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Vor Stichwahl in KolumbienIndirekte Hilfe gegen links

Drei Wochen vor der Stichwahl lässt Spaniens Justiz eine Klage gegen Kolumbiens linken Kandidaten zu. Die Vorwürfe wirken mehr als zweifelhaft.

Sieht sich mit Vorwürfen aus seiner Guerillazeit konfrontiert: Kolumbiens linker Kandidat Petro Foto: Luisa Gonzalez/reuters

Madrid taz | Kaum waren die Feiern der Anhänger des kolumbianischen Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro nach siegreichem ersten Wahlgang vorbei, kommt aus Spanien eine schlechte Nachricht. Die dortige Audiencia Nacional – das Oberste Gericht für Bandenkriminalität und Korruption – hat eine Klage gegen den Kandidaten des linken „Historischen Pakts“ teilweise zugelassen. Er soll in seiner Zeit als Mitglied der Stadtguerilla M-19 für die Entführung des bekannten TV-Journalisten Fernando González Pacheco 1981 mitverantwortlich gewesen sein.

Petro, der 40,3 Prozent erzielte, muss am 19. Juni gegen den rechtspopulistischen Multimillionär Rodolfo Hernández, 28,1 Prozent, in die Stichwahl. Die Anzeige gegen ihn besteht aus einem 800-seitigen Schreiben, das ein gewisser François Roger Cavard Martínez am vergangenen März dem Gericht in Madrid vorgelegt hat. Darin beschuldigt er Petro der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Cavard hatte Petro bereits 2018 bei dessen erster Präsidentschaftskandidatur „wegen im Rahmen seiner Angehörigkeit zur M-19 begangener Verbrechen“ angefochten. Der kolumbianische Staatsrat lehnte dies ab.

Jetzt bietet Madrid dem umtriebigen Mann eine Bühne, um erneut gegen Petro vorzugehen. Ob mit oder ohne Unterstützung durch den Gegenkandidaten Hernández ist nicht klar. Doch der Unternehmer, der sich längst den Namen „Trump Kolumbiens“ verdient hat, wird sich die Chance kaum entgehen lassen, in den drei Wochen bis zum zweiten Wahlgang immer wieder an die Ermittlungen in Spanien zu erinnern.

Die angebliche Entführung war vermutlich arrangiert

Der Madrider Richter Joaquín Gadea sieht sich für die mutmaßlichen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht zuständig, akzeptiert aber die Ermittlungen in Sachen Entführung Pachecos, da dieser 1932 im ostspanischen Valencia geboren wurde und somit die spanische Staatsangehörigkeit hatte. Das erklärt der Richter in einem vom 19. Mai datierten Schreiben, das just nach dem Sieg in erster Runde bekannt gemacht wurde.

Gadea, Mitglied im konservativen Richterverband, ist kein Unbekannter. Er gehörte dem Gericht an, das 2020 den damaligen katalanischen Präsidenten Quim Torra „wegen Ungehorsam“ des Amtes enthob, weil er ein Transparent zur Unterstützung angeklagter und exilierter Unabhängigkeitspolitiker an seinem Amtssitz erst nach mehrmaliger Mahnung abhängen ließ.

Gadea wies nun gegen den Willen der Staatsanwaltschaft die Polizei an, Angehörige Pa­che­cos zu suchen und zu überprüfen, ob Petro begnadigt oder amnestiert wurde. Letzteres ist eigentlich überflüssig. Denn die M-19 legte bereits 1990 die Waffen nieder und gründete nach einer Amnestie der Kämpfer eine politische Partei. Dort hatte Petro bald schon einen Namen, in der Guerilla selbst war er allerdings einer unter vielen und so wohl kaum an Entscheidungen über Entführungen beteiligt.

Die spanische Nachrichtenseite Publico.es bezweifelt gar, dass es überhaupt eine Entführung gab. Publico.es machte eine Kollegin Pachecos ausfindig, die zusammen mit ihm entführt worden war. Alexandra Pineda, die mittlerweile in Paris lebt, gibt an, dass das Kidnapping arrangiert worden sei, um ein siebenstündiges Gespräch mit dem M-19-Chef Jaime Bateman Cayón zu führen. In jenen Jahren waren Kontakte zur Guerilla auch Journalisten unter Strafe verboten. Was zum eigenen Schutz der Pressevertreter also wie eine Entführung aussah, sei in Wirklichkeit eine Exklusivstory des beliebten Fernsehjournalisten Pacheco gewesen. Den kann man nicht mehr fragen: Er starb 2014.

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