Vor der Wahl in Baden-Württemberg: Nichts ist egal in Wasiristan
Viel spannender als in Bayern: Die Wahl in Baden-Württemberg kann historische Bedeutung haben. Und das sogar in mehrerlei Hinsicht.
S eit Anfang des Jahres muss man den Eindruck haben, dass Deutschland in Bayern liegt. Kreuth, Seehofer, Söder, Seehofer, Dobrindt, Seehofer, Kreuth. Die CSU führt den wichtigtuerischen Titel „Regierungspartei“, und wenn sie zu Pressekonferenzen einlädt, hält halb Polit-Berlin den Atem an. Lässt man allerdings die Realität ins Leben sickern, erinnert man sich, dass die CSU bloß eine Regionalpartei ist. Und Bayern ein Bundesland, in dem die politischen Verhältnisse entsetzlich langweilig sind.
Das politisch erstaunlichste Bundesland dieses Jahresanfangs ist ein anderes: Baden-Württemberg. Am 13. März wird dort der Landtag gewählt – und diese Formulierung hört sich noch zu gewöhnlich an, allein wenn man bedenkt, welches Personal im Südwesten um die Macht streitet.
Oder hat Bayern einen grünen Ministerpräsidenten, der bis weit in die Mitte vorgedrungen ist? Der sogar unter Unionsanhängern beliebter ist als deren eigener Spitzenkandidat, Guido Wolf; dessen wiederum bekannteste Tat die feierliche Übergabe eines Stoffwolfs an Angela Merkel ist. In Bayern ist auch der Kronprinz des Ministerpräsidenten langweiliger: Während Seehofers Markus Söder der eigenen Partei ständig Zuckerle spendiert, verabreicht Kretschmanns Boris Palmer den Seinen irgendetwas zwischen saure Gurke und Salzlakritz.
Bayern hat auch keinen Politclan vom Rang der Schäuble-Strobls, der Patriarch Finanzminister, der Schwiegersohn Parteivize; die Degeto hätte das längst als ARD-Soap inszeniert, wenn die Degeto-Chefin – Schäubles älteste Tochter – nicht selbst zum Clan gehörte. Bayern hat keinen SPD-Finanzminister, der türkisch spricht. Keine FDP-Generalsekretärin, die als Insolvenzanwältin ihr Geld verdient. Keine sozialökologischen Rebellen, die die Realo-Grünen in den Gemeinderäten herausfordern. Baden-Württemberg aber bietet all dies.
Ganz anders als Bayern
Nun werden unverbesserliche CSU-Fetischisten sagen: Ist ja ein schönes Spätzlespektakel in Stuttgart. Aber am Ende eben doch nicht mehr als Unterhaltung. Geht doch maximal darum, ob es Kretschmann – für viele Linke das blassgrüne kleinere Übel – noch einmal schafft. Aber das ist zu klein gedacht. Diese Haltung fußt auf altem Defätismus, gewachsen in dem halben Jahrhundert, als im Ländle tatsächlich die CDU-Regierungsmacht zementiert war. Der Südwesten wurde ja jenseits des Maultaschenäquators sogar noch nach der Kretschmann-Wahl als Skurrilität abgetan: als Absurdistan. Jürgen Trittin verglich die Gegend sogar höhnisch mit Wasiristan, einer Bergregion in Pakistan, die die Zentralregierung nicht unter Kontrolle bekommt.
Aber all das ist jetzt die falsche Perspektive, denn in Baden-Württemberg könnte nach dem 13. März Geschichte geschrieben werden – sogar in mehrerlei Hinsicht.
Die AfD kann erstmals in das Parlament eines westdeutschen Flächenlandes einziehen. Das gilt zwar auch für Rheinland-Pfalz, wo die Partei in den Umfragen zurzeit ebenfalls zweistellig ist. Aber Baden-Württemberg ist als drittbevölkerungsreichstes Land größer. Zudem dürfte am Wahlabend in Stuttgart mit Jörg Meuthen nicht irgendein AfD-Kandidat auftrumpfen. Der Wirtschaftsprofessor ist eine Art Ersatz-Lucke und Co-Bundesvorsitzender neben Frauke Petry. Er hat Potenzial, die rassistischen Züge im Profil der Partei weichzuzeichnen.
Dann die CDU Baden-Württemberg. Sie war auch in den fünf Kretschmann-Jahren in Umfragen immer stärkste Partei. Mit der Wahl 2016 hat sie stets die Erwartung verbunden, dass sie zurück an die Macht gespült wird. Die Niederlage von 2011 wurde als Ausrutscher abgetan, der aus einem einmaligen Gemisch resultierte: der Gigantomanie von Stuttgart 21, der Grobschlächtigkeit des Stefan Mappus und dem Grauen von Fukushima. Doch so ist es nicht.
Während die Werte der Südwest-CDU früher stets weit vor der Bundes-CDU lagen – auch bei der Bundestagswahl 2013 –, steht sie nun schlechter da. Der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf laviert in der Flüchtlingspolitik zwischen Merkel und Seehofer. Kretschmanns Positionen sind von denen der Kanzlerin kaum zu unterscheiden. Wolf bliebe nur eine Abgrenzung von Merkel, aber die kann er sich nicht leisten. Ein anderes Thema hat er nicht. Bleibt eine Schönheitskonkurrenz der Spitzenkandidaten, die gegen den beliebten Kretschmann nicht zu gewinnen ist.
Der baden-württembergische Landesverband ist der zweitgrößte der CDU. Beim Aufstieg der Angela Merkel spielte er eine entscheidende Rolle, im Falle einer Niederlage könnte er sie extrem schwächen.
Wie keine andere Partei ist die Union aufs Regieren fixiert. Würde Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz Ministerpräsidentin, würde das zwar Merkel helfen. Aber wenn zugleich die CDU in Baden-Württemberg in der Opposition bleibt und somit die Niederlage von vor fünf Jahren nicht mehr als Panne gesehen werden kann, hat das Folgen. Die Hochburg im Südwesten: eine Ruine. Die Wut in der Partei: so laut, dass Seehofers Drohungen rückblickend als Kreuther Knallerbsen erscheinen.
Mögliche Kretschmann-Ampel
Aber wie soll das passieren? Rumpelt Guido Wolf mit, sagen wir mal: 35 Prozent ins Wahlstudio, könnte er sich immer noch aussuchen, ob er mit den Grünen – zurzeit bei 28 Prozent – oder der SPD – 15 Prozent – eine Regierung bildet. Allerdings bleibt eine dritte, noch nie dagewesene Option. Grün, Gelb, Rot. Die umgedrehte Ampel, die Kretschmann-Ampel.
Die SPD, auf die Rolle der Mehrheitsbeschafferin reduziert, könnte zwischen Wolf und Kretschmann wählen. Und die FDP? Sie hat in ihrem Stammland eine stabilere Grundlage als anderswo und darum gute Chancen, es wieder in den Stuttgarter Landtag zu schaffen. Die Kretschmann-Ampel böte ihr Ämter, Ansehen, Aufmerksamkeit. Bundespolitisch brächte eine solches Bündnis der FDP Dynamik, sie würde nicht länger als Wurmfortsatz der Union gelten. Stattdessen bekäme sie eine neue Regierungsoption. Und SPD und Grüne auch. Auf einmal könnten sie wieder von einer Bundesregierung ganz ohne CDU träumen, dazu noch ohne Seehofers Regionalpartei.
Es wäre nichts weniger als ein neues Machtmodell. Über Baden-Württemberg hinaus. Nichts ist egal in Wasiristan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen