piwik no script img

Vorfahrt für die menschenfeindliche Stadt

Die sinnloseste Autobahn der Bundesrepublik wird am Mittwoch in Berlin eröffnet. Bereits der Bau der A100-Verlängerung war mit 230 Prozent Kostensteigerung ein Fiasko. Getoppt werden könnte es, wenn Bund und Land tatsächlich auch noch die nächste Verlängerung durchdrücken

Ein Symbol für Stillstand: Der 16. Bauabschnitt der A100 bei Neukölln kurz vor der Eröffnung am Mittwoch Foto: Erik Irmer

Kommentar von Erik Peter

Für Berlin ist es kein Grund zur Freude, sondern einer der Scham. Etwa siebzig Jahre nach den ersten Planungen und nach mehr als zwölf Jahren Bauzeit soll der 16. Abschnitt der A100 zwischen Neukölln und dem Treptower Park am kommenden Mittwoch eröffnet werden.

Mit 650.000 Kubikmeter Beton und 750.000 Tonnen Stahl ist hier eine Idee aus einem anderen Jahrtausend zementiert worden. Entstanden ist ein 3,2 Kilometer langes Mahnmal einer fehlgeleiteten Politik, die vor den Herausforderungen einer zukunfts- und klimagerechten Stadt kapituliert hat.

Die Welt schaut nach Paris, nach Kopenhagen, selbst nach New York und sieht, dass es möglich ist, sich von der Idee einer autozentrierten – ergo menschenfeindlichen – Stadt zu lösen, wenn auch oft noch viel zu zögerlich. Doch wer nach Berlin guckt, muss sich die Augen reiben. Im Herzen der Bundesrepublik werden noch immer Autobahnen gebaut, ganz so, als hätte sich seit den 1930er Jahren nichts verändert. Die Autobahn als Symbol für Stillstand.

Und das darf man sich dann auch ganz praktisch vorstellen. Autobahnen entlasten keinen Verkehr, sie schaffen neuen, wie jeder Verkehrsplaner weiß. „Nur noch eine Spur, Bro“ ist ein Internet-Meme, das verdeutlicht, wie selbst die vielspurigsten Autobahnen im Verkehrskollaps versinken. Auf dem neuen A100-Abschnitt wird mit 85.000 Fahrzeugen täglich gerechnet, die sich am neuen Ende Treptower Park wieder zurück in die Viertel ergießen. Und zwar über eine sich noch lange im Bau befindliche Elsenbrücke und dann weiter über einspurige Gassen nach Friedrichshain. Das Chaos ist vorprogrammiert.

408 Millionen teurer als gedacht

Schon der Bau war ein reines Fiasko. Ganze vier Jahre später als geplant ist die Autobahn fertig. Aus den ursprünglich veranschlagten Kosten von 312 Millionen Euro sind 720 Millionen geworden. Das ist eine Kostensteigerung von 230 Prozent.

Für 225.000 Euro pro Meter hat Berlin damit nun die teuerste Autobahn der Republik erhalten. Es ist auch die sinnloseste. Ein noch sinnloserer Bau droht dann, wenn ernsthaft der Versuch gewagt wird, auch noch den 17. Abschnitt bis zur Storkower Straße durchzudrücken.

Der Trasse nach Treptow sind fünf Häuser mit mehr als 100 Wohnungen, 300 Kleingarten-Parzellen und etwa 450 Bäume zum Opfer gefallen. Bei einem Weiterbau droht die Zerstörung des subkulturellen Herzens der Stadt. Allein mehr als ein Dutzend Clubs würden niedergewalzt.

Und dann ist da ja noch der irrsinnige Tunnelplan unter dem Ostkreuz, ein weiteres drohendes Milliardengrab. Möge irgendjemand verhüten, dass das jemals Wirklichkeit wird! Am besten tun das die Ber­li­ne­r:in­nen selbst. Die Autobahnverlängerung war nie ein Mehrheitsprojekt aus der Stadt heraus, Stattdessen wurde sie uns aus dem Bundesverkehrsministerium aufgezwungen.

Proteste begleiten den A100-Bau inzwischen seit Jahrzehnten und richteten sich auch schon gegen die Vorgängerabschnitte bis zur Buschkrugallee und der Anschlussstelle Neukölln, die 2000 und 2004 freigegeben wurden. Um die nun geplante Eröffnung herum – auf eine öffentliche Feier wird aus gutem Grund verzichtet – wird es erneut zahlreiche Protestaktionen geben. Sie sind aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Berlin erwartet, wenn der Wahnsinn nicht endlich gestoppt wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen