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Vor Parteitag von En Marche!Sie wollen keinen Sonnenkönig

Emmanuel Macrons Bewegung kämpft vor dem ersten Parteitag mit internen Kritikern. Diese bemängeln Strukturen wie im Ancien Régime.

Der Herrscher und sein Parteichef in spe Foto: dpa

Paris taz | Sie sollte ganz anders werden als die traditionellen politischen Parteien. Emmanuel Macrons Bewegung En marche! sollte bürgernah sein, jung, offen für die Zivilgesellschaft und modern hinsichtlich der neuen Medien und Kommunikationsmittel. Das zumindest war das attraktiv klingende Versprechen. Das Image des im Mai gewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron und das seiner politischen Bewegung entsprach einem echten Bedürfnis der Franzosen nach Veränderung.

Und nun, Monate nach seiner Wahl? Ein erster Parteitag der Bewegung La République en marche (LREM) am Samstag in Lyon bietet sich an, um eine erste Bilanz zu ziehen – zumal bei den UnterstützerInnen nicht alles eitel Sonnenschein ist.

384.000 Mitglieder hat LREM nach eigenen Angaben. Die Bewegung stützt sich weitgehend auf die lokalen Komitees, die für die Wahlkampagne überall gebildet worden waren. In diesen lokalen Gruppen wurde viel diskutiert und noch mehr für den Wahlkampf gearbeitet. Heute sind nicht wenige der Wahlkampfhelfer frustriert.

Die Dynamik von LREM ist ein halbes Jahr nach der Präsidentenwahl zwangsläufig nicht mehr dieselbe. Die Basismitglieder werden kaum mehr benötigt. Macron ist an der Macht, die Arbeit erledigen die MinisterInnen und die Abgeordneten. Das scheint manchen zu langweilig geworden zu sein. In der Zeitung L’Opinion hat Ar­naud Leroy, ein Mitglied der bisherigen Interimsleitung, dazu eingeräumt, von 384.000 seien höchstens noch 120.000 wirklich aktiv. Von einem Mitgliederschwund aber könne keine Rede sein.

Viel weiter als das Eingeständnis einer gewissen Banalisierung der Bewegung, die immer mehr einer gewöhnlichen Partei mit ihren Führungsstrukturen gleicht, geht die Kritik der Gruppe der „100 Demokraten“: Diese hundert wollen am Freitag kollektiv und unter Protest aus LREM gegen den Mangel an Demokratie und echter Debatte protestieren. Die Bewegung „beleidige die fundamentalen Prinzipien der Demokratie“ mit Strukturen wie im Ancien Régime der absolutistischen Könige, zitierten französische Medien aus einer Stellungnahme.

So theatralisch das Vorgehen der 100 Demokraten wirkt – ihre kritische Einschätzung des internen Parteilebens würden auch andere LREM-Mitglieder teilen. Aber wohl ohne sich dabei so drastisch auszudrücken wie Emmanuel Drouin, einer von der selbsternannten „Demokraten“-Fraktion: „Das ist Politik nach alten Mustern. Ich glaube nicht, dass man im Inneren dieser Organisation etwas daran ändern kann. Die Ausrichtung wird von einer Art Politbüro entschieden, die Mitglieder braucht es nur zum Verteilen von Flugblättern bei Wahlen.“ Das kennt er selbst zur Genüge aus seiner langen Mitgliedschaft in der Parti Socialiste.

Die Ausrichtung wird von einer Art Politbüro entschieden, die Mitglieder braucht es nur zum Verteilen von Flugblättern bei Wahlen.

Emmanuel Drouin, En marche!

Die ebenfalls austrittswillige Tiphaine Beaulieu hat schon vor Monaten eine interne Fraktion (Confédération des Marcheurs de la République) gegründet, um mehr Transparenz zu fordern. Weil sie angeblich gemeinsam mit der extremen Rechten eine Kundgebung organisiert hat, droht ihr jetzt der Ausschluss.

Die Vorbereitung des ersten Parteitags hat den Kritikern dabei zusätzlich Argumente geliefert: Die Debatten im Vorfeld waren minimal, und für den offenen Posten des Parteichefs gibt es nur einen Kandidaten, Christoph Castaner. Der ehemalige Sozialist war Macrons Kampagnensprecher und ist gegenwärtig Staatssekretär und Regierungssprecher.

Kritiker bemängeln, dass keine Urwahl aller Mitglieder vorgesehen ist. Außerdem können Mitglieder ohne Amt nur per Zufallsprinzip ein Stimmrecht auf dem Parteitag bekommen. Die Mehrheit der Stimmberechtigten im sogenannten Nationalrat sind Parlamentarier und andere Mandatsträger.

Doch immerhin hat der Einwand, die interne Demokratie der Bewegung lasse zu wünschen übrig, Wirkung gezeitigt. Auf Wunsch der internen Kritiker organisiert die Parteiführung in aller Eile für den Donnerstagabend doch noch eine Diskussion. Die aber findet unter Ausschluss des Publikums und der Medien im LREM-Hauptquartier statt. Die Mitglieder können sie via Facebook verfolgen – sofern sie die Seite mit einem Klick auf den Like-Button versehen haben.

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7 Kommentare

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  • Mehr als 5 Jahre, um neoliberale Reformen durchzukriegen, brauchte Macron doch eh' net. Wenn er net wiedergewählt wird, ist ihm das egal und wenn LREM zerfällt, muss ihn das auch net stören. Fussvolk, um dem Champion des Kapitals zur Präsidentschaft und zur Parlamentsmehrheit zu verhelfen, das war's.

  • En Marche - Hauptsache „in Bewegung“, doch wohin?

     

    Sich eher als „Bewegung“ denn als klassische „Partei“ zu verstehen, steht in alter Tradition der rechten politischen Formationen in Frankreich bis zur Verfassung der V. Republik. Sich in Macrons Marschkolonnen einzureihen ist laut Online-Eigenwerbung kinderleicht und per per Mausklick in drei Minuten zu erledigen: „Toute personne, française ou étrangère, qui partage les buts et les principes d’action de La République En Marche peut demander à en devenir adhérent. L’adhésion n’est pas conditionnée au versement d’une cotisation. Un système d’adhésion en ligne est mis en place sur le site internet de La République En Marche.“ Man muß also weder Franzose sein noch auch nur einen Euro Mitgliedbeitrag zahlen. Auch die gleichzeitige Mitgliedschaft in ixbeliebigen anderen Parteien, hierzulande ein Ausschlußgrund, ist für den Macron-Fan-Club kein Hindernis.

     

    Sein „Wertesockel“ erinnert in seiner Verschwommenheit an Tucholskys Beschreibung deutschen Parteienlandschaft der bürgerlichen Mitte aus der Sicht eines „leicht besoffenen Herrn“: Für jeden ist was im Angebot. Die wichtigste: Laut Statut müssen „Die Franzosen ... im Zentrum des politischen Lebens stehen und nicht nur seine Dekoration sein.“ („Les Français doivent être au cœur de la vie politique et non son décor.“) Mit solchen Plattituden können sich sogar Le Pens nationale Frontisten bei Macrons Fanclub einklicken.

     

    Die inneren Strukturen sind eine typische Seilschaften-Demokratie: Das „Bureau exécutif“ wacht darüber, daß die unteren Instanzen nicht aus der Reihe tanzen. („Le bureau exécutif est compétent pour s’assurer que les membres du Conseil remplissent les conditions prévues.“ )

     

    Kurz, mit Macrons großspurig verkündeten „Revolution“ des politischen Lebens Frankreichs scheint es nicht weit her zu sein, wie es offensichtlich inzwischen sogar unter seiner Anhängerschaft langsam zu dämmern beginnt...

  • Das Problem war auch abzusehen, obwohl ich Macron für den besten der zur Wahl stehenden Kandidaten halte. Bei einer neuen Sache, sind alle Mitglieder erst mal motiviert, aber auch En Marche ändert nicht den Aufbau der V Republik, sobald man Präsident ist und auch noch die Mehrheit im Parlament hat, die Parlamentswahlen finden kurz nach den Präsidentschaftswahlen statt, braucht man für die nächsten 5 Jahre niemanden mehr. Wie es Macron so präzise gegenüber Pierre de Villiers, Chef des Generalstabes, ausdrückte, als der die Sparmaßnahmen ablehnte. "Je suis votre chef" und was der Chef will, wird eben gemacht, Basisdemokratie ist in diesem Modell nicht vorgesehen.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Wer da gedacht hätte, dass die En Marche Führungspitze bestehend aus altgedienten Apparatschiks der zum Verkauf angebotenen Rue Solferino( Parteizentrale der Sozialistischen Partei Frankreichs) wirklich so eine Art Basisdemokratie zulassen würde, hat keine Ahnung von den politischen Verhältnissen in Frankreich. Ziel ist es nicht mehr Demokratie zu wagen, sondern eine alles dominierende wirschaftsliberale Partei zu schaffen, die alle staatlichen Institutionen kontrolliert und das Land in Symbiose mit dem Unternehmerverband Medef regiert.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      C'est ça!

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Ja mei, Augenwischerei halt, wie eh und je. Die alten Parteien waren durchgescheuert, also musste was neues her um den Leuten neue Hoffnungen zu geben, an die sie sich klammern können, sich zum Affen machen usw.

  • Macron war doch nur ein Clou, um Le Pen Stimmen abzunehmen. Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl. Es geht weiter mit dem üblichen Programm. In Austria durfte Kurz den Macron machen...jung, dynamisch...Es findet sich immer wieder genügend Sand, der sich den Leuten in die Augen streuen lässt.