Vor der Bundestagswahl: Besuch im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg: Der rote Junge gegen den alten Grünen
Der SPD-Youngster Björn Böhning will dem grünen Urgestein Christian Ströbele seinen Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost abnehmen.
Es ist ein guter Tag für Björn Böhning. Ganz oben im Wahlkreis, in den Plattenbauten der Mendelsohnstraße nahe des Alexanderplatzes absolviert der SPD-Kandidat Hausbesuche. Böhning klingelt, stellt sich vor, drückt seinen Flyer in die Hand, spurtet durch die nackten Flure zur nächsten Tür. "Niemand in der Politik kümmert sich um Kitas", klagt eine Kita-Leiterin. "Doch! Ich", wirft Böhning ein und lässt sich einen Kontakt der Einrichtung geben. "Sie kriegen eine Antwort von mir, versprochen." Einige Türen weiter dauergrinst ein Anfangzwanziger, als Böhning sich vorstellt. "Na klar wähle ich die SPD", rückt der junge Mann schließlich raus. "Wer Merkel wählt, ist selber schuld." Böhning lächelt erlöst.
Mehr als 5.000 Haustüren hat der 31-Jährige in diesem Wahlkampf abgeklappert. Es sei die beste Möglichkeit, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, sagt der Mann im schwarzen Polohemd, Jeans und Turnschuhen. Am Revers seiner Jacke trägt er einen Button mit seinem Gesicht, stilisiert, so ein bisschen Pop-Art. "Wenn ich im Bundestag bin, werde ich die Hausbesuche weitermachen, alle zwei Wochen."
Am 27. September wird der Bundestag neu gewählt. In Berlin gibt es 12 Wahlkreise, die je einen Abgeordneten direkt entsenden. Die taz stellt die spannendsten Kandidaten und Wahlduelle in einer Serie vor.
Vor vier Jahren gewann Hans-Christian Ströbele (Grüne) das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer-Berg-Ost. Der Versuch, ihm das Mandat abzuluchsen, scheint hoffnungslos, wird aber mit Prominenz ausgefochten: Neben SPD-Kandidat Björn Böhning geht für die Linken deren Vize-Bundesvorsitzende Halina Wawzyniak ins Rennen, für die CDU die DDR-Bürgerrechtlerin und "Busen-Plakat"-Skandaleuse Vera Lengsfeld und für die FDP deren Berliner Parteichef Markus Löning. 2005 gewann Ströbele haushoch mit 43,2 Prozent der Erststimmen. Der SPD-Kandidat erhielt damals 20,8 Prozent. Für die Linke waren es 18 Prozent, für die CDU 11,3 Prozent und für die FDP mickrige 2,7 Prozent.
In der nächste Folge der taz-Serie geht es um Reinickendorf. Der Text erscheint am Freitag.
Böhning meint das ernst - das mit dem Bundestag und der Chance, am 27. September seinen Wahlkreis zu gewinnen: Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost. Zuletzt siegte hier zweimal Hans-Christian Ströbele, Grünen-Veteran und Kiezliebing. 43,2 Prozent holte Ströbele 2005 - über 20 Prozent mehr als der damalige SPD-Kandidat und Zweitplatzierte Ahmet Iyidirli.
Es scheint auch in diesem Jahr ein hoffnungsloses Unterfangen, Ströbele zu besiegen. Erst recht, da mit der Afghanistan-Debatte ein Uranliegen des grünen Pazifisten Teil des Wahlkampfs geworden ist. Böhning glaubt trotzdem an seine Chance: "Der Wahlkreis hat sich verändert." Es gebe heute viele junge Familien und Kreativbeschäftigte, die ihre Interessen durch Ströbele nicht vertreten sähen. Zudem sei der Wahlkreis nicht nur das traditionelle Kreuzberg - allein ein Viertel der Wähler kämen aus Prenzlauer Berg. All sie hat Böhning im Blick, wenn er kostenlose Kita-Plätze, ein berlinweit freies WLAN, Mikrokredite für Selbstständige und Mindestlöhne fordert.
Böhning ist kein Alibi-Kandidat, den die SPD ins Rennen schickt. Tatsächlich ist es wohl am ehesten der junge SPD-Mann, der Ströbele Stimmen abknüpfen könnte. 20.000 Euro steckt die Partei in Böhnings Wahlkampf, 3.000 Plakate mit seinem Konterfei wurden gedruckt. Die SPD will einen Wahlkreis zurückerobern, den sie lange für sich reklamierte. Immerhin holten die Sozialdemokraten 2005 mit 37,3 Prozent die meisten Zweitstimmen im Wahlkreis. Mit der Böhning-Kandidatur soll auch ein Achtungszeichen gesetzt werden für die Post-Ströbele-Ära, in der die Karten neu gemischt werden.
Es ist Anfang August, als Böhning Innensenator Ehrhart Körting zu einem Wahlkampfabend einlädt in ein Seniorenheim in der Gürtelstraße, Prenzlauer Berg. Der Innensenator redet, beantwortet Fragen der rund 30 Senioren. Böhning sitzt schweigend daneben, bedankt sich am Ende mit Rotwein aus der Pfalz bei Körting und ist zufrieden. Er hat gezeigt, wie vernetzt er ist, dass er Unterstützung von ganz oben aus der Partei erhält. Das reicht.
Es bleibt nicht der einzige Auftritt von Böhning mit SPD-Prominenz. Mit Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier trifft er sich an der East Side Gallery, mit Parteichef Franz Müntefering im Kreuzberger Kreativzentrum Beta-Haus, mit Günter Grass in der Berlinischen Galerie. "Ich habe breit angefragt, wer kommen kann, und erstaunlich viele haben zugesagt."
Böhning hat in der SPD eine steile Karriere hingelegt. Schon sein Vater war in der Partei, mit 16 Jahren tritt der damalige Schülersprecher den Jusos in seiner Heimatstadt Lübeck bei. Mit 23 Jahren ist Böhning Chef der Bundes-Jusos. Vor zwei Jahren folgte der Sprung in die Senatskanzlei von Klaus Wowereit: Böhning ist dort Leiter des Grundsatz- und Planungsreferats. Schon zuvor war er zum Politikstudium in die Hauptstadt gewechselt. Heute sitzt Böhning im SPD-Bundesvorstand und ist Sprecher der Parteilinken.
Es sei ein Zweikampf zwischen ihm und Ströbele, der am 27. September entschieden wird, sagt Böhning. Der Junge gegen den Etablierten, neues gegen altes Kreuzberg. So will er das sehen. "Der Lack ist ab bei Ströbele." Als Böhning zur Podiumsdiskussion im taz-Café sitzt, attackiert er fast nur seinen Grünen-Kontrahenten. "Dieser Wahlkreis braucht Taten statt Symbole. Es kommt nicht darauf an, bei jeder Protestaktion vorn zu stehen."
Ströbele lässt die Angriffe abprallen. Ja, er habe den Eindruck, "ernsthaftere Mitbewerber" als noch vor vier Jahren zu haben. "Aber bei all den Diskussionsrunden habe ich bisher kein Thema gefunden, das ich in der letzten Legislaturperiode nicht gebührend behandelt hätte", so der 70-Jährige. Im Gegenteil gebe es im aktuellen Wahlkampf sogar mehr positive Rückmeldungen als 2005. Ströbele setzt auch diesmal auf seine bewährten Themen: Sicherheit, Bürgerrechte, Krieg und Frieden. Der Afghanistan-Einsatz und der Umgang mit der Krise hätten ihn noch mal kandidieren lassen, sagt er. "Diese Themen stoßen im Wahlkreis auf höchstes Interesse."
Doch auch Böhning will gewinnen. Dafür muss er ackern, denn der 31-Jährige ist nicht über die SPD-Landesliste abgesichert. Einen Kredit über 8.000 Euro habe er für seinen Wahlkampf aufgenommen, berichtet Böhning. Er steht um sechs Uhr auf, bloggt und twittert, besucht Diskussionen, absolviert Hausbesuche. Es ist ein Kampf um eine möglichst perfekte Kandidatur. Böhning will alle ansprechen, allen etwas bieten. In seinem Wahlbrief, den er an 80.000 Haushalte verschickt hat, schreibt er von seiner Frau und der Wohnung in Kreuzberg. Auf seiner Homepage lässt Böhning die Indie-Helden Bloc Party ertönen. Niemand soll ihm vorwerfen können, er habe Wählerpotenziale vernachlässigt.
Und wenn es nicht klappt? "Dann habe ich weiter einen Job in der Senatskanzlei", sagt Böhning. Dann werde er weiter Politik im Wahlkreis machen. Und vielleicht 2013 wieder antreten.
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