Vor der Wahl in Tschechien: Präsident zum Anfassen
Bei der Präsidentschaftswahl in Tschechien hat der Amtsinhaber Miloš Zeman gute Chancen. Er punktet vor allem bei Wählern auf dem Land.
Überdauert hat sie seit 1918 eines: die heimliche Sehnsucht vieler Tschechen nach einem Kaiser. Oder zumindest nach einer Art Lichtgestalt, die als Väterchen der Nation vom Prager Hradschin-Hügel aus über die Geschicke des Staates wacht. Wie einst Tomáš G. Masaryk, der bis heute verehrte wie verklärte „Befreier-Präsident“ mit seinem weißen Kinnbärtchen. Von ihm wird gerne behauptet, er sei ein illegitimes Kind Franz Josefs I. gewesen.
Im Gegensatz zur Monarchie dürfen sich die Tschechen ihr Väterchen selbst auswählen. Ein Mütterchen ist nicht unter den neun Präsidentschaftskandidaten, die sich an diesem Freitag und Samstag um das höchste Amt im Staat bewerben. Fünf davon, unter ihnen der ehemalige Škoda-Chef Vratislav Kulhánek, haben so gut wie keine Chance, auf dem Hradschin einzuziehen.
Die Wahl wird zwischen vier Kandidaten entschieden. Sollte keiner die erforderliche absolute Mehrheit erhalten, wird es am letzten Januarwochenende eine Stichwahl geben.
In die zweite Runde wird auf jeden Fall Amtsinhaber Miloš Zeman einziehen, der mit knapp 43 Prozent in den Umfragen führt. Auf einen Wahlkampf, so betont er, habe er verzichtet. Auch in den unzähligen Kandidatendebatten glänzte Zeman durch Abwesenheit. Stattdessen tingelte er durch die böhmischen und mährischen Dörfer und gab den Präsidenten zum Anfassen.
Bewunderung für die starken Männer in Russland und China
Denn dort und nicht vor den Fernsehern oder Computern in den Städten sitzen seine Wähler: schlecht ausgebildete und vom Leben enttäuschte Geringverdiener jenseits der 40. Mit seinen Schimpftiraden gegen Städter, Intellektuelle, Aktivisten und Journalisten, seinem volksnahen Auftreten und seiner erklärten Liebe zu allem Mehr- oder Minderprozentigen punktet er bei all denen, die von Unsicherheit und Ängsten getrieben werden.
Über ein Drittel der Tschechen, so belegen verschiedene Umfragen seit 2014, halten eine Diktatur unter bestimmten Umständen für der Demokratie überlegen. Sie werden wieder Zeman wählen, der seine Bewunderung für die starken Männer in Russland und China immer wieder ostentativ zur Schau stellt.
Für die Zeman-Gegner, die mit dessen Anhängern zahlenmäßig gleichauf liegen, sind diese Präsidentschaftswahlen längst zu einem Anti-Zeman-Volksbegehren geworden. Heiß wird diskutiert, welcher der drei aussichtsreichen Gegenkandidaten Zeman am ehesten besiegen könnte.
Favorit ist der ehemalige Präsident der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, Jiří Drahoš. Der Chemiker hat in seinem Berufsleben weltweit mehr Universitäten besucht als der Durchschnittstscheche Kneipen. In der hohen Politik wirkt er aber wie eine graue Maus, sein Lieblingsargument in Kandidatendiskussionen und -interviews lautet: „Das weiß ich nicht.“ Drahoš bemüht sich sehr, sich den Wählern als der Anti-Zeman zu empfehlen.
Auf die Burg mag es sogar reichen. Denn obwohl Drahoš mit 27,5 Prozentpunkten weit hinter dem Amtsinhaber hinterherhinkt, werden ihm große Chancen zugesprochen, die Stichwahl zu gewinnen. Denn dann würde er die Stimmen der anderen Anti-Zeman-Wähler erhalten, die in der ersten Runde noch andere Kandidaten wählen.
Nur ein professioneller Politiker unter den Kandidaten
Michal Horáček zum Beispiel. Der Musikproduzent stammt aus dem tschechoslowakischen Bürgeradel. Sein Großonkel Jaroslav Heyrovsky erhielt 1959 den Nobelpreis für Chemie, sein Vater war ein bekannter Theaterdramaturg. In der breiten Öffentlichkeit berühmt wurde Horáček, ein passionierter Spieler, vor allem als Juryvorsitzender von „Die Tschechoslowakei sucht den Superstar“. Ob er in die nächste Runde kommt, ist allerdings fraglich.
Neben Miloš Zeman befindet sich nur ein professioneller Politiker unter den neun Kandidaten. Überraschend und in letzter Minute hat sich Ex-Ministerpräsident Mirek Topolánek aufstellen lassen. Mit symbolträchtigem Kinnbärtchen à la Masaryk verspricht er, im Falle seines Wahlsieges die Nation zu einen. Kritiker befürchten, der wiedergeborene Christ, der seit seinem Abschied aus der Politik als Lobbyist im Energiesektor arbeitet, sei ähnlich servil gegenüber Russland und China wie Miloš Zeman.
Mehr als ein Bauchgefühl scheint da allerdings nicht dahinterzustecken. In seiner Amtszeit als Regierungschef hat Topolánek strategische Investitionen der Russen vereitelt. Neben Zeman ist Topolánek aber auch der EU-kritischste der vier Top-Kandidaten. So erklärte er, die geplante Erweiterung des AKW Dukovany in Südmähren sei, sollte sie notwendig werden, einen EU-Austritt wert.
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