Vor der Leipziger Buchmesse: Linke Furcht vor rechter Opferrolle
Ignorieren? Debattieren? Gar angreifen? Die Buchmesse naht – und damit auch die Frage: Wie mit Leuten umgehen, die Rechtsradikales verbreiten?
Die Messeleitung steht in der Kritik, sich nicht deutlich gegen diese zu positionieren. Immer wieder wird sie von Linken aufgefordert, die Rechtsradikalen ganz auszuschließen. Zuletzt verlangte die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat ein solches Verbot. Doch der Stadtrat lehnte den Antrag ab.
Bei Oliver Zille, dem Direktor der Leipziger Buchmesse, stößt das Verbotsverlangen auf Granit. „Wir sortieren grundsätzlich nicht nach linken oder rechten Verlagen aus. Sondern: Wer legal auf dem Markt arbeitet, kann auch hier ausstellen“, sagt der hagere Mann mit den schwarzgrauen Haaren bestimmt. Die Messeleitung müsse sich an rechtliche Rahmenbedingungen halten, politische Wertungen spielen dabei keine Rolle.
Groß war die Aufregung im vergangenen Herbst auf der Frankfurter Buchmesse. Die angespannte Atmosphäre einer rechten Konjunktur, die zuvor noch vor allem mit Pegida auf den Straßen spürbar, nach der Bundestagswahl dann mit der AfD aber auch im Parlament verankert war, erreichte dort die Sphäre der Literatur und Debatte. Plötzlich standen sich die intellektuellen Neurechten mit den intellektuellen Linken gegenüber und stritten – nicht auf der Straße, sondern inmitten von Büchern.
In Frankfurt eskalierte die Situation. Der Verleger Achim Bergmann wurde bei einer Lesung der Jungen Freiheit von einem Zuhörer niedergeschlagen, nachdem er den Vortrag über die 68er Bewegung mit einem abwertenden „Halt’s Maul“ kommentiert hatte. Es kam zu Handgreiflichkeiten, die Polizei musste einschreiten. Dass rechtsradikale Verlage präsenter geworden sind, liegt zum einen daran, dass es heutzutage überhaupt mehr Verlage gibt – vor allem ist es die Folge davon, dass es diese Verlage geschafft haben, mit ihrer Ideologieproduktion Worte wie „Obergrenze“ im gesellschaftlichen Diskurs zu platzieren.
Proteste haben Rechten in die Karten gespielt
Dass die Protestierenden in Frankfurt diesen Rechtsradikalen mit Aggression, Stören und Diffamierung begegneten, spielte ihnen letztlich in die Karten, darüber besteht heute Einigkeit. Retrospektiv lässt sich feststellen, dass die Aggressionen auch von rechts kamen, dennoch waren es am Ende die Linken, die als Angreifende und Störende dastanden. Fazit: Die Rechtsradikalen haben den Diskurs auf der Frankfurter Buchmesse für sich entschieden.
In Leipzig soll sich das nicht wiederholen. Diesen Mittwoch startet die Buchmesse. Auch wenn die Veranstaltung mit ihren über 200.000 Besucher_innen und knapp 2.500 Aussteller_innen weitaus mehr zu bieten hat, wird schon jetzt wieder viel über die Rechten geredet.
Denn die Ereignisse von Frankfurt haben Spuren hinterlassen, insbesondere bei denjenigen, die ihre Bemühungen, den Rechtsradikalen etwas entgegenzusetzen, als gescheitert anerkennen mussten. Aus diesem Grund hat die bereits im Spätsommer 2017 gegründete Initiative „Verlage gegen Rechts“ nun eine Kampagne gestartet. Initiiert wurde diese von Mitarbeiter_innen unterschiedlicher Verlage, darunter Lisa Mangold vom Argument und ariadne Verlag. „Die Verlagsszene muss sich wieder politisieren“, sagt Mangold im Rückblick auf Frankfurt. Mehr als achtzig Verlage und über 200 Einzelpersonen unterstützen die Kampagne bislang, darunter jedoch vor allem kleinere, unabhängige Verlagshäuser.
Zu wenig, findet Lisa Mangold. Die blonde, kurzhaarige Frau mit der runden Brille spricht selbstbewusst, souverän und bestimmt. Obwohl sie eigentlich an einer Konferenz für Verlagswesen in der Berliner Staatsbibliothek teilnimmt, nutzt sie die Mittagspause, um die Standpunkte der Kampagne zu erläutern. Inmitten von Büchern erzählt sie von der Wirkkraft ebendieser. Sie hat eine klare Vorstellung dessen, was geschehen muss: „Die Verlage müssen sich deutlich positionieren.“
Für eine politisch bewusstere Haltung der Verlage
Positionieren heißt in diesem Fall, sich gegen jene Verlage zu stellen, die „offen rassistisch, frauenverachtend und homofeindlich“ auftreten, wie es im Kampagnenaufruf heißt. Positionieren heiße aber auch, den Rechten mit intellektueller Überlegenheit zu begegnen, statt auf ihre Opferinszenierung hereinzufallen. „Dem rechten Populismus wurde durch die Störaktionen auf der Buchmesse so viel Aufmerksamkeit gegeben. Unsere Strategie ist jetzt, inhaltlich gegen sie vorzugehen“, sagt Mangold. Soll man also jetzt mit Rechten reden? „Das ist nicht die Frage, um die es uns geht. Wir finden relevanter, über die Inhalte der Verlage zu reden, wegen derer wir sie ablehnen, und die rechte Ideologieproduktion zu analysieren.“
Messedirektor Oliver Zille
Dabei geht es nicht zwangsläufig um einen Ausschluss der Verlage. „Ich fände das zwar gut“, sagt Mangold. „Aber es ist relativ leicht, die Forderung abzubügeln, indem man sich auf juristische Kategorien beruft, wie es die Messeleitung tut“, sagt die Verlagsmitarbeiterin. „Die Diskussion soll sich daher nicht immer um die Frage nach Ausschluss drehen. Unsere Strategie ist es vielmehr, einerseits Verlagskolleg_innen aus einer politischen Lethargie zu reißen und andererseits, dass nicht über rechten Populismus, sondern über linke und emanzipatorische Inhalte gesprochen wird.“
Dennoch tönen aus der rechten Ecke die lauten Rufe der „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ und „Zensur“. Zwar sind diese Vorwürfe noch nicht so spitz wie vergangenes Jahr, als etwa ein AfD-Mitglied die linken Proteste mit der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten verglich – dennoch sind die entsprechenden Verleger offensichtlich angefressen.
Denn die Strategie der Dekonstruktion populistisch aufgeheizter Argumente und inhaltsleerer Polemiken scheint Wirkung zu zeigen. Vergangene Woche zog die Wochenzeitung Junge Freiheit ihre Teilnahme an der Leipziger Buchmesse zurück. Als Begründung nannte Geschäftsführer Dieter Stein, es sei „rufschädigend“, dass ihr Stand im von der Messe konstruierten „rechtsextremen Block“ nebst Verlagen wie Antaios stehe. Nun steht die Platzierung der Verlagsstände zwar nicht in direktem Kontext der Kampagne, jedoch wirft Stein dem Messedirektor Oliver Zille vor, mit der von „linksradikalen Verlagen“ initiierten Kampagne zu kooperieren.
Der Messedirektor: „Wir urteilen nach Gesetzeslage“
Oliver Zille indes bleibt gelassen. Nicht einmal seine Notizen zieht er in dem Gespräch zu Rate. Mit schickem Anzug, Dokumenten unter dem Arm und einem spitzbübischen Lächeln bewegt sich der Messedirektor souverän durch die gläsernen Hallen und strahlt damit das aus, was ihn in der Debatte wohl am meisten voranbringt: Souveränität in der eigenen Haltung.
Doch auch wenn seine Worte ruhig und freundlich klingen – Zille ist merklich genervt von dem Thema. „Wir haben ein Neutralitätsgebot, sodass wir nicht nach politischen Meinungen, sondern nach der Gesetzeslage beurteilen“, sagt er immer wieder. Demnach kann jeder, der sich an Recht und Gesetz hält und mit seinen Publikationen in die Rahmenbedingungen der Buchmesse passt, einen Stand anmelden. Welche rechten Verlage dieses Jahr vertreten sind? „Danach sortieren wir nicht“, sagt Zille bestimmt. Vielleicht erinnert er sich dabei an 2006, also er die Junge Freiheit mit der Begründung, ihre Anwesenheit behindere die ordnungsgemäße Durchführung, von der Buchmesse ausschloss, woraufhin diese sich erfolgreich wieder einklagte.
Nun hat er den Spieß umgedreht: Zille lässt die Verlage teilnehmen – und die Junge Freiheit schmollt ob des Empfindens, im wahrsten Sinne des Wortes dabei in die rechte Ecke gestellt zu werden. Denn Zille hat all die umstrittenen Verlage ganz nahe beieinander platziert – und damit hat sich auch die Messeleitung deutlich positioniert. „Ich glaube schon, dass die Gesellschaft klare Kante zeigen muss, solche Veranstaltungen zu nutzen, um die Werte, die sie vertritt, zu verteidigen. Das kann man nur, indem man deutlich Position bezieht“, sagt Zille.
Für den neurechten Ideologen Götz Kubitschek ist das ein Unding. Er moniert auf der Antaios-Website Sezession, die räumliche Nähe zu Ständen wie Terra Nostra sei ein Kalkül der Buchmesse, weswegen man jetzt „in der rechten Ecke“ sitze. So unverständlich das für ihn sein mag – so logisch ist es für diejenigen, die die Verlage wegen ihres verbreiteten Gedankenguts ablehnen.
Sechs rechtsradikale Verleger auf der Messe vertreten
Sieben rechtsradikale Verlage als Teilnehmer der Messe hat das Projekt „Chronik.LE. Die Dokumentationsplattform“ – eine Gruppe des Leipziger Vereins „Engagierte Wissenschaft“ – identifiziert. Auf der Homepage der Gruppe sind neben Kubitscheks Antaios auch die zurückgetretene Junge Freiheit, der Verlag Europa Terra Nostra, der Cato Verlag, das von Jürgen Elsässer geführte Compact-Magazin; die NPD-nahe Deutsche Stimme und der Verlag Ahriman zu finden. Ein Blick in deren Publikationslisten lässt keine Zweifel daran, dass all diese Verlage mehr als zweifelhafte Inhalte publizieren: „Die Rückkehr der echten Rechten. Das Handbuch für die wahre Opposition!“ ist da zum Beispiel im Angebot, oder „Rudolf Heß – Gefangener Nr. 7“.
Die linke Aktivistin Hannah
Dennoch zählt für Zille das, was auf der Messe passiert: „Wenn zur Gewalt aufgerufen oder rassistisch gehetzt wird, dann werden die Veranstaltungen abgebrochen, die Publikationen eingezogen, der Stand geschlossen, die Leute des Hauses verwiesen. Das ist klar definiert.“ Eine Prüfung der Inhalte im Vorhinein sei hingegen nicht möglich. Genau darin liegt für Kritiker_innen das Problem. Sie werfen der Messeleitung vor, sich nicht klar genug abzugrenzen. Zille sagt, die Buchmesse habe eine klare Haltung: „ein offenes Weltbild“. Deshalb gebe man auch den Initiativen Raum, die ebendies propagieren – wie Verlage gegen Rechts, die neben einer Veranstaltungsreihe und dem Motto „Die Gedanken sind bunt“ auch eine Kundgebung mit dem Thema „Meinungsfreiheit nutzen. Rechten widersprechen“ organisieren. „Dass politische Debatten auf der Buchmesse geführt werden, lässt sich in so einem gesellschaftlichen Umfeld nicht nur nicht vermeiden, sondern ist vielleicht sogar nötig“, sagt Zille. Seine Hoffnung sei dennoch, dass nicht alles in dieser einen Debatte untergeht. Denn die wenigen Stände rechtsradikaler Verlage machen tatsächlich nur einen winzigen Bruchteil aller Aussteller aus.
Möglicherweise könnte man Konflikte und Auseinandersetzungen vermeiden, wenn man rechtsradikale Verlage von der Teilnahme ausschließen würde. Andererseits könnte dies auch zu mehr Aufmerksamkeit führen als notwendig, was diesen wiederum in die Hände spielen würde. Für die Aktivist_innen von „Prisma, Interventionistische Linke Leipzig“ ist die viel wichtigere Frage die nach dem veränderten politischen Klima, in dem Verlage wie Antaios „kolonial-rassistisch-biologistische Rassenlehre publizieren können und die Einschränkung des Frauenwahlrechts fordern“, wie Hannah von Prisma es formuliert. Die studentisch geprägte Gruppe ist mit etwa sechzig Mitgliedern eine der größeren linken Organisationen in Leipzig, die sich in einem Bündnis gegen rechtsradikale Verlage auf der Buchmesse zusammengefunden haben. Zwar repräsentieren sie die aktivistische Seite der Proteste, doch auch sie wollen die Inhalte analysieren – und mit Argumenten dagegen tätig werden. „Wir haben beobachten können, wie der linke Protest, der auf der Frankfurter Buchmesse vor allem in Form von Stören geschah, von Rechten dazu genutzt wurde, sich als Retter der Meinungsfreiheit und Opfer einer linken Zensur darstellen konnten“, sagt Hannah, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Die Mittzwanzigerin gesteht das Eigentor der Aktivist_innen im vergangenen Jahr ein. „Der linke Protest hat ihnen die Kulisse geboten, die sie wollten.“ Doch die Gruppe habe aus Fehlern gelernt.
Mit Argumenten die Schlacht schlagen
Damit die Rechtsradikalen nicht wieder als Gewinner herausgehen, wollen sich die Prisma-Leute auf die Leipziger Messe besser vorbereiten – nicht im Sinne von aggressivem Auftreten, sondern mit Analyse, kluger Debatte und wohlüberlegten Argumenten. Dass es Interventionen, wie sie es nennt, geben könnte, schließt Hannah nicht aus. Aber für sie ist klar: „Man muss aufpassen, dass man nicht ein linkes Klischeebild bedient oder sich instrumentalisieren lässt – indem man sie durch ein anderes Auftreten überrascht und ihnen ein Schritt voraus ist.“
Mit Vorbereitungsworkshops will die Gruppe, Teil des Leipziger Bündnisses gegen rechte Verlage auf der Buchmesse, sich argumentativ wappnen. „Es ist wichtig zu analysieren, was in den Publikationen der rechten Verlage steht, mit welchen Konzepten sie arbeiten und worin die Widersprüche liegen. Nur so kann man sie auf der Ebene inhaltlicher Kritik schlagen“, sagt Hannah. Was ihre Gruppe genau plant, verrät sie nicht. „Nur so viel: Alle Aktionsformen, die die Rechten dazu nutzen, um sich als Opfer zu inszenieren, sind nur zu ihren Gunsten, ebenso wie alle, die damit enden, dass sie von Sicherheitskräften geschützt werden.“
Tatsächlich gibt es wohl nichts, was den Elsässers und Kubitscheks mehr den Bauch pinselt als Aufmerksamkeit. Wie viele Male wurde allein Kubitschek mit seiner traditionellen Großfamilie, seinen Kindern und Ziegen, auf Zeitungscovern und Hochglanzmagazinseiten abgebildet. Wie oft wurde Elsässers fettiges graues Pony fotografiert und sein Compact-Magazin als das Sprachrohr der Pegidas verschrien. Die Dämonisierung der rechten Demagogen mag ein politischer, ein demokratischer Reflex sein, jedoch befeuert nichts die Hölle so sehr wie der Teufel selbst.
„Das Schlimmste, was den Rechten passieren kann, ist, wenn überhaupt nichts passiert“, sagt der Verleger Jörg Sundermeier. Er ist Geschäftsführer des Verbrecher Verlags, ein echter Bibliophiler, sein kleines Arbeitszimmer im Berliner Mehringhof ist bis oben hin voll mit Büchern, Dokumenten, Zeitschriften, Texten. Überall stapeln sich Manuskripte und bereits gedruckte Exemplare. Auch Sundermeier hat die Kampagne Verlage gegen Rechts unterschrieben, kann jedoch auch die Position der Leipziger Messe nachvollziehen. „Man muss es ja nicht gut finden, aber man muss es eben leider aushalten“, sagt er. Außerdem: „So groß sind die ja alle gar nicht.“
Der Verleger: „Bullshit als Bullshit entlarven“
Er findet es schwierig, wenn der Messeleitung ihre Kompetenz abgesprochen wird. „Ich habe größtes Vertrauen, dass die Messe ihre Diskriminierungsverbote auch durchsetzt.“ Statt also darüber zu diskutieren, ob man rechtsradikale Verlage ausschließen solle, plädiert Sundermeier dafür, „Bullshit als Bullshit zu entlarven“. Alles andere belebe das Geschäft der Verlage – durch zu viel Aufmerksamkeit. Sundermeier analogisiert: „Wie bei einer Dreijährigen, die sich auf den Boden wirft und extralaut weint, um ihren Willen durchzusetzen.“
Damit die Rechten also nach der Leipziger Buchmesse nicht wie trotzige Kleinkinder schmollend auf den Titelseiten der Tagespresse abgebildet werden und so größer gemacht werden, als sie eigentlich sind, hilft also nur: reden. Da sind sich Verleger_innen, Messeleitung, Aktivist_innen einig. Damit ist nicht gemeint, über die rechten Verlage zu reden, und es ist auch nicht gemeint, mit ihnen zu reden – das führt selten zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung. Nein, damit gemeint ist: über Inhalte reden. Analysieren, dekonstruieren, argumentieren. Denn die rechtsradikalen Ansichten ebenso wie die rechtsradikalen Verlage sind Teil des gesellschaftlichen Diskurses. Und verändern kann man Diskurse nur, indem man in sie eingreift, an ihnen teilhat.
Dass die Messe politisch ist, darin sind sich Mangold, Zille, Hannah und Sundermeier einig. Es gibt genug Gründe, dies zu nutzen. Denn welcher Ort ist für diese Debatte wohl besser geeignet als die Buchmesse selbst?
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