Vor neuer Regierungsbildung: Integrationsminister gesucht
Migrationsforscher fordern per Online-Petition einen Wechsel in der Integrationspolitik. Von einem bestimmten Ministerium haben alle jetzt genug.
BERLIN taz | Mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen rufen mehr als 60 Wissenschaftler und prominente Politiker zu einem Neuanfang in der Integrationspolitik auf. In einer Online-Petition, die der Berliner Rat für Migration am Dienstag lancierte, fordern sie angesichts eines derzeitigen „Kompetenzwirrwarrs“, die Aufgaben bei der Integration von Zuwanderern künftig in einem Querschnittsministerium zu bündeln.
Bisher liegt die Zuständigkeit vor allem im Innenministerium, aber auch beim Bildungs- oder dem Außenministerium. Gerade das Bundesinnenministerium aber sei mit „seiner Konzentration auf Sicherheitspolitik und Gefahrenabwehr das falsche Zentralressort“ für Zuwanderung, monieren die Wissenschaftler. Das kann man auch als direkte Kritik am aktuellen Amtsinhaber Hans-Peter Friedrich verstehen.
Integrationspolitik dürfe nicht länger als „Sozialtherapie für Menschen mit Migrationshintergrund“ verstanden, sondern müsse zu einer „teilhabeorientierten Gesellschaftspolitik für alle“ werden, heißt es in dem offenen Brief, den Heiner Geißler (CDU), Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) und Dieter Wiefelspütz (SPD) mit unterzeichnet haben.
Auch ein anderer Zusammenschluss von Wissenschaftlern, der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), plädiert dafür, das Thema Integration künftig anderswo anzusiedeln, und schlägt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vor. Das wäre „ein Signal, dass Integrationspolitik immer auch Gesellschaftspolitik für alle sein muss“, sagte die Ratsvorsitzende Christine Langenfeld.
Ein eigenes Integrationsministerium im Bund lehnt der Rat aber explizit ab. Der Sachverständigenrat geht auf eine Initiative mehrerer Stiftungen zurück; neun Wissenschaftler verschiedener Disziplinen gehören dem Gremium an.
Ein Integrationsministerium ist seit Jahren immer wieder im Gespräch. Die bisherige Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU), die als Staatssekretärin im Kanzleramt Angela Merkel direkt untergeordnet ist, hat mehrfach die Schaffung eines eigenen Ministeriums gefordert. Doch bei den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2009 hatten sich Union und FDP darauf geeinigt, dass es kein eigenes Integrationsministerium geben solle.
Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland wünscht sich ein neues Ministerium, das sich um die Belange von Einwanderern kümmert. Nötig sei ein Ressort für „Teilhabe und Migration“, fordert der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat. Das Innenministerium jedenfalls sei „nicht geeignet, dieses gesellschaftlich wichtige Thema nur sicherheits- und ordnungspolitisch zu besetzen“.
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