
Bei weiteren betroffenen Häusern fehlten noch immer notwendige Unterlagen für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Der nun getätigte Vorkauf ist laut Schmidt dennoch „ein entscheidendes Signal an Heimstaden“. Man habe gut mit dem Senat zusammen gearbeitet. An Mieter:innen appellierte er, für weitere Vorkäufe Druck auf der Straße zu machen.
In Neukölln gab es laut dem dortigen Bezirksamt keinen Spielraum für preislimitiertes Vorkaufsrecht. Biedermann gab zudem zu bedenken, dass beim preislimitierten Vorkaufsrecht der Verkäufer ein Rücktrittsrecht hätte und sich lange Rechtsstreits anschließen könnten.
Die am Dienstag von Land und Bezirk erworbenen Häuser waren dabei nicht nur in dieser Hinsicht möglicherweise ein Präzedenzfall. Denn sie sind erst der Vorgeschmack auf die Investitionen, die Heimstaden aktuell in Berlin noch plant. Insbesondere fällt der jüngste Deal ins Gewicht, bei dem Heimstaden knapp 4.000 Wohnungen für 830 Millionen Euro kaufen will. Dieser Teil des neuen Portfolios geht nach taz-Recherchen auf den intransparenten Konzern Gabriel International zurück, der seine Berliner Bestände ordentlich ausdünnt oder sogar ganz verkauft. Neben den 27 betroffenen Häusern in Neukölln sind die Häuser des Deals über die gesamten Innenstadtbezirke verteilt.
Die Mobilisierung ist groß
Jagna Anderson ist eine der betroffenen Mieter:innen, die bis zuletzt auf den Vorkauf durch den Bezirk hofften. In den vergangenen zwei Monate ist sie so etwas wie eine Pressesprecherin für Mietenpolitik geworden.
Anderson spricht für die Initiative Fünf Häuser, die mittlerweile auf 16 Häuser gewachsen ist und sich in Rekordzeit organisiert hat. Die stadtweite Vernetzung betroffener Mieter:innen bei Heimstaden läuft. Am Mittwochabend gibt es ein großes digitales Treffen, organisiert vom durch landesmittel geförderten Initiativen-Forum.
Anderson sagt: „Klar ist die Situation unangenehm, aber es macht auch Spaß, sich zusammen zu tun und zu sehen, dass wir bei allen Unterschieden viel gemeinsam haben.“ Nach zehn Jahren in ihrem Haus in Kreuzberg habe sie jetzt erst viele nette Nachbar:innen kennen gelernt. „Das wird auf jeden Fall bleiben. Uns verbindet, dass wir alle partout nicht bei einem Miethai wohnen wollen und uns eine andere Stadt wünschen“, sagt Anderson.
Für Gaby Gottwald, mietenpolitische Sprecherin der Linken, zeigt Berlins wohl größter Immobilendeal des Jahres, dass trotz Mietendeckel und Vorkaufsrecht weiter in Wohnraum investiert wird. „Immer mehr überschüssiges Kapital drängt in den Immobilienmarkt“, sagt Gottwald. Es mache ihr Sorgen, dass es offenbar trotz aller Maßnahmen immer noch einen solchen Druck gibt, in Immobilien anzulegen.
Der Fall sei typisch: Auch hinter Heimstaden stehe ein Milliardär, ebenso hingen große Versicherungs- und Pensionsfonds mit drin: „Diese Unternehmen versuchen, über den Wohnungsmarkt die Altersversorgung in anderen Ländern zu sichern.“ Ähnlich ist es in Berlin etwa bei der viel kritisierten Firma Akelius. Gleichzeitig gebe sich Heimstaden mieter:innenfreundlich, so Gottwald: „Die charmieren herum bei Gott und der Welt, um den Eindruck zu vermitteln, dass sie ein guter Vermieter seien. Gleichzeitig verweigern sie aber gute Abwendungsvereinbarungen.“
In die Röhre gucken übrigens die Mieter:innen sechs weiterer Häuser in Friedrichshain und Mitte aus dem Schönheim-Deal, deren Wohnungen nicht im Milieuschutzgebiet liegen. In diesen Fällen sind den Bezirken und der Senatsverwaltung die Hände gebunden. Die Mieter:innen dieser Häuser haben am Dienstag Briefe bekommen, in denen steht, dass Heimstaden ihr neuer Vermieter sei.
Bei drei weiteren Häusern mit Milieuschutz in Friedrichshain-Kreuzberg hat der Bezirk ebenfalls das Vorkaufsrecht nicht gezogen. Man habe auch hier geprüft, könne aber nicht jedes Haus retten, hieß es. Auch bei vier Häusern in Pankow, die eigentlich in sozialen Erhaltungsgebieten liegen, kam es nach taz-Informationen nicht zu Abwendungsvereinbarungen oder dem Vorkaufsrecht. Das dortige Bezirksamt wollte erst Anfang nächster Woche auf eine entsprechende taz-Anfrage antworten.
Derzeit bangen aus dem zweiten Heimstaden-Paket allein in Neukölln noch 27 Häuser um Vorkaufsrecht: Eines der weiteren betroffenen Häuser ist am Wildenbruchplatz in Neukölln. Das Haus liegt im Milieuschutzgebiet Hertzbergplatz/Treptower Straße. Auch hier haben sich Mieter:innen aus 30 Wohnungen aus Angst vor Verdrängung bereits zu einer Hausgemeinschaft zusammengeschlossen und fordern den Vorkauf. In ihrem Fall, der deutlich größeren Charge von Heimstadens Shopping-Tour, läuft die Frist Ende November aus.
Einer der Mieter sagt: „Als wir Anfang Oktober erfahren haben, dass unser Haus verkauft wird, war das für viele im Haus ein großer Schock. Teilweise wohnen die Leute seit Anfang der Siebziger hier. Wir wollen keinen Miethai.“ Um ihr Anliegen berlinweit stark zu machen, haben sie sich auch mit anderen Hausgemeinschaften vernetzt – „mit dem Mietenwahnsinn in Berlin muss endlich Schluss sein!“
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