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Vorkaufsrecht bei MietshäusernWas auf den Deckel gegeben

In letzter Minute hat Neukölln das Vorkaufsrecht für die Leinestraße 8 gezogen. Ausgerechnet der Mietendeckel könnte am Zögern schuld gewesen sein.

Auf einer Demo gegen #Mietenwahnsinn im April Foto: Stefan Boness / ipon

Exakt 23 Wohnungen versammelt das Haus in der Neuköllner Leinestraße 8. Darin leben Familien, Studenten, Berufstätige, Rentner und Erwerbslose, die durchschnittliche Miete liegt schon heute bei etwa 8 Euro bruttokalt pro Quadratmeter. Ein klassischer Berliner Altbau – mit einem klassischen Berliner Bedrohungsszenario: Ein Investor, die Aramid GmbH mit Sitz im Steuerparadies Liechtenstein, wollte das Gebäude kaufen. Ebenfalls schon fast klassisch: Die Hausgemeinschaft machte gegen den Verkauf mobil und drängte den Bezirk, das Vorkaufsrecht zu ziehen. Doch erst in der letzten Sekunde willigte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo ein, das Haus zu kaufen.

Der erstaunliche Verdacht der Mieter: Ausgerechnet der angekündigte Mietendeckel könnte für das Zögern der Degewo verantwortlich sein.

Die Leine8, wie die Bewohner ihr Haus nennen, gehört zum Milieuschutzgebiet Schillerpromenade. In solchen Gebieten verfügt der Bezirk über das Vorkaufsrecht, um Mieter vor Verdrängung durch rasant steigende Mieten zu schützen. Voraussetzung dafür, dass dieses Recht auch zur Anwendung kommt: dass der Bezirk eine der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft überreden kann, das Haus auch tatsächlich zu kaufen.

Auf Wirtschaftlichkeit bedacht

Schließlich sind auch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auf Wirtschaftlichkeit bedacht. Ein Kaufpreis, der beim zwölf- bis 20-Fachen der erwarteten jährlichen Mieteinnahmen liegt, gilt als vertretbar. Bei der Leine8 aber sei der Kaufpreis so hoch gewesen, dass er sich erst in 35 bis 50 Jahren durch die Mieten amortisieren wird – allein deswegen sei es schwer gewesen, die Landeseigenen zum Kauf zu überreden, sagt Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne).

Doch das sei nicht der einzige Faktor gewesen: „Der Mietendeckel hat es erschwert, eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zu finden, die bereit war, das Vorkaufsrecht in diesem Fall umzusetzen“, sagt Biedermann der taz. Die Hausgemeinschaft bestätigt das: „Uns wurde signalisiert, dass Degewo und die Gewobag den Vorkauf mit dem kommenden Mietendeckel als Vorwand ablehnen“, sagt Jorinde Schulz, Mieterin der Leine8.

Die Sprecher von Degewo und Gewobag widersprechen dem: Der Mietendeckel habe bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit und der daraus resultierten vorübergehenden Ablehnung des Vorkaufs „keine Rolle gespielt“, sagen sie taz.

Fakt ist: Erst nachdem die RBB-„Abendschau“ am 12. September berichtet hatte, der Mietendeckel sorge dafür, dass sich keine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft für den Kauf finde, änderte sich die Situation. Sowohl Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) als auch Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) sagten hernach, die Wohnungsbaugesellschaften sollten den Mietendeckel bei ihren Wirtschaftlichkeitsberechnungen nicht beachten.

Am Dienstag erfuhren die Bewohner der Leinestraße 8 dann per Post: Ihr Haus ist gerettet, die Degewo hat, knapp vor Ende der Frist, doch noch zugeschlagen.

Müssen höhere Zuschüsse her?

Der Fall wirft Fragen auf: Ist die Aufforderung der Senatoren an die Landeseigenen, den Mietendeckel zu missachten, so zu interpretieren, dass sie selbst nicht ganz daran glauben, dass dieser tatsächlich in Kraft tritt? Oder will das Land die Ein­bußen, die die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften durch den Mietendeckel hinnehmen müssen, künftig durch höhere Zuschüsse ausgleichen? Eva Henkel, Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen, schließt diese Möglichkeit kategorisch aus: Höhere Zuschüsse würden den Landeseigenen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen und seien damit illegal.

Fest steht: Der öffentliche Druck, den die Hausgemeinschaft organisiert hat, trug offenbar zum Erfolg bei. Mit der von den Bewohnern der Leine8 organisierten Initiative „Kiez statt Kies“ solidarisierten sich zahlreiche Vertreter aus Politik und anderen Mieterinitiativen.

Was genau in den Verhandlungen zwischen Bezirk, Senat und Degewo gelaufen ist, wird aber wohl fürs Erste ein Geheimnis bleiben: Stadtrat Biedermann, die Degewo und die Senatsverwaltung für Finanzen verweisen als Reaktion auf die diesbezüglichen Anfragen der taz auf den jeweils anderen, wirklich Auskunft geben will niemand. Eine langfristige Strategie, wie die Instrumente Vorkaufsrecht und Mietendeckel in Einklang zu bringen sind, scheint es noch nicht zu geben.

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