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Vorgezogene ParlamentswahlenRechtsruck in Portugal

Konservative gewinnen knapp vor den Linken, doch die rechtsextreme Partei Chega vervierfacht ihre Sitze. Die Regierungsbildung wird sehr schwierig.

Knapper Wahlsieger: Luis Montenegro, Vorsitzender von Portugals Mitte-rechts-Partei Demokratische Allianz, bei einer Rede Foto: Armando Franca/ap/dpa

Madrid taz | Bisher galt Portugal als immun gegen die extreme Rechte. Die Wahlen am Sonntag setzten dem jetzt ein Ende. Die ultrarechte Chega (dt. „genug“) unter dem ehemaligen Fernsehkommentator André Ventura erzielte 18,1 Prozent der Stimmen – zweieinhalb mal soviel wie 2022 – und damit 48 der 230 Abgeordneten. Chega ist damit drittstärkste und alles entscheidende Kraft im neuen Parlament.

„Chaos, die Explosion von Chega und ein Land, das sich (kaum) regieren lässt“, titelte die Tageszeitung O Público nach dem Wahlergebnis etwas ratlos. Denn die Sozialisten (PS), die seit 2022 mit absoluter Mehrheit und zuvor ab 2015 in Minderheit mit Unterstützung kleinerer linker Formationen regiert hatten, stürzten von bisher 41,4 auf 28,7 Prozent und damit von 120 auf 77 Abgeordnete ab. Die Parteien links davon erzielten ebenfalls schlechtere Ergebnisse als vor zwei Jahren. Ein Linksbündnis ist deshalb nicht möglich.

Die Demokratische Allianz unter Luis Montenegro erzielte 29,5 Prozent der Stimmen, das sind 79 Abgeordnete. Damit wurde sie die stärkste Kraft. Doch zum Regieren reicht auch das nicht. Montenegro setzte eigentlich auf eine Zusammenarbeit mit der Liberalen Initiative (IL). Diese zieht jedoch nur mit acht Vertretern ins Parlament ein. Für eine Mehrheit müssten sie 116 der Sitze haben. Montenegro bräuchte also die Chega zum Regieren. Das lehnt er bisher ab.

Chega ist ein relativ neues Phänomen. Im Oktober 2019 war die Chega mit Ventura als einziger Abgeordneter erstmals ins Parlament eingezogen. 2021 erzielte der Chega-Chef mit knapp 12 Prozent einen ersten Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen. Bei den Parlamentswahlen 2022 zählte die Chega-Fraktion bereits zwölf Abgeordnete, jetzt sind es 48.

Der Chega-Vorsitzende und ehemalige TV-Moderator André Ventura feierte das „historische Ergebnis“ seiner Partei und bot sich noch am Wahlabend als Partner für eine „stabile Regierung“ an, allerdings nur, wenn seine Chega mit in einer Koalition sitzt. Eine Minderheitsregierung von Montenegro werde er nicht unterstützen.

Die Stimme der Wutbürger und Peripherie

„Chega besetzt ein Territorium, das traditionell den Parteien links der Sozialisten gehörte. Es handelt sich um Proteststimmen derjenigen, die empört und gegen das System sind, die Stimme der Wutbürger und der Peripherie“, schreibt die „Correio da Manhã“, eine der meistgelesensten Tageszeitungen Portugals, in der sich einst Ventura als Kolumnist einen Namen machte.

„Portugal braucht eine Säuberung“, stand auf einem der Chega-Wahlplakate, das im ganzen Land zu sehen war. Das Plakat bezieht sich auf Immigration und der – laut Ventura – damit verbundenen Kriminalität. Es spielt aber auch auf Drogen und Korruption an. Der Politiker, der einst selbst in der sozialdemokratischen PSD aktiv war, nahm im Wahlkampf immer wieder Bezug auf mehrere Skandale, die sowohl den Wahlverlierer PS als auch die PSD betreffen.

Denn die Neuwahlen vom Sonntag wurden notwendig, nachdem der bisherige sozialistische Ministerpräsident António Costa im vergangenen November der Korruption beschuldigt worden war. Es ging um die Vergabe von Lizenzen zum Lithiumabbau sowie für die Produktion von grünem Wasserstoff. Um „die Würde des Amtes nicht zu beschädigen“, trat er nach Veröffentlichung der Korruptionsvorwürfe sofort zurück.

Wenige Tage später stellte sich heraus, dass sein Name nur wegen eines Transkriptionsfehler seitens der Staatsanwaltschaft in den Akten gelandet war. Die Ermittlungen gegen ihn wurden schnell eingestellt. In seinem Umfeld kam es zwar zu mehreren Festnahmen, längst ist jedoch nur noch von „Einflussnahme“ bei Entscheidungen im Bereich Energie- und Bergbau die Rede, nicht mehr von Bestechungsgeldern und Korruption.

Nach dem Rücktritt Costas brauchten die Sozialisten schnell einen neuen Kandidaten. Sie schickten den ehemaligen Infrastrukturminister Pedro Nuno Santos für die Wahl ins Rennen. Dieser bot jedoch auch Angriffsfläche. Nuno Santos war 2022 wegen eines Skandals um hohe Abfindungszahlungen an eine Managerin der staatlichen Luftfahrtgesellschaft TAP als Infrastrukturminister zurückgetreten. Doch damit nicht genug. Gegen den ehemaligen PS-Chef und Ministerpräsidenten José Socrates läuft ein Verfahren, bei der PSD musste sowohl der Regionalpräsident der Insel Madeira sowie der Bürgermeister der Inselhauptstadt Funchal wegen Korruptionsermittlungen zurücktreten.

Abstrafung der traditionellen Parteien

Der Erfolg von Chega ist eine Abstrafung der traditionellen Parteien, nicht nur der Sozialisten, sondern auch der Konservativen. Denn die AD, ein Bündnis um die konservative Sozialdemokratische Partei (PSD) erzielte nur wenige Zehntel mehr als die PSD 2022 alleine. Die Chega inszenierte sich in den letzten Jahren geschickt als Protestpartei und holte dort Stimmen, wo üblicherweise sozialistische Wähler und Wählerinnen nach links abwanderten.

Dabei hat die Regierung Costa in den letzten neun Jahren durchaus Erfolge zu verzeichnen. Sie hat einen Großteil der Sparmaßnahmen der PSD aus den Jahren der Eurokrise rückgängig gemacht. Mindestlohn und Renten wurden angehoben, die Ausgaben in Bildung und Gesundheitswesen stiegen, Steuern für Reiche wurden erhöht. Die Staatsfinanzen sind so gesund wie lange nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit liegt nur noch bei 6,6 Prozent, sie ist damit halb so hoch wie im Nachbarland Spanien. Die Wirtschaft wächst um 2,3 Prozent – höher als im EU-Durchschnitt.

Doch dann kam die Inflation. Die Preise explodierten. Die niedrigen Löhne in Portugal verloren weiter an Kaufkraft. Hinzu kommt ein Wohnungsmarkt, der in den großen Städten wie Lissabon und Porto völlig außer Kontrolle geraten ist. Dort bestimmt der Tourismus die Mieten. All das sorgte für Frustration.

Es ist unsicher, wie es nun weitergeht. Nuno Santos versicherte am Wahlabend einmal mehr, was er bereits im Wahlkampf für den Fall einer Niederlage angekündigt hatte. Die PS werde einer Regierungsbildung von Luís Montenegro nicht im Wege stehen. Allerdings werde sie keine permanente „Stütze“ für die Konservativen sein. Die Bildung einer Großen Koalition lehnt er ab. Die PS werde in die Opposition gehen, um diese nicht Chega der „überlassen.“

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11 Kommentare

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  • Turbokapitalismus, eine verarmende Bevölkerung und dann auch noch Korruptionsskandale... kein Wunder, dass die Etablierten ihre Stimmen an die Rechten verlieren.

    Seit Jahren war in Portugals beliebten Regionen und Städten von explodierenden Mieten zu lesen, die sich normale Bürger nicht mehr leisten konnten: Investoren, reiche Ausländer und Digitalnomaden mit hohen Einkommen trieben diese sowie die Preise des täglichen Bedarfs in die Höhe. Man kaufe sich mal einen Cappuccino in Lissabon... oder google mal nach Blaubeerfeldern an der Algarve sowie im Alentejo. Ein Trauerspiel!

    Uns erzählte ein Hotelangestellter vor zwei Jahren in Lagos das gleiche: er verdiene gut, doch seine Freunde seit Kindheitstagen könnten sich die Mieten in Lagos nicht mehr leisten.

    Wenn man dann noch mitbekommt, dass ein Politiker nach dem anderen korrupt ist...

    • @Trolliver:

      Dem stimme ich zu.

      Ich habe letzten Sommer auf eine Dienstreise im Hinterland für einen Espresso und eine keines süßes Stückchen nur einen Euro gezahlt.

      Das wäre schon in den 90ern sehr preiswert gewesen.



      Selbst als Sonderangebot ist das selbstmörderisch.

      • @Sonntagssegler:

        Ich war Anfang der 90er mit dem Rad mehrmals in Portugal. Die Preise waren deutlich niedriger als bei uns, doch die meisten Menschen konnten leben. Wir konnten uns im ganzen Norden auf französisch verständigen, weil viele Arbeitsmigranten aus Frankreich zurückgekehrt waren.

        Es gibt immer noch preisgünstige Gegenden, wo man den Café mit einer Nata für einen Euro oder etwas mehr bekommt, haben wir auch erlebt. Doch glaube ich, dass dort die Welt noch halbwegs in Ordnung ist, weil die grundsätzlichen Lebenshaltungskosten auch niedrig liegen. An der Küste sind die Preise gehoben, in Lissabon und Lagos gar hoch. Für die Einheimischen viel zu hoch.

  • es ist traurig zu sehen, wie die Rechten in Europa erstarken. Und niemand hat ein Mittel dagegen.

    • 9G
      94799 (Profil gelöscht)
      @Ahnungsloser:

      50 Jahre nach der sanften Revolution von 1974 kommt die Konter-Revolution nach Portugal!



      Portugal hat nie gelernt bzw. lernen wollen sich aus der Abhängigkeit von Dritten zu lösen - vor 1974 wurden die Kolonien mit brutaler Gewalt ausgebeutet (zum Vorteil einer kleinen Clique von katholischen Faschisten) um dann später in die EU-Subventions Abhängigkeit zu gleiten (zum Vorteil einer Clique von Berufspolitikern und alt eingessenen Profijägern).



      >>>Meine Beobachtungen in über 30 Jahren in denen ich in diesem Land lebe

    • @Ahnungsloser:

      Das Mittel dagegen wäre unpopulär: restriktiver Umgang mit Landverkauf, Wasserrechten und Investoren, um die Preise niedrig zu halten. Auf die Bevölkerung schauen, statt auf schnelle und hohe Einnahmen, die nur wenigen zugute kommen und oft steuerfrei verschwinden. Das würde die Bilanz schwächen, richtig, dafür aber Wege für nachhaltiges Wirtschaften freimachen.

      • @Trolliver:

        Ich meinte das nicht auf Portugal bezogen, sondern allgemein in Europa. In kaum einem Land sind die Rechten nicht auf dem Vormarsch.

        • @Ahnungsloser:

          Wenn Du so willst: auch meine Antwort ist nicht allein auf Portugal bezogen. Wir haben neben Klimawandel auch ein globales Problem der Verteilung. Die weniger Reichen oder Armen begehren entweder auf - oder sie lassen sich mit einfachen Wahrheiten ködern.

      • @Trolliver:

        Da sieht es historisch für Portugal schlecht aus.

        Portugal ist das einzige Land, das es geschafft hat, sich zum Zeitpunkt des größten Reichtums (Kolonien) komplett zugrundezurichten.

        Verkürzt, weil die Reichen damals das Geld nicht im Land verteilt sondern gehortet haben und daher zu viele das Land in Richtung Quelle verlassen hatten (nach Brasilien z.B.) .

    • @Ahnungsloser:

      Es gibt schon Mittel dagegen nur gefallen uns diese Mittel nicht. Ein Blick in die wenigen Länder wie Dänemark, die es geschafft haben die Rechtspopulisten draußen zu halten, könnte dabei durchaus lehrreich sein. Wenn ich mir mal das Wahlprogramm dieser Chega-Partei aus Portugal anschaue, sind das exakt die gleichen Themen wie in allen anderen EU-Ländern auch (weniger politische Korrektheit, weniger Migration, mehr portugiesische Kultur usw.). Warum die Rechten so stark sind, ist eigentlich relativ einfach zu verstehen. Es gibt einen großen Teil der Bevölkerung die bestimmte Entwicklungen besonders in der Migrationspolitik einfach nicht wollen. Da wir aber keineswegs bereit sind an diesen Stellen zu konzidieren, ist eine Machtübernahme scheinbar unausweichlich.

      • @Šarru-kīnu:

        Das ist besonders in Portugal nicht der einzige Grund: viele Menschen können von ihrem Lohn nicht mehr leben, Miete bezahlen etc., viele Menschen waren und sind neben ihren Einkünften auf Subsistenzwirtschaft angewiesen. Letzteren wurde durch die "Beerenmafia" in den vergangenen Jahren das Wasser für ihre kleinen Gärten entzogen.

        Für Populisten ist es relativ leicht, solche Menschen auf ihre Seite zu ziehen und mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wer nicht informiert ist, ist geneigt, das zu glauben.